Der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz ist ein Beispiel für deutsche Gründlichkeit. Er überlässt nichts dem Zufall, schon gar nicht Wahlprognosen. Bereits seit Spätherbst des vergangenen Jahres gibt es einen Spezialbeauftragten (übrigens ein Österreicher), der allwöchentlich intern eine Hochrechnung erstellt und präsentiert, wie die Wahlen zum EU-Parlament ausgehen könnten.
[[image1]]Aktuell heißt es, dass es aller Voraussicht nach in Europa zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Rot und Schwarz kommen dürfte. Wer die Nase vorne haben wird, lässt sich derzeit aber nicht prophezeien.
Maximal 20 % für Rechts- und Linksparteien
Basierend auf aktuellen Umfragen aus den 28 EU-Ländern und hochgerechnet an Hand früherer Wahlergebnisse versucht man sich einen Überblick über die Zusammensetzung des künftigen EU-Parlaments zu verschaffen. Das was man sich schon jetzt getraut zu sagen ist, dass eine qualifizierte Mehrheit nur noch Christ- und Sozialdemokraten gemeinsam schaffen. Außerdem werden die linken und rechten Parteiränder Zuwachs erhalten – aber weniger stark als erwartet. Konkret dürften sie insgesamt nicht mehr als 20 Prozent der Stimmen erreichen.
Frankreich und Polen Verlustbringer für EVP
Aus den in Brüsseler Parlamentskreisen aufliegenden Analysen geht jedenfalls hervor, dass die derzeit stärkste Fraktion, die EVP, mit Mandatsverlusten rechnen muss, während die Sozialdemokraten zulegen. Derzeit noch halten die unter EVP firmierenden Christlich-demokratischen Parteien 275, die unter S&E auftretenden Sozialdemokraten 194 Sitze. Hält der Trend die nächsten 70 Tage an, so könnte jede der beiden Gruppierungen auf etwa 220 Mandate kommen. Mit rund 440 Von insgesamt 751 Abgeordneten hat man daher auch die nötige absolute Mehrheit. Verlustbringer für die so genannten Schwarzen sind vor allem Frankreich und Polen. Zwar sind auch die Sozialisten unter Francois Hollande schwer in Bedrängnis, aber deren politischer Widerpart kämpft vor allem mit der erstarkten Le-Pen-Bewegung. Wenngleich sich gerade eine Rückkehr und Renaissance des gestürzten Ministerpräsidenten Nicolas Sarkozy abzeichnet, so dürfte dies bei den EU-Wahlen aber noch keine Auswirkungen haben. Die britischen Konservativen unter David Cameron spielen hier bei der EVP keine Rolle. Davon im Detail noch später.
Rollenspieler und Fädenzieher
Um auf Nummer sicher zu gehen, haben sich daher die prononcierten EU-ler für den Schulterschluss entschieden. Das heißt, dass die Zusammenarbeit im Europäischen Parlament ab 2014 – ähnlich wie etwa in Deutschland und Österreich – im Zeichen von Schwarz-Rot stehen könnte. Damit es dazu auch wirklich kommt, gibt es zwischen den Fraktionen schon seit einiger Zeit bereits intensive Gespräche. Die Fäden laufen vor allem bei Joseph Daul, dem (französischen) Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, sowie dem Österreicher Hannes Swoboda, derzeit noch Führer (er scheidet bekanntlich mit Ende der laufenden Legislaturperiode aus dem Parlamentsbetrieb) der Europäischen Sozialdemokraten, zusammen. Eine wichtige Rolle im Hintergrund spielt auch ein parlamentarisches Urgestein, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok.
Die Grünen und Liberalen am absteigenden Ast
Sieht man von Rot-Schwarz ab, so zeichnet sich noch folgende weitere Tendenz ab. Der derzeit in vielen Ländern feststellbare Trend, dass die Grünen ihren Höhepunkt überschritten haben und die traditionellen Liberalen in einer Krise stecken, könnte sich bei den EU-Wahlen fortsetzen. So dürften die Liberalen von 85 auf 70 Sitze absacken (auch wenn ihnen mit den österreichischen NEOS eine neue Gruppierung zuwächst), die Grünen sich von rund einem Drittel ihrer 58 Mandate verabschieden müssen. Mit einer Schwächung müssen wohl auch die Europäischen Konservativen (ECR) kalkulieren. Hier wirkt sich vor allem aus, dass die britischen Konservativen (die Berührungsängste mit Parteien haben, die sich dem „hohen C“ verpflichtet fühlen) in einer Krise stecken, die sich auch bei den Europawahlen niederschlagen wird.
Unterschiedliche Schicksale für Protestparteien
Generell stärker werden sollten dagegen die linken wie rechten Ränder. Die „Vereinigte Europäische Linke“ darf damit rechnen, von derzeit 35 auf bis zu 50 Sitze zuzulegen. Ähnlich gut sieht es bei den Rechtsaußen-Parteien aus. Der französischen Front National werden derzeit 20 Parlamentssitze prognostiziert. Hinzu kommen sicher noch Stimmen, die EU-kritische Splitterparteien im rechtskonservativen EU- Lager ernten. Bei den Protestparteien gibt es allerdings unterschiedliche Entwicklungen. Die deutsche AfD dürfte den Sprung ins Straßburger Parlament schaffen, die vom italienischen Komiker Beppo Grillo angeführte Cinque Stelle dagegen wie derzeit daheim in Italien abstürzen. In Summe werden dem rechten Lager der EU-Skeptiker und -Gegner rund 115 der insgesamt 751 Sitze voraus gesagt. Für Österreichs politischen Querdenker, Erhard Busek, durchaus keine Katastrophe sondern eine Herausforderung, sich mit ihren Aussagen kritisch und offensiv auf der europäischen Bühne in breiter Öffentlichkeit auseinander zu setzen.
Rechtsfraktion hängt noch in der Luft
Noch nicht sicher ist allerdings, ob die Rechtsparteien es schaffen, eine eigene Fraktion zustande zu bringen, was an sich notwendig wäre, damit sie auch auf europäischer Ebene stärker und geschlossener auftreten. Um eine Fraktion bilden zu können sind allerdings mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel (d. h. sieben) der Mitgliedstaaten erforderlich. So sehr sich FPÖ Obmann H. C. Strache auch darum bemüht, bislang hat er erst Parteien aus sechs EU Ländern an einen Tisch gebracht.
Leichte Steigerung der Wahlbeteiligung möglich
Bleibt zum Schluss noch die Frage, und wie sieht es mit der Wahlbeteiligung aus? 2009 kam man im EU Durchschnitt auf 43, in Österreich sogar auf 46 Prozent. Diesmal hofft man auf eine leichte Steigerung, da doch in der Öffentlichkeit von der EU viel öfter die Rede ist als in der Vergangenheit. Dazu kommt, dass die Krise in der Ukraine die Europäer enger zusammenrücken lässt und den Wunsch nach mehr Sicherheit unter einem gemeinsamen Dach fördert. Nicht zuletzt setzt man Erwartungen in die erstmalige Nominierung europaweiter Spitzenkandidaten. Konkret geht es um Martin Schulz bei der S&D, von Guy Verhofstadt bei den Liberalen, dem weithin unbekanntem Duo Jose Bove (Frankreich) und Franziska Keller (Deutschland) bei den Grünen sowie Jean Claude Juncker – wenn er am Freitag die Kampfabstimmung gewinnt – bei der EVP. Deren Kandidatur bringt, so die Wahlforscher, zwar den einzelnen Parteien kaum etwas, trägt aber zur Personalisierung des EU Parlaments bei und sorgt daher zumindest für eine höhere Aufmerksamkeit.