Donnerstag, 21. November 2024
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Sebastian Kurz vor der Meisterprüfung

Bundeskanzler Sebastian Kurz / Bild via flickr (Ausschnitt), Public Domain Mark 1.0

Jetzt steht Österreich in der Auslage und sollte sich von seiner besten Seite zeigen – nicht von der schlechtesten…

Es  muss für ihn wie ein Schlag in die Magengegend gewesen sein: Als Sebastian Kurz kürzlich in Straßburg vor den EU-Abgeordneten als neuer Rats-Präsident eine Rede hielt, waren von den 751 Parlamentariern gerade mal so um die 50 anwesend. Damit erging es Österreichs politischen Shooting Star etwas besser als Malta, denn bei der Premiere des Inselstaats waren damals im Plenum gar nur 30 Abgeordnete zugegen – in beiden Fällen hatte sich das Europa-Parlament auf Grund des Desinteresses und der Ignoranz jedenfalls der Lächerlichkeit preisgegeben.

Nachdem der Kanzler nach seinem gar nicht so schlechten Auftritt von Guy Verhofstadt, dem belgischen Fraktionschef der Liberalen, nach allen Regeln der Kunst noch abgekanzelt wurde, musste ihm allerspätestens bewusst sein, dass der rot-weiß-rote Ratsvorsitz, also so etwas wie seine Meisterprüfung, alles andere als das reine Vergnügen sein wird. Verhofstadt forderte Kurz auf, nicht ständig über die Migrationskrise zu lamentieren, sondern lieber die Realität zu beachten – die so ausschaut: Der deutsche Innenminister Seehofer möchte keine Flüchtlinge – er beabsichtigt, sie nach Italien, Österreich und Ungarn zurück zu bringen. Der Italiener Salvini mag keine Flüchtlinge – er möchte die nach Deutschland, Österreich und Ungarn abschieben. Der Ungar Orbán, der ein Freund von Salvini ist, will keine Flüchtlinge – und er sagt: nein, nein, nein, nicht in Ungarn, die sollen in Italien, Österreich und Deutschland bleiben. Und Herr Kurz ist ebenfalls gegen Flüchtlinge in seinem Land – daher sollen die am besten in Italien, Deutschland und warum nicht auch in Ungarn wohnen.

Wissen Sie, fragte Verhofstadt daraufhin, was hier das Problem ist? Seine Antwort: „Dass der einzige Konsens, den der EU-Rat, sprich: sämtliche Premierminister finden, darin besteht, dass alle sagen: Flüchtlinge ja, aber nicht in meinem Land.  Und damit haben wir es mit einer politischen Krise zu tun, die auf dem Rücken der Migranten ausgetragen wird.“ Der belgische EU-Evergreen verlangt vom  österreichischen Kanzler, beim Thema Nummer Eins nicht auf die populistisch-nationalistische Karte zu setzen, sondern in seiner neuen Rolle einen Beitrag zu konstruktiven, gesamt-europäischen Lösungen zu leisten.

Gefahren lauern überall

Das zentrale Problem für die Wiener Regierung werden in den nächsten Wochen wohl Deutschlands Pläne sein, den  Grenzschutz neu zu gestalten und unliebsame Flüchtlinge schleunigst abzuschieben. Dass es dabei zwischen Kurz und Seehofer, die vor kurzem noch dicke Spezis zu sein schienen, ordentlich krachen wird, ist absehbar. Obendrein zeichnet sich ab, dass der vage Kompromiss zwischen der deutschen Kanzlerin Merkel und ihrem störrischen Innenminister, der eine schwere Regierungskrise ausgelöst hat,  längst noch nicht in trockenen Tüchern  und das Verhältnis der Unionsparteien CDU und CSU nach wie vor alles andere als paletti ist. Wie sich Österreich in dieser heiklen Konfrontation mit dem großen Nachbarn schlägt, wird EU-weit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Aber nicht nur das.

Klar ist: Die Republik steht ab sofort ein halbes Jahr lang sozusagen in der Auslage und hat die Chance, ihr Image aufzupolieren, sofern sie im Stande ist, sich von ihren besten Seiten zu zeigen, also zum Beispiel ein perfekter Gastgeber zu sein und letztlich auch inhaltlich etwas weiterbringen zu können. Gleichzeitig ist aber das Risiko nicht zu unterschätzen, dass genau das Gegenteil herauskommt – falls sich das Land von der schlechtesten Seite präsentieren sollte. Es könnte nämlich durchaus passieren, dass bei wichtigen Themen weiterhin keine Einigkeit erzielt wird und folglich absolut nichts weitergeht.

Bei der Frage, wie Österreich auftreten soll, um eine positive Resonanz zu schaffen, tun sich zweifellos  zahlreiche Gefahren verschiedenster Natur auf, die einen Erfolg der Rats-Präsidentschaft vermasseln könnten. Deshalb müsste speziell auf einige ganz wichtige Aspekte mit besonderer Sensibilität geachtet werden – bloß fünf davon wollen wir an dieser Stelle exemplarisch hervorheben:

  • Kanzler Kurz, der bisher extrem geschickt internationale Kontakte – von Emmanuel Macron über Xi Jinping und Vladimir Putin bis Benjamin Netanyahu – einfädeln konnte, wäre gut beraten, zu rechtspopulistischen Enfants Terribles  wie Viktor Orban auf Distanz zu gehen; unterlässt Kurz das, könnte er aus ausländischer Sicht selber endgültig dieser politisch suspekten Ecke zugeordnet werden;
  • Die FPÖ wiederum würde dem Land einen riesigen Dienst erweisen, falls sie sich endlich dazu durchringen könnte, in Bälde aus der rechtsextremen Parlamentsfraktion ENF („Europa der Nationen und der Freiheit“) auszutreten. Das Nahverhältnis der Blauen zur französischen Ikone des Rechtspopulismus, Marine Le Pen,  oder zum italienischen Lege-Chef Matteo Salvini schadet zweifellos dem Ansehen Österreichs in aller Welt;
  • Der unter neuer Führung offenbar in Rage geratene Gewerkschaftsbund, aber auch die oppositionelle SPÖ wiederum sollten sich schleunigst wieder abregen, weil die dümmliche, weil in der Sache manipulativ untermauerte Protestwelle gegen den „12-Stunden-Tag“ und die vermeintliche  „60-Stunden-Woche“ nicht bloß denkenden Menschen gegen den Geist geht, sondern obendrein geeignet ist, jenseits der Grenzen  als Lachnummer interpretiert zu werden;
  • Wenn der Untersuchungsausschuss in der Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) am 4. September im Parlament die Arbeit aufnimmt, könnte unter Umständen ebenfalls Gefahr in Verzug: Abgesehen davon, dass diese scheinbare Staatsaffäre  schon grotesk genug ist, tauchen laufend weitere  Kuriositäten auf: Wenn beispielsweise in ausländischen Medien publik werden würde, dass  bloß jede fünfte der 76.000 Seiten an vorgelegten Dokumenten nicht als „vertraulich“, „geheim“ oder „streng geheim“ eingestuft wurde, dann gute Nacht…
  • Schließlich müssten sich auch alle Bundesminister redlich bemühen, für absehbare Zeit von politischen Hoppalas Abstand zu nehmen. Bestes Beispiel sind Herbert Kickls Polizei-Pferde, die erstens noch gar nicht vollzählig vorhanden sind, aber bereits für enormen Gesprächsstoff sorgen. Die aktuellsten Meldungen besagen, dass sie mit teuren Plastikhufen bestückt werden müssen, um die Straßen der Wiener Innenstadt nicht zu zerstören – weshalb sich das Projekt erheblich verteuern wird…

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