Die bald 130 Jahre alte SPÖ bricht mit der Tradition ihrer Parteigeschichte. Nach dem kürzest dienenden Parteivorsitzenden wird nun mit Pamela „Joy“ Rendi-Wagner gleich einem der jüngsten Parteimitglieder der Steuerknüppel, also der Joystick, für die Führung der großen Oppositionspartei in die Hand gedrückt.
Genau genommen haben viele Beobachter Recht, wenn sie meinen, dass die derzeitige Regierung eigentlich keine Opposition hat. Die Alt-Grünen sind von der parlamentarischen Bildfläche verschwunden und basteln schon seit einem Jahr an einem Neubeginn ohne dass ein solcher erkennbar wäre. Die grüne Spalt-Pilz-Bewegung liegt in allen Umfragen bereits knapp an der Wahrnehmungsgrenze und beschränkt sich auf die Selbstdarstellung ihre Leithammels. Bei den NEOS verabschiedet sich gerade deren Gründer und Aushängeschild in den politischen Ruhestand. Und die SPÖ hat gerade ihre „Chaos-Tage“ mühsam hinter sich gebracht.
Chaos-Tage führten zur Entkernung
Spätestens wenn heute Rendi-Wagner offiziell vom Parteivorstand mit den Insignien der Parteiführung ausgestattet wird, werden flugs engagierte Berater und Strategen versuchen, die Entkernung der SPÖ als einen besonderen Schachzug zu verkaufen. Tatsächlich kann die Situation der Partei aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der SPÖ um einen akuten politischen Notfall handelt. Bis heute wird darüber gerätselt, warum Christian Kern so plötzlich das Handtuch geworfen hat. Dass er seine eigenen Unverkäuflichkeit eingesehen hat und die von ihm erst vor eineinhalb Jahren in die Politik geholte Rendi-Wagner, die über gute Sympathiewerte verfügt, inthronisieren wollte, wird als nachträgliche Ausrede gewertet, um über die Chaos-Tage hinwegzutäuschen.
Kurzfristiger Meinungswandel
Noch im ORF-Sommergespräch ließ Kern keinen Zweifel daran, dass er die Partei trotz merkbarer innerparteilicher Kritik weiterführen werde. Was ihm nicht wirklich abgenommen wurde. In der Partei erzählt man sich, dass Kern schon seit längerem mit der Idee schwanger geht, nachdem er keinen ihm passenden Wirtschaftsjob fand, sich von der österreichischen auf die europäische Ebene abzusetzen. Ermutigt dazu hat ihn unter anderem der desaströse Zustand der SPD. Nach dem Ausscheiden von Martin Schulz fehlt den deutschen Sozialdemokraten ein Spitzenmann für die EU. Ein ehemaliger wenn auch abgewählter Regierungschef könnte da durchaus eine Chance sein, wurde Kern signalisiert, dabei aber übersehen, dass es sehr wohl noch andere Interessenten für die Spitzenfunktion der SPE gibt. Nicht zuletzt spekulierte Kern damit, Emmanuelle Macron, der auf der Suche nach europäischen Bündnispartnern ist, für eine Kooperation zu gewinnen.
Kapitale Fehleinschätzungen
Dass war letztlich der Anlass für Kern, um sich fast über Nacht vom Job des Parteivorsitzenden zu verabschieden und seine EU-Spitzenkandidatur anzukündigen. Was Kern erhofft hatte, traf bloß nicht ein. Teile der Partei erfasste zwar eine Art Erleichterung, dass sich der an sich ungeliebte Kurzzeit-Parteivorsitzende verabschiedet, gleichzeitig wurde ihm allerdings auch signalisiert, dass damit aber nicht unbedingt eine Weichenstellung in Richtung Brüssel getroffen ist. Das müsse sowohl auf österreichischer wie noch mehr auf europäischer Ebene erst ein Parteitag der SPÖ beziehungsweise der SPR entscheiden. Ein so heterogenes Bündnis wie eine Fraktion mehrerer EU-Parteien vor vollendete Tatsachen stellen zu wollen, erwies sich als kapitale Fehleinschätzung. Und was Macron betrifft, so würde dieser mit den Liberalen, aber nicht mit den Sozialdemokraten liebäugeln. Worauf Kern kurzzeitig trotzig reagierte und durchblicken ließ, nur dann bei den EU-Wahlen anzutreten, wenn für ihn eine Spitzenfunktion herausschaue.
Umfragetief ließ Alarmglocken läuten
Nach den sich überschlagenden Ereignisse hatten es sich die Parteigranden zum Ziel gesetzt, bis Mitte Oktober die Personalentscheidung zu treffen. Nicht zuletzt auch, um sich auf den künftigen Kurs der Partei zu einigen. Dabei geht es derzeit vor allem um das Thema Nummer 1, die Migrationspolitik, in der sich der linke Flügel mit den Traditionalisten laufend Wortgefechte liefert. Offensichtlich haben die schlechten Werte einer Blitzumfrage nach der überraschenden Entscheidung Christian Kerns, der Innenpolitik den Rücken zu kehren und sich der EU-Politik zuzuwenden, zur raschen Nachfolgeregelung geführt. Immerhin sank die derzeit größte Oppositionspartei in den letzten Tagen um 3 Punkte ab, um mit der FPÖ gleichauf bei 24 Prozent liegen zu kommen. Gleichzeitig hat sich der Abstand zur Regierungspartei ÖVP auf 10 Prozent vergrößert. Tatsächlich hatte Kern mit seinem Ad-hoc-Aus- und Umstieg die Partei und deren Wähler ziemlich vor den Kopf gestoßen.
Neue Gesichter statt alter Ideologie
Ähnlich wie in vielen europäischen Ländern befindet sich auch in Österreich die sozialdemokratische Bewegung in einer Identitätskrise. Viele Arbeiterwähler sind in den letzten Jahren zur FPÖ übergewechselt, die heute als die eigentliche „Arbeiterpartei“ gilt. Von den alten Klassenkampfthesen hat man sich verabschiedet, für den neuen Mitterstand aber noch kein attraktives inhaltliches Angebot gefunden. Uns so versucht man es nun weniger mit Ideologie, dafür aber mit neuen Gesichtern, von denen man sich mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Akzeptanz erhofft. Das war bereits im Mai 2016 bei Kern so, der sich damals aufgrund seiner Tätigkeit als Generaldirektor der ÖBB als Generalmanager der SPÖ empfahl. Und letztlich scheiterte, weil er die Partei wie der CEO eines Unternehmens führte, dabei deren gewachsene Strukturen nicht beachtete sowie vor allem den mentalen Zugang zur Parteibasis nicht schaffte.
Hoher Reformbedarf für die SPÖ
Die Frage wird nun sein, ob Pamela Rendi-Wagner es gelingt, die SPÖ wieder auf Touren zu bringen. Trotz einer allzu demonstrativen Rückdeckung durch die Parteiorganisationen, begleiten sie bereits vom Start weg einige innerparteiliche Bedenken. Das betrifft insbesondere die SPÖ in der Bundeshauptstadt Wien, die das sozialdemokratische Schwergewicht bildet. Aber auch im Burgendland, in der Steiermark sowie in Teilen der Gewerkschaft trifft man auf viele Kritiker der Ad-hoc-Lösung. Dass sie ein gutes Aussehen hat, auch frei reden kann, wird als ein nicht ausreichendes Qualifikationskriterium betrachtet. Schließlich steht eine Reform an, um jene Partei, deren Mitgliederstand von einst 600.000 auf magere 180.000 Parteibuchbesitzer gesunken ist, die außer in Wien, Kärnten und dem Burgenland keine Rolle mehr in der Landespolitik spielt, wieder flott zu machen.
Das harte Brot der Opposition
Zweifel gibt es vor allem, weil sie nicht bequem in eine Regierungsfunktion einsteigen kann sondern – und das voraussichtlich vier Jahre – harte Oppositionsarbeit leisten muss. Eine Kärrnerarbeit an der in der Ära Kreisky drei ÖVP-Parteiobmänner gescheitert sind. Das harte Lose einer Oppositionsführerin wird ihr noch durch die geringe Erfahrung mit der Parteiorganisation erschwert, die bei der SPÖ schon immer eine große Rolle spielte. Jeder ihrer Vorgänger war ein in tiefer roter Wolle gewaschener Sozialdemokrat. Sie selbst ist ein ideologisch weitgehend unbekanntes Wesen. So trat sie der SPÖ erst einen Tag vor ihrer Bestellung als Regierungsmitglied, also vor eineinhalb Jahren bei und soll nun die Partei repräsentieren, von Grund auf reformieren, fit für die Zukunft machen. Dagegen kann ihr Widerspart Sebastian Kurz, wiewohl um 15 Jahre jünger, bereits auf eine weitaus längere Partei- und vor allem Regierungserfahrung zurückgreifen. Er übernahm 2009 die Junge Volkspartei und wurde 2011 Staatssekretär.