Donnerstag, 21. November 2024
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Richtungsdiskussion in der ÖVP

Bild © CC RemazteredStudio/Pixabay (Ausschnitt)

Wie das Amen im Gebet, so wird eine Diskussion über das Verhältnis zur FPÖ nun auf die ÖVP zukommen.

Bis knapp vor der Präsidentschaftswahl schien es, dass würde die ÖVP die Beziehungen zur FPÖ verkümmern lassen beziehungsweise zum Zuschauer einer neuen Entwicklung degradiert werden. Gebannt blickte die Volkspartei auf die Versuche der SPÖ, ihr über drei Jahrzehnte gestörtes Verhältnis zu den Freiheitlichen neu zu ordnen. 1986 hatte bekanntlich der damalige Parteivorsitzende und Bundeskanzler Franz Vranitzky eine rot-blaue Koalition per Parteitagsbeschluss zu einem „No go“ erklären lassen. Bis dass 2015 der Burgenländer Hans Niessl diese Blockade durchbrach und sich mit Hilfe der FPÖ, die er in die Landesregierung holte, den Landeshauptmann sicherte.

Rückholaktion ehemaliger SPÖ-Wähler

Nachdem sich über Jahre hinweg die FPÖ die Stimmen der Arbeiter und so genannten Wohlstandsverlierer aus dem sozialdemokratischen Lager gefischt hatte und so zur eigentlichen Arbeiterpartei aufgestiegen war, sahen viele in der SPÖ ihr Heil nur darin, den potentiellen Gegner an die Brust zu nehmen. Niessl leistete dabei gewissermaßen Pionierarbeit. Als im Mai dieses Jahres Christian Kern als Nachfolger von Werner Faymann in den Parteiolymp geholt wurde, war es eine seiner ersten Ansagen, dass er jene Arbeitnehmer, die in den letzten Jahren der SPÖ den Rücken gekehrt hatten, wieder zurückholen möchte. Und er machte Ernst mit der Ansage, indem er zunächst bemüht war, sein Verhältnis zu FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zu ordnen. Bisheriger Höhepunkt war seine öffentliche Diskussion mit dem freiheitlichen Spitzen-Mann, die allgemein als „Kuschel-Duell“ bewertet wurde.

Lopatka hisst Flagge

Nachdem dieses gerade mal 10 Tage vor der Präsidentschaftswahl stattfand, sorgte dieses Ereignis für Verwirrung. Sowohl bei der SPÖ als auch noch mehr bei der ÖVP. Einerseits bedeutete die rot-blaue Annährung für so manche Sozialdemokraten, dass mangels eines eigenen Parteikandidaten sehr wohl auch Norbert Hofer wählbar wäre. Andererseits schrillten auf ÖVP-Seite geradezu die Alarmglocken, dass nun ein potentieller Regierungspartner abhandenkommen könnte. Klubobmann Reinhold Lopatka preschte – im Wissen beachtliche Teile der Abgeordneten und Funktionäre hinter sich zu haben – mit der Äußerung an die Öffentlichkeit, dass er Hofer eigentlich für den geeigneteren Mann in der Hofburg halte. Das Kalkül dabei war auch klar. Sollte Hofer die Wahl gewinnen, dann waren die ÖVP-Stimmen dafür ausschlaggebend und dies könnte in weiterer Folge Wegbereiter für einen Deal der Schwarzen mit den Blauen sein.

Mitterlehner auf Sozialpartner-Kurs

Lopatkas Hofer-Statement, der sich dafür auch noch einen Rüffel seines Parteichefs geholt hatte – machte eine Spaltung der Volkspartei offenkundig. Hatte sich doch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kurz zuvor auch nicht an die Weisung des Parteivorstandes gehalten (sich aber durchaus nicht selbst gerüffelt) und erklärt, dass Alexander van der Bellen besser für das Image Österreichs in der Welt sei. Dahinter kam einmal mehr zum Vorschein, dass der so genannte Sozialpartnerflügel trotz aller Zerwürfnisse und gegenseitigen Vorwürfe noch immer Anhänger einer Koalition mit der SPÖ ist. Gleichzeitig will sich ein anderer Teil der Partei – zu ihr zählt auch Außenminister Sebastian Kurz – längst von den Fesseln der Vergangenheit lösen und strebt daher einen Wechsel, eine andere Art von Politik an. Sichtbar wurde diese Einstellung in Nachwahlanalyse, wonach etwa 60 Prozent der ÖVP-Klientel Van der Bellen, aber immerhin gute 40 Prozent Hofer wählten.

Geschichtliche Wurzeln

Das Verhältnis der beiden bürgerlichen Parteien war eigentlich durch Jahrzehnte vom Konkurrenzdenken bestimmt. Nicht ganz zu Unrecht. Schließlich war es die SPÖ, die bereits Ende der 1940-er Jahre (nicht zuletzt auch weil sie das Innenministerium beherrschte) Bemühungen des so genannten dritten Lagers unterstützte, wieder als Partei auftreten zu dürfen. Zunächst in Form des VdU, des Verbandes der Unabhängigen und ab 1955 als FPÖ. Tatsächlich war es auch das Ziel der Sozialisten die ÖVP, die fast wider Erwarten bei der ersten Nationalratswahl 1945 die absolute Mehrheit gewann, zu schwächen. Was auch gelang. Als dann Bruno Kreisky die Aussöhnung mit dem dritten Lager betrieb und die FPÖ salonfähig machte, stand die ÖVP fast fassungslos da.

Mock reichte FPÖ die Hand

Es war dann Alois Mock, der systematisch ab Beginn der 1980-er Jahre den Kontakt zu den Freiheitlichen pflegte. Nicht einmal hatte ihm der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl geraten, sich doch aus der Umklammerung der großen Koalition zu lösen und eine Regierung mit der drittstärksten Partei zu bilden. Was nur wenige wissen, 1983, als die SPÖ die absolute Mehrheit verloren hatte, machte Mock FPÖ-Obmann Norbert Steger ein Angebot, Gespräche zur Bildung einer Regierung aufzunehmen. Bloß Steger war damals Verbündeter der SPÖ und für keinen Wechsel zu haben. Erst ab dem Zeitpunkt da Jörg Haider in der FPÖ ans Ruder kam, änderte sich die Situation. Wesentlich dafür war eine Reihe von sehr persönlichen Kontakten, die seit Jahren bestanden. Und auch Haider selbst war davon überzeugt, dass eine schwarz-blaue Koalition die bessere Variante sei. Bloß im Parteivorstand der ÖVP gab es dafür 1987, als über die neu zu bildende Regierung abgestimmt wurde, nicht den Funken einer Mehrheit. Es dauerte bis zum Jahr 2000, dass es Wolfgang Schüssel gelang, ein ÖVP-FPÖ-Bündnis zu schmieden.

Schwarz-blaue Brückenbauer

Auch nach 1982, der Spaltung der Freiheitlichen, und nach 1986, als wieder die SPÖ zurück an den Ballhausplatz kehrte, gab es starke Bande der Volkspartei zur FPÖ. So galten sowohl Wirtschaftsminister Martin Bartenstein als auch Langzeit-Abgeordneter Josef Höchtl als Verbindungsleute. Mit deren Abschied aus der Spitzenpolitik wurde das Beziehungsgeflecht dünner. Dafür allerdings gab es auf FPÖ-Seite, etwa durch Volksanwalt Peter Fichtenbauer, immer wieder Bemühungen, die Volkspartei von der Sinnhaftigkeit einer engeren Zusammenarbeit zu überzeugen. So vor allem in der Bundeshauptstadt Wien, wo die Zeit schon seit Längerem reif ist, die überhebliche SPÖ und die mit ihr verbündeten Grünen von einer starken Oppositions-Phalanx auf den Boden der Realität geholt zu werden.

Die Probleme sind unverändert aktuell

Mit der endgültigen Wahl des Bundespräsidenten, der Ankündigung Ende Jänner eine überarbeitete 2. Auflage des Regierungsprogramms vorzulegen und damit der Abkühlung eines überhitzten innenpolitischen Klimas scheint die Politik wieder zur Tagesordnung überzugehen. An der Wechselstimmung im Land dürfte dies aber vorerst kaum etwas ändern. Man muss dazu in den Umfragen nicht so sehr die ohnedies bekannten und sich kaum verändernden Parteipräferenzen lesen als vielmehr nachblättern, wo den Menschen der Schuh drückt. So zählt „Einwanderung“ in ländlichen Regionen mit 48 Prozent und „Arbeitslosigkeit“ mit 38 Prozent in den Ballungszentren zu den drängendsten Problemen. Und was die Zukunft betrifft, so sind zwar 62 Prozent der befragten Großstädter aber nur 39 Prozent der Menschen auf dem Land optimistisch. Auch an der Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierungspolitik hat sich nichts geändert.

Seit 1986 gibt es bürgerliche Mehrheit

Seit 1986 gibt es bei allen Nationalratswahlen eine Mehrheit von Mitte bis Rechts. Trotzdem wurde das Land – mit Ausnahme der Jahre von 2000 bis 2006 – durchwegs von SPÖ-Bundeskanzlern regiert. Ob sich daran etwas ändern sollte, dürfte eine der großen Fragen werden, die innerhalb der ÖVP in den nächsten Monaten zu Richtungsdiskussionen führen werden. Aufgebrochen ist sie im Zuge des Endwahlkampfes zur Präsidentschaftswahl.

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