Donnerstag, 7. November 2024
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Sind wir zum Wachstum verdammt?

Ja. Wenn wir länger und gesünder leben wollen. Außerdem haben wir durch unsere Schuldensucht künftiges Wachstum bereits vorweggenommen. Aber das Wachstum wird anders aussehen als heute.

[[image1]]Leidenschaftlich unterstellt das post-materialistische Europa dem kapitalistischen Produktionssystem krankhafte Wachstumssucht. Besorgt weist man darauf hin, dass es unendliches Wachstum in der Natur nicht gebe.
Das ist umso interessanter, als es vor allem marxistische Systeme waren, die in Fünf-Jahres-Plänen von immer noch ehrgeizigeren Wachstumsraten phantasierten, wie der tschechische Ökonom Thomas Sedlacek einmal bemerkte. „Erfinder“ oder „Vertreter“ des Kapitalismus wie Adam Smith und Joseph Schumpeter waren dem Wachstumswahn übrigens ganz und gar nicht verfallen. Sie hatten eher das Ziel einer Wirtschaft im Gleichgewicht vor Augen.

Wachstum vorweggenommen

Bis in die 1960er herrschte in Europa das Dogma vor, der Staat dürfe nur soziale und ökonomische Rahmenbedingungen organisieren. Für Wirtschaftswachstum seien die privaten Betriebe zuständig. Keinesfalls dürfe sich der Staat verschulden, und als Nachfrager den Wirtschaftskreislauf ankurbeln. So war auch 1956 das letzte Jahr, indem die Republik auf ein ausgeglichenes Budget verweisen konnte. Fortan nahm der Staat jedes Jahr neue Schulden auf (bzw. versprach er sie vor Wahlen als Wahlgeschenke) und heizte so die Wirtschaft und ihr Wachstum an.

Österreichs Bürger liebten den „Sozialpolitiker“ Kreisky, weil er ihnen zur Wahl 1971 15.000 Schilling Heiratsbeihilfe versprach, ein andermal dann 10.000 Schilling Geburten-Beihilfe spendierte. Was nur wenige Österreicher wissen: Jeder Penny, der nach der Wahl zur Finanzierung von Wahlversprechen aufgenommenen werden musste, existiert auch heute noch in dieser Höhe. Denn westliche Staaten tilgen nicht. Aus Prinzip schon nicht – sie zahlen immer nur die Zinsen. Für eine Milliarde, die man 1972 aufgenommen hatte, wurden (bei Zinsen von 4% p.a.) in 40 Jahren nun schon 160% Zinsen bezahlt.

Genau diese Zinsen (für mittlerweile 220 Milliarden Euro Schulden) sind es, die über höhere Steuern die Realeinkommen kürzen. Man wächst „heute“ langsamer, weil man „gestern“ dafür schneller gewachsen ist.

Natürlich kann eine Gesellschaft beschließen, nicht mehr vordringlich wachsen zu wollen. Dann muss sie aber auch auf Gehaltserhöhungen und höheren Konsum verzichten. Beides, mehr Geld ohne mehr Anstrengung – das gelingt nur in den Heilsversprechungen unserer Sozialpolitiker.

Mit Wachstum gesünder leben

Was den wenigsten Menschen bewusst ist: Ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine Verlängerung des Lebensalters und kein Zurückdrängen tödlicher Krankheiten.
Gelingt es einem Erfinder in einer Stadt, rosarote Limonade herzustellen und zu verkaufen, dann sorgt die Zentralbank eines Landes für neue Banknoten im Wert seiner jährlichen Wertschöpfung.

Ein Teil dieser Wertschöpfung geht nun aber in Form von Sozialversicherungsbeiträgen, Lohn-, Kommunal-, Körperschaft- und Umsatzsteuern an den Staat. Der erfolgreiche Limonadenunternehmer produziert damit Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die es ohne ihn nicht gegeben hätte. Je erfolgreicher die Firmen einer Gesellschaft sind, desto mehr Umsätze und Gewinne produzieren sie – und desto mehr Steuern stehen nun für neue Krankenhäuser, bessere Medikamente und fortschrittlichere Behandlungsmethosen zur Verfügung.

Krebs: -20%

Es ist (den Resten) unserer kapitalistischen Wettbewerbsordnung zu verdanken, dass die Kassen europäischer Gesundheitsakteure stets gut gefüllt waren. Starben in Europa 1990 noch 102 (von 100.000 Menschen bis zu 64 Jahren) an Krebs, so waren es im Jahr 2000 nur mehr 90, 2010 gar nur mehr 79 (1)! Ein Rückgang von 23 Prozent!
Genauso sanken auch die Herz-, Kreislauferkrankungen: Von 116 Fällen (je 100.000) im Jahr 1990 auf heute 100 (-14%). Erkrankungen des Verdauungstraktes verringerten sich in diesem Zeitraum von 22 auf 18.

Geht’s der Wirtschaft gut, dann leben wir länger

Ganz besonders deutlich erkennt man den lebensverlängernden Effekt von Wirtschaftswachstum an der Verlängerung der Lebenserwartung. Je stärker Regionen (und damit Markteinkommen) wachsen, desto stärker steigt die Lebenserwartung.
Die UNO-Unterorganisation FAO kam in ihrem letzten Bericht zum erfreulichen Ergebnis, dass das Wirtschaftswachstum in den meisten Entwicklungsländern in den letzten 20 Jahren stark gestiegen ist. In Ostasien ist das Wirtschaftswachstum von 7% in den 1990ern auf über 8% jährlich in den 2000ern gestiegen. Parallel dazu erhöhte sich die Lebenserwartung um 6,2 Jahre (2). Im Mittleren Osten reichte schon ein Wirtschaftswachstum von 2,2% aus, um die Lebenserwartung um fast 9 Jahre (!) ansteigen zu lassen. Allerdings von einem niedrigeren Niveau aus. Und selbst in Europa und in den USA genügte ein moderates Wachstum, um die Lebenserwartung noch weiter zu toppen.

Einzig in den Sub Sahara Ländern sank die Lebenserwartung. Dies ist auf die (v.a. im Gegensatz zu China oder Indien) geringere Unternehmens- und Innovationskraft afrikanischer Gesellschaften zurückzuführen. Vereinfacht gesagt: Wer nicht produziert, kann nicht an der Globalisierung teilnehmen und teuer in den Westen verkaufen. Damit gibt es aber auch keine Steuereinnahmen.

Das „andere“ Wachstum

Wir brauchen Wachstum, weil wir „wachsen“ wollen – und „länger leben“ meinen. Weil mehr Wohlstand bessere Lebensbedingungen bedeutet und dieser uns (länger) gesünder sein lässt.

Immer weiter wachsen bedeutet ja nicht, dass wir irgendwann in zwei statt in einem Bett schlafen müssen. Aber es bedeutet, dass unser Bett eines Tage nicht mehr aus Eisen ist und 200 Euro kostet, sondern aus Ulmen-Vollholz besteht und 1.000 Euro kostet.

Und dass guter Schlaf für ein langes Leben unerlässlich ist, ist sowieso unbestritten.

 

(1)The European Health Report 2012
(2) The State of Food Insecurity in the World 2012, FAO (UNO)

 

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