Als Mario Draghi unlängst von einem führenden deutschen Wochenmagazin zu den Beweggründen seines Kollegen Asmussen befragt wurde, die EZB zu verlassen, hatte er keine rechte Erklärung. Die gibt es auch nicht. Denn es ist nicht einsehbar, warum ein Amt mit so viel Unabhängigkeit und Prestige wie das des Direktors und des Mitglieds im Direktorium der EZB aufgegeben wird, um als Gehilfe bei Ministerin Nahles im Sozialministerium anzuheuern.
[[image1]]Ist etwa zu befürchten, dass Draghi, nachdem das Europäische Gericht die Klage von mehr als 5.000 Bürgern gegen die OMT-Maßnahmen abgelehnt hat, zu größeren Schlägen ausholen will und Asmussen fürchtet, dies nicht länger mittragen zu können? Wir werden bald mehr darüber wissen, denn in absehbarer Zeit dürfte das Bundesverfassungsgericht sich zur verfassungsrechtlichen Legalität von ESM und OMT-Programm äußern.
Eins ist klar: Draghi ist im Unterschied zu seinem Vorgänger Trichet nicht der höfliche auf Konsens und Einbindung Deutschlands bedachte, behutsame, auf die Ausgewogenheit des deutsch-französischen-Verhältnisses achtende, integrative Diktator. Er ist vielmehr nach eigenem Selbstverständnis souveräner Diktator: frei von rechtlichen Regelungen will er alle Instrumente der EZB dazu nutzen, um das Eurosystem und dessen südliche Peripherie in demselben zu verteidigen. Während Trichet in der Form und im Inhalt diskursiv und argumentativ auftrat und obschon aufgrund seiner Vorbildung gegenüber Widerspruch stets abgeneigt und Kritik gegenüber ablehnend eingestellt, zumindest auf seine Diskussionspartner einging, ist die Diskussion mit Draghi völlig sinnlos. Sein Weltbild steht fest. Durch die großzügigen Liquiditätszuführungen für Kreditinstitute seien Bankenkollapse vermieden worden und befinde sich das Eurofinanzsystem auf dem Wege der Stabilisierung und könne die Eurozone nach langen Jahren der Rezession wieder mit einer konjunkturellen Belebung rechnen. Kein Wort zu den destabilisierenden Wirkungen der im europäischen Finanzsystem umherschwappenden Liquidität, die die Banken nicht dazu nutzen wollen, Unternehmen oder Verbrauchern Kredite zu gewähren, sondern einträglichere Geschäfte (Carry Trades) zu tätigen, die für sich genommen nur dann rentierlich bleiben, wenn alle Wetten aufgehen.
Grenzfall der Interpretation
Besonders realitätsresistent ist Draghi dann, wenn es darum geht, zu erklären, wieso die Sparer der Eurozone, unter ihnen insbesonders die Anleger der Überschussländer, die Zechen der Nullzinspolitik, die sein Haus seit geraumer Zeit betreibt, zahlen sollen. Hier handelt es sich nicht länger um einen Grenzfall der Interpretation, sondern um eine Täuschung des Publikums: Draghi meint allen Ernstes damit überzeugen zu können, dass er darauf hinweist, die niedrigen Zinsen der Kurzläufer seien nicht das Ergebnis seiner Leitzinspolitik, sondern ein Produkt der internationalen Kapitalbewegungen in die Nordländer hinein. Dass er bzw. die EZB unter italo-französischem Einfluss durch Nullzinspolitik und mit einer Aufweichung der Kollateralanforderungen eine Geldpolitik zu Gunsten der Schuldenländer betreibt, will er nicht anerkennen.
Ebensowenig will er zur Kenntnis nehmen, dass in den allermeisten Ländern die Schuldstände weiter wachsen und dies insbesondere in Frankreich, dem Europameister der Besitzstandswahrung, einem Land das noch dazu allen anderen Mitgliedern der Eurozone ständige Lektionen erteilt, wie sie ihre Wirtschaft zu organisieren haben.
Politik für die gesamte Eurozone
Die Deutschen hätten, so Draghi, nicht verstanden, dass er keine Politik für einzelne Länder, sondern eine Politik für die gesamte Eurozone zu betreiben habe. Darüber hinaus könne er nicht akzeptieren, dass die Deutschen eine perverse Angst hätten und der Irrlehre anhingen, dass er als Italiener die Währung zerstören würde.
Draghi scheint einst nicht verstanden zu haben: Der Chef einer Zentralbank, insbesondere einer supranationalen Zentralbank mehr, lebt vom Vertrauen der Bevölkerung. Dieses Vertrauen baut sich, wie die Geschichte der Bundesbank lehrt, langsam auf. Erst wenn es zerstört ist, wird man sich bewusst, was man hiermit auch kollateral zerstört hat. Draghi hat, noch bevor er Präsident der EZB wurde, um die Deutschen in der Bild Zeitung geworben. Keiner glaubte ihm, denn wer um Vertrauen wirbt, nutzt nicht derartige Foren, sondern überzeugt durch Taten. Alle seine Maßnahmen und insbesondere die gezielte fiskalische Privilegierung der Verschuldungspolitik der Südländer zeigen, dass er eben keine Politik für die gesamte Eurozone betreibt, sondern seine Machtposition als EZB-Präsident dazu nutzt, um die fiskalischen Probleme Italiens und Frankreichs zu verschleiern und die Reformanreize durch eine Nullzinspolitik zu beseitigen. Er ist heute bereits der nützlichste Verbündete der Franzosen geworden, die die größten Profiteure des Doppelspiels von Draghi und Constancio sind. Constancio die Marionette Draghis, der Yes-man, der bei den Pressekonferenzen von Draghi wie ein Notar mit dem Kopf nickt, um ein Kaufvertrag zu besiegeln, veranschaulicht die Machtverteilung in der EZB.
Die Frage ist: Wann werden die Anleger nicht nur in den Nordstaaten der europäischen Währungsunion mobil und was muss Draghi noch alles zusammen mit seinem französischem Kollegen Benoît Cœuré anstellen, um den Widerstand der Straße zu provozieren. Denn bislang sind die blutleeren Proteste von Bundesbankpräsident Weidmann, trotz des wirtschaftlichen Gewichtes Deutschlands, ohne jede Wirkung innerhalb der EZB geblieben. Die tendenziell Verbündeten der Bundesbank im Direktorium – Yves Mersch und Peter Praet- repräsentieren Länder, die nicht groß genug sind, um Deutschland beizuspringen.
Ruhen also alle Hoffnungen auf Sabine Lautenschläger, deren Kandidatur für das Direktorium auch von Herrn Draghi ernst genommen wird.
Er schätze ihre Arbeit als Aufseherin, lässt sich Draghi in dem besagten Gespräch mit dem deutschen Wochenmagazin zitieren. Es ist zu hoffen, dass Frau Lautenschläger sich nicht in eine Aufseherecke drängen lässt, sondern ihr Mandat als Mitglied des Direktoriums der EZB im vollen Umfang wahrnehmen wird. Sie hat jedenfalls vor niemandem Angst, weder vor Signor Draghi, noch vor dessen französischen Verbündeten im Direktorium.