Der in den letzten Tagen so als „Sturbock“ gelästerte CSU-Vorsitzende und deutsche Innenminister hat den wohl entscheidenden Beitrag in der Asyldebatte erzielt.
Für den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz war das Ergebnis des EU-Asylgipfels von Freitag letzter Woche eine Art „Trendwende“, weil in den Köpfen der Regierungschefs ein „Umdenken in ihren Köpfen“ stattgefunden hatte. Sogar der Chef von Frontex sprach von einem „Ende der Naivität“. Nach fruchtlosen, monatelangen Diskussionen konnte man sich endlich auf einen wirksamen Außengrenzschutz unter anderem durch die Errichtung von Auffanglagern außerhalb der EU verständigen. Das war möglich geworden, nachdem sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel überzeugen ließ, dass ihre Politik der offenen Grenzen aufgrund der Realität weder von der Mehrheit der Bevölkerung noch von der Mehrheit der europäischen Regierungschefs mitgetragen wird. Einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leistete Kurz, der noch vor Beginn der EU-Ratspräsidentschaft mit den wichtigsten Spitzenpolitikern konferiert, die Balkan- und Visegradstaaten in seine Überlegungen miteingebunden, einen Schulterschluss mit der CSU geschlossen hatte.
Jetzt macht das Asylpaket Sinn
Für Seehofer war freilich das Ergebnis des Brüsseler Gipfels nicht ausreichend, weil es den wesentlichsten Punkt ungelöst liegen ließ. Nämlich dass die Wanderschaft der Flüchtlinge quer durch Europa, um sich einen Platz in jenem Land zu suchen, wo es sich am bequemsten und mit dem besten sozialen Netz leben lässt. Weil sich Merkel dazu nicht bereit erklärte, Asylsuchende (von denen etwa 75 Prozent nur noch Wirtschaftsflüchtlinge sind) bereits an der deutschen Grenze abzuweisen, setzte der Bayer alles auf eine Karte. Und gewann schließlich. Die Einigung auf die Errichtung von so genannten Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze ergibt zusammen mit dem Ergebnis des Brüsseler Gipfels ein Paket, das sich sehen lässt und auch der Öffentlichkeit gut verkaufbar ist. In Bayern, wo man damit bei den Landtagswahlen punkten kann. In vielen europäischen Staaten, so auch in Österreich, wo laut einer Profil-Umfrage 72 Prozent gegen und nur 15 Prozent für Merkels Asylpolitik waren.
Den Bogen überspannt
Einen Fehltritt der Sonderklasse leistete sich der ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas noch am Sonntagabend in einer TV-Diskussion als er angesichts der harten Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU über notwendige Maßnahmen in der Asylpolitik meinte, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel solle ihre Richtlinienkompetenz wahrnehmen und Innenminister Horst Seehofer entlassen. Das Kabinett von Bundeskanzler Kurz ließ diesen verbalen Ausritt unkommentiert. Einmal mehr aber hatte Karas, wie zu hören ist, den Bogen überspannt. Schon seit Jahren vertritt der Schwiegersohn des ehemaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim eine EU-Politik, die in wichtigen Fragen bewusst eine Kontrapunkt-Position zur eigenen Partei und Regierung bezieht. Auf entsprechende Rügen reagierte er stets nicht nur mit einer Trotzhaltung sondern auch gerne damit, eine eigene Kandidatur bei den nächsten Europawahlen nicht auszuschließen. Und, so hieß es gerüchteweise, es gäbe sogar Wahlkampffinanziers. Der Zeitpunkt, sich davon nicht beeindrucken zu lassen, könnte in der ÖVP bald angebrochen sein, wenn man den innerparteilichen Kommentaren folgt.
Auch Opposition trägt Verantwortung
Gerade die aktuellen Ereignisse in Deutschland haben freilich einmal mehr unterstrichen, welche große Herausforderung die EU-Ratspräsidentschaft für Österreich bedeutet. In einer solchen Situation heißt es auch für die verantwortungsbewusste Opposition eine gewisse Einkehr zu halten, um im Interesse Europas zu einem Erfolg beizutragen. Alt-Kanzler Wolfgang Schüssel hat erst vor kurzem in einem kleinen Kreis darauf verwiesen, dass es ein solches akkordiertes Vorgehen zwischen Regierung und Opposition bei den beiden früheren österreichischen Ratspräsidentschaften 1998 und 2006 schon gegeben hatte. Daran darf sich auch die neue NEOS-Parteiobfrau Beate Meinl-Reisinger ein Beispiel nehmen, die voreilig davon sprach, dass sich Kurz aufgrund seines Schulterschlusses mit der CSU nicht als „Brückenbauer“ sondern als „Sprengmeister“ fühlen darf. So schnell kann man sich irren.
Sünden der Vergangenheit
Die Debatte um den Kurs der deutschen Flüchtlingspolitik hat wieder einmal deutlich gemacht, wie falsch so manche Meinungsmacher mit ihren Prognosen liegen können. Horst Seehofer gehört nicht zu den beliebtesten Spitzenpolitikern, das bekam er auch von manchen Medien zu spüren. Dafür ist er aber wohl einer, der mit Konsequenz ein Ziel verfolgt, wenn er davon auch entsprechend überzeugt ist. Schon als bayerischer Ministerpräsident war er mit der Willkommenspolitik von Angela Merkel nicht wirklich einverstanden. Als er jetzt das Innenministerium übernahm, musste er erst recht erkennen, welche Missstände in der in Bremen ansässigen Asylbehörde herrschten. Da wurden Schleuser und Geheimdienstler einfach durchgewunken, Asylbescheide serienweise manipuliert, wichtige Sicherheitsüberprüfungen unterlassen. Und Seehofer begann mit dem Aufräumen.
Kampfansage dem Asyltourismus
Im Ministerium wurde er auch von den Experten aufmerksam gemacht, dass eine neue Flüchtlingswelle auf Europa zuströmt. Und da ging es ihm darum zu verhindern, dass eine Situation wie 2015 eintritt, wo Flüchtlinge massenhaft unkontrolliert über die Grenzen einreisen konnten. Daher ließ er ein 5 Punkte umfassendes Maßnahmenpapier ausarbeiten, das – wie Experten urteilten – mehr als nur konsensfähig war. Und daher sollten nun ab 1. Juli Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hatten und nun nach Deutschland einreisen wollten, schlichtweg zurückgewiesen werden. Nach dem auch rechtlich gedeckten Grundsatz, dass es keinen Asyltourismus geben kann. Und Österreich hätte gewissermaßen im Gleichschritt ähnlich an seinen südlichen und südöstlichen Grenzen gehandelt.
Merkels Uhr läuft langsam ab
Es dürfte wohl eine Art „Altersstarrsinn“ gewesen sein, dass Merkel so lange auf ihrem Standpunkt beharrte. Erst als sie merkte, dass sich innerhalb Europas ein Stimmungswandel abzeichnet und ihre Haltung nicht mehr mehrheitsfähig ist, schwenkte sie ein. Wenngleich sie in den letzten Konflikttagen auch Rückendeckung durch einige CDU-Parteigranden erhielt, so hat Seehofer jetzt erst recht jene Debatte beflügelt, die schon seit einiger Zeit schwelt und davon spricht, dass die Amtszeit der Bundeskanzlerin abzulaufen beginnt. Wenngleich sie es verstanden hat, in der Vergangenheit potentielle Nachfolger – wie etwa den seinerzeitigen Fraktionschef Friedrich Merz – rechtzeitig auszuschalten, so dürfte nun doch die Zeit anbrechen, dass man sich auf die Suche nach einer neuen Führungspersönlichkeit macht. Die von ihr eingesetzte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte da nur noch Außenseiterchancen haben. Denn nach dem ganzen Theater der letzten Tage will man sich die Kanzler(in)-Nachfolge nicht auch noch von ihr diktieren lassen, heißt es mittlerweile auch nördlich des Weißwurstäquators.