Die Fäden laufen in Salzburg zusammen: Dort sollen einige Kriminalisten seit Jahren mit Drogenspitzeln vom Balkan in fingierte Drogengeschäfte verwickelt sein. Genau dieselben Akteure tauchen auch in der Ibiza-Affäre auf.
Fingierte Drogendeals, Informanten, die Belohnungen für Scheingeschäfte einstreifen, und eine Verbindung zum Ibiza-Video. Die Vorwürfe in einem weiteren Kapitel in der Ibiza-Affäre sind massiv.
Vorwürfe
Worum geht es? Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ermittelt seit Februar 2017 in einer für die Salzburger Polizei äußerst delikaten Causa. Sechs Suchtgiftfahnder, zum Teil aus Salzburg, zum Teil aus dem Bundeskriminalamt in Wien, und zwei Salzburger Staatsanwälte werden des Amtsmissbrauchs, falscher Beweisaussage, der Verleumdung und zahlreicher weiterer Delikte verdächtigt. Der Tatzeitraum erstreckt sich laut Staatsanwaltschaft St. Pölten von 2008 bis 2016.
Die Vorwürfe haben das Zeug, einen Polizeiskandal auszulösen: Der Hauptbeschuldigte, ein Salzburger Drogenfahnder, habe mit V-Männern – also Drogenspitzeln – vom Balkan zusammengearbeitet und Suchtgiftdeals bewusst provoziert, wobei es offenbar gar keine Abnehmer für die „heiße Ware“ gegeben haben soll. In der sehr detaillierten Strafanzeige, die den SN vorliegt, wird der Verdacht auf „systematisches Vorgehen bei solchen Scheindeals“ geäußert. Einen Abschlussbericht will das Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung der Staatsanwaltschaft noch heuer vorlegen.
Scheingeschäfte
Allein ein Kosovare mit serbischem Pass – wir bezeichnen ihn aus medienrechtlichen Gründen als V-Mann „VM 007“ – soll unter Führung des Salzburger Drogenfahnders seit 2008 bei 40 mutmaßlichen Scheinankäufen dabei gewesen sein.
„VM 007“ habe so 60 Personen hinter Gitter gebracht und dafür kassiert. Denn für die Infos zu Suchtgiftdeals sollen Polizeispitzel je nach Drogenmenge eine Belohnung von 3000 bis zu 50.000 Euro erhalten. Dabei handelt es sich um Steuergeld. Der Vorteil für den Drogenermittler: Er konnte sich als Top-Polizist profilieren.
Bei einem dieser angeblichen Scheingeschäfte passierte der Polizei laut Akten zudem ein peinliches Missgeschick: Im Dezember 2015 sollte in Eugendorf ein Albaner überführt werden, der sieben Kilogramm Heroin gegen einen Kaufpreis von 102.000 Euro anbot. Doch plötzlich tauchte ein zweiter Albaner auf, der dem Scheinkäufer, einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts, die zwei Bündel Bargeld stahl. Wie dieser bei einem von der Polizei bestens überwachten Scheindeal flüchten konnte, ist bis heute ein Rätsel. Dieses Geld ist nie mehr aufgetaucht. In den Akten zu dem Fall tauchen wieder der Salzburger Drogenfahnder, der Spitzel „VM 007“ sowie der Ermittler des Bundeskriminalamts auf.
Spur nach Ibiza
Was das alles mit dem Ibiza-Video zu tun hat? Drei Männer, die von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte in der Videoaffäre geführt werden, waren ebenfalls jahrelang V-Männer im Salzburger Drogenmilieu. Es handelt sich dabei um einen 53-jährigen Serben, einen 39-jährigen Detektiv und einen 40-jährigen Österreicher mit bosnischen Wurzeln. Sie stehen im Verdacht, die Videofalle für Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mitorganisiert zu haben.
Aus Protokollen, die den SN vorliegen, geht hervor, dass vor allem der Detektiv, der Serbe und der bereits genannte Polizeiinformant „VM 007“ seit vielen Jahren regelmäßig gemeinsam – sogar noch kurz vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos – ihren Geschäften im Drogenmilieu nachgingen. Aus diversen Protokollen zeigt sich, dass sie sich dabei recht sicher fühlten.
Seilschaften
Der Serbe wiederum stand in engem Kontakt mit dem Salzburger Suchtgiftfahnder und dem Informanten „VM 007“. Bis 2013 war der Beamte sogar Führungsoffizier des Serben und leitete somit dessen Spitzeltätigkeiten im Drogenmilieu an, danach übernahm der bereits vorher genannte Drogenermittler vom Bundeskriminalamt die Rolle des Führungsoffiziers.
Polizeiintern stößt das kumpelhafte Verhalten zwischen führenden Drogenfahndern und zwielichtigen V-Männern schon länger auf. „Auf diese Weise erhalten Balkanverbrecher detaillierten Einblick in die Arbeit der Polizei“, erzählt ein Insider, der anonym bleiben wollte. Er behauptet, ein Teil der Belohnungen für Drogen-Scheingeschäfte könnte für die kostspielige Herstellung des Ibiza-Videos verwendet worden sein. Die Vertrautheit zwischen Polizei und Informanten aus dem Milieu geht so weit, dass der Salzburger Fahnder und ein Drogenermittler des Bundeskriminalamts im Jahr 2014 sogar mit „VM 007“ ausgelassen dessen Hochzeit in Albanien feierten, wie YouTube-Videos belegen.
Wie eng die Verbindungen der Beteiligten waren, zeigt sich auch rund um die Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019. Es kam zu mehreren Treffen:
Laut Einvernahmeprotokollen traf der Serbe wenige Tage vor Videoausstrahlung in einem Grödiger Hotel einen Drogenfahnder und mehrere V-Männer.
Am 22. Mai 2019 kam es zu einem erneuten Treffen zwischen jenem Drogenfahnder, dem Serben und „VM 007“. Der Serbe drängte dabei auf die Auszahlung von 15.000 Euro Belohnung für einen aufgedeckten Drogendeal unter Polizeiaufsicht.
Gut zwei Wochen nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos Anfang Juni 2019 das nächste Treffen in Grödig: Anwesend mehrere V-Männer, darunter der Serbe und „VM 007“ sowie der Salzburger Drogenfahnder mit mehreren Kollegen.
Wieder drei Tage später soll laut Akten in Wien eine Zusammenkunft von HC Strache mit dem Serben organisiert worden sein, wo im Beisein von Anwälten ein Ankauf des Videos um einen sechsstelligen Betrag besprochen wurde. Der Deal scheiterte. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen den Salzburger Drogenfahnder aufgrund seiner Vermittlerrolle beim fehlgeschlagenen Verkauf des Ibiza-Videos wurden übrigens eingestellt.
„Waren aller Art“
Der Serbe scheint in dem Geflecht eine Schlüsselrolle zu spielen: Aus Akten geht hervor, dass er seinen Führungsoffizier im Bundeskriminalamt bereits Anfang 2018, also ein halbes Jahr nachdem das Video in einer Finca auf Ibiza gedreht worden war, darüber informiert hatte.
Der Serbe sitzt derzeit wegen Kokainhandels in Wien in U-Haft. Er lebt seit fast 30 Jahren in Österreich. Laut Staatsanwaltschaft war er selbstständiger Händler von „Waren aller Art“ und besitzt laut eigenen Angaben drei Eigentumswohnungen und ein Penthouse in Kroatien. Laut Firmenbuch gründete der Serbe 2014 eine Baufirma. Im August 2019 gab es dazu eine Mitteilung der Finanzbehörde gemäß Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz: „Der Rechtsträger gilt als Scheinunternehmen.“ Sein Verteidiger Timo Gerersdorfer stellt eine Beteiligung seines Mandanten an der Produktion des Ibiza-Videos in Abrede.
Erste Konsequenzen
Der Salzburger Verteidiger des Drogenfahnders wollte zu den Vorwürfen nichts sagen, er habe keine Ermächtigung seines Mandanten. Der Kriminalist hat unter anderem bei seiner Einvernahme vorm Bundesamt für Korruptionsbekämpfung bereits gestanden, jahrelang falsche Berichte über die Einsätze im Drogenmilieu geschrieben zu haben. Sein Argument: Er müsse seine V-Männer schützen, damit sie nicht enttarnt würden. Fakt ist auch, der des Amtsmissbrauchs Verdächtige wurde erst vor einigen Wochen seiner leitenden Funktion im Bereich Suchtgift enthoben und ist jetzt Sachbearbeiter für Eigentumsdelikte. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Quelle:
- Wurde Ibiza-Video über Drogendeals finanziert?, Salzburger Nachrichten, 31.07.2020