Sonntag, 22. Dezember 2024
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Sterben Europas Sozialdemokraten aus?

Die  SPÖ  ist  ein exzellentes  Beispiel für den Niedergang der Sozialdemokraten in ganz Europa: Die Partei von Kanzler Werner Faymann, die nur noch 200.000 Mitglieder zählt, rangiert in aktuellen Meinungsumfragen mit rund 22 Prozent bereits auf Rang Drei. Vor rund vierzig Jahren hatten die Roten unter  dem legendären Sonnenkanzler Bruno Kreisky mit 50,4 Prozent der Wählerstimmen ihr bestes Resultat geschafft. Wenn sich ihr Abstieg nahtlos fortsetzt, dann hieße es spätestens in vierzig Jahren: Adieu, SPÖ…

Der dramatische Abwärtstrend bei vielen einst staatstragenden Parteien ist in so gut wie allen EU-Staaten zu beobachten:  In Deutschland etwa kommt die SPD derzeit laut Infratest Dimap-Umfrage gerade mal auf 24 Prozent. In der goldenen Ära von Willy Brandt waren es noch bis zu 46 Prozent (1972), Gerhard Schröder kam 1998 immerhin noch auf fast 41 Prozent. Die Labour Party im Vereinigten Königreich wiederum musste sich bei den Unterhauswahlen im Mai 2015 mit 30,5 Prozent begnügen – unter Tony Blair wurde sie 1997 noch von etwa 41 Prozent der Briten gewählt. In Spanien schließlich stürzte die dortige PSOE bei der Wahl im Dezember 2015 auf 22 Prozent ab – vor zwanzig Jahren hatte sie noch 39 Prozent erzielt, 2004 unter José Luis Rodríguez Zapatero waren es sogar 42,6 Prozent.

Trotz der schweren Schlappe – für Spaniens Sozialisten war es das schlechteste Ergebnis aller Zeiten – wurde PSOE-Chef Pedro Sanchez von König Felipe VI mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, weil der konservative Wahlsieger Mariano Rajoj das nicht zu Stande gebracht hat. Er könnte, sofern ihn die ultralinke Protestpartei Podemos unterstützt, das schaffen, was in Portugal der PS (Partido Socialista) geglückt ist. Sie stellt, obwohl mit 32 Prozent der Stimmen nur auf Platz Zwei, mit António Costa seit kurzem den Premierminister. Einer seiner Vorgänger, der frühere Ministerpräsident José Socrates, wurde immerhin noch von 45 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gewählt.

Auch wenn Sanchez es schaffen sollte, die neue Regierung anzuführen, ist die Welt für Europas Sozialdemokraten schon längst nicht mehr heil: Im Europa-Parlament stellt die Fraktion Progressive Allianz der Sozialdemokraten zwar mit 191 Abgeordneten zwar nach den Konservativen noch die zweitstärkste Truppe, doch tendenziell sieht‘s  in fast allen  EU-Staaten alles andere als rosig aus:  Selbst im roten Bollwerk Frankreich, wo die PS (Parti Socialiste) im Sommer 2012, kurz nach dem Sieg von Francois Hollande bei den Präsidentschaftswahlen, noch triumphieren und sich die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung sichern konnte, ist Alarm angesagt. Mit der Partei, die sich nur noch auf 131.000 Mitglieder stützen kann, geht es nämlich kräftig bergab: Sie verlor 2014 sowohl bei den Kommunalwahlen, der Europa-Wahl und den Senatswahlen deutlich und musste auch 2015 bei den Departementwahlen schmerzliche Rückschläge einstecken. Präsident Hollande und sein Premier Manuel Valls, deren Galgenfrist 2017 enden wird, gelten nicht nur auf Grund desaströser Voraussagen der Meinungsforscher, sondern vor allem wegen der Aufholjagd des rechtsextremen Front National als Auslaufmodelle.

Dramatische Abstürze

In den übrigen – nur noch – sieben Mitgliedsstaaten, wo noch ein sozialdemokratischer Staats- oder Regierungschef amtiert, schaut es für die Roten nicht viel besser aus: In Schweden beispielsweise verdrängte die dortige Arbeiterpartei (O-Ton: Socialdemokraterna) im September 2014 den langjährigen Ministerpräsidenten der Konkurrenz, Fredrik Reinfeldt, von der Macht. Stefan Löfven, die neue Nummer Eins, hatte mit seinen Sozialdemokraten jedoch nur rund 31 Prozent der Stimmen und damit das zweitschwächste Ergebnis seit fast hundert Jahren eingefahren – eine stabile Basis sieht jedenfalls anders aus. In Tschechien eine ähnliche Situation: Dort gewann die sozialdemokratische CSSD bei der vorgezogenen Wahl des Abgeordnetenhauses im Oktober 2013 zwar mit 20,5 Prozent Stimmenanteil knapp, sodass der selbst parteiintern ungeliebte Bohuslav Sobotka als neuer Regierungschef angelobt werden konnte – dieser tut sich logischer Weise ziemlich schwer, weil seine Partei bei den Wahlen  1998 und 2006 immerhin noch bei 32 Prozent gelandet war.

In der Slowakei, wo die sozialdemokratische SMER-SD 2012 der damaligen Mitte-rechts-Koalition eine schlimme Wahlniederlage zufügte – ihr Chef Robert Fico  konnte mit seinem strammen Linkspopulismus stolze 44,5 Prozent der Wähler überzeugen – sind demnächst ebenfalls rote Turbulenzen angesagt: Die SMER-SD, die schon vor zwei Jahren in ein Umfragetief abgerutscht ist, gilt zwar für die slowakischen Meinungsauguren als Favorit für den  im März stattfindenden Wahlgang, doch alle Auguren prophezeien ihr Verluste. Die Sozialdemokraten werden also an Stimmen und Mandaten einbüßen und damit künftig kaum noch eine Alleinregierung bilden können. Selbst die Aussichten für den Regierungschef in Malta, Joseph Muscat, sind ungewiss: Er konnte der maltesischen MLP – Labour Party im März 2013 – nach 15 Jahren Opposition – zu einem Wahltriumph sondergleichen verhelfen und die bis dahin regierende Nationalistische Partei stürzen. Der 55-prozentige Stimmenanteil, den der erst 42-jährige Shooting-Star der europäischen Sozialdemokraten erreicht hat, ist zwar ein angenehmer Polster, aber sicher keine automatische Garantie für weitere Erfolge.

Im direkten Vergleich mit Joseph Muscat, dem derzeit mit Abstand erfolgreichsten sozialdemokratischen Politiker Europas, stehen etliche seiner Parteigenossen geradezu armselig da: In den Niederlanden etwa  war die sozialdemokratische PvdA  (Partij van de Arbeid) 2012 mit 25 Prozent Nummer Zwei, die Socialistische Partij – als linkere Alternative – mit fast 10 Prozent Nummer Vier. Während Erstere mit 38 (statt dereinst 52) Delegierten  in der Zweiten Kammer präsent ist und als Juniorpartner auch in der Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte sitzt, die beschränkt sich die andere auf Oppositionspolitik. In Finnland wiederum brachte es die dortige SDP (Kürzel für Suomen Sosialidemokraattinen Puolue) im Vorjahr nur auf 16,5 Prozent der Stimmen, weshalb sie aus der Regierung flog – in ihrer absolut besten Phase, 1995, hatte ihr Anteil noch mehr als 28 Prozent betragen.

Auch die Schwesterpartei MSZP in Ungarn, nach der Wende aus der früheren kommunistischen Einheitspartei hervorgegangen und im Mai 1994 mit absoluter Mehrheit erfolgreich, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst: Während sie 2010 trotz Wahldebakels noch 58 Mandate schaffte, musste sich das von ihr geleitete Wahlbündnis  Összefogás vier Jahre später mit 38 Sitzen begnügen – was bedeutete: weiterhin Opposition und keine Chance gegen Viktor Orban. Ähnlich mau sieht es für die Sozialdemokraten in allen anderen osteuropäischen Ländern aus –  von Estland bis Bulgarien (siehe Kasten: Das rote Fiasko im Osten). 

Absturz in Griechenland

Mit Ausnahme von Italien, wo sozialdemokratische Parteien wie die PSI (Partito Socialista Italiano), die SDI (Socialisti Democratici Italiani) oder die PSDI-Socialdemocrazia von der Bildfläche verschwunden bzw. irgendwo aufgesaugt wurden, mussten sich die sozialdemokratischen Parteien in allen  übrigen EU-Staaten an rote Zahlen gewöhnen. Italien ist deshalb ein Sonderfall, weil Ministerpräsident Matteo Renzi als Boss des 2007 entstandenen PD (Partito Democratico)  dank des Linksbündnisses Italia.Bene Comune und trotz sinkender Umfragewerte immer noch relativ souverän im Sattel sitzt. In Dänemark hingegen, wo die  dortigen Sozialdemokraten 2011  das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte hatten hinnehmen müssen, aber dennoch eine Dreiparteien-Koalition unter der roten Regierungschefin  Helle Thorning-Schmidt bilden konnten, war bei der Folketingswahl im Juni 2015 für sie Endstation: Damals büßte die rote Gruppierung die Mehrheit ein, weil die Sozialdemokraten nur noch von 26 und die Sozialistische Volkspartei bloß von 4,2 Prozent der Dänen gewählt wurden. Die Regierungs-chefin trat in allen Funktionen zurück und machte der neuen Parteichefin Mette Frederiksen Platz, die lediglich von besseren  Zeiten träumen kann: 1990 etwa war die Partei noch auf einen Wähleranteil von mehr als 37 gekommen. Die sp.a (Socialistische Partij Anders) in Belgien wiederum kam bei der Wahl zur Abgeordnetenkammer 2014 gar auf  bloß 8,8 Prozent – und damit auf Platz sechs, weshalb sie nach langer Zeit nicht mehr in der Regierung vertreten ist. 2009 hatte sie noch fast doppelt so viele Wähler gehabt.

Noch schlimmer traf es die Sozialdemokraten in Griechenland: Die PASOK (Panellinio Sosialistiko Kinima), früher mit Andreas bzw. Giorgos Papandreou jahrzehntelang an der Macht, donnerte im Mai 2012 auf mickrige 13 Prozent runter. Bei der Wahl im Jänner 2015 – kurz nachdem Giorgos Papandreou eine eigene linke Partei namens KDS gegründet hatte, die es lediglich auf 2,5 Prozent der Stimmen gebracht hat – blieben für die PASOK nur noch 4,7 Prozent übrig. Dass sie sich beim zweiten Wahlgang im September wieder auf 6,2 Prozent zu steigern vermochte, war nur ein relativ schwacher Trost.

Der Untergang der griechischen Sozialisten hat ganz wesentlich mit dem starken Auftritt eines neuen Mitbewerbers zu tun: Die linksradikal-populistische Partei Syriza unter dem smarten Frontman Alexis Tsipras hat die politische Vergangenheit des Landes im Blitztempo zunichte gemacht und die früher etablierten Lager  mit geradezu hanebüchenen Versprechen aller Art sozusagen aus dem Stand deklassiert. Dieses Phänomen ist auch anderswo zu orten, etwa in Spanien, wo die ultralinke Podemos und ihr cleverer Anführer Pablo Iglesias nicht bloß die  dortigen Sozialisten schwer beschädigt, sondern gleich auch das traditionelle Parteiensystem erschüttert haben. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe weiterer Gründe, warum sich Europas sozialdemokratische Parteien – die einen rückartig, die anderen eher auf schleichende Weise – in Richtung Bedeutungslosigkeit zu verabschieden scheinen. Welche das sind, lesen Sie nächste Woche an dieser Stelle – same Time, same Site…

Das rote Fiasko im Osten

Den sozialdemokratischen Parteien kommen überall die  Wähler abhanden – ein Streifzug durch Osteuropa.

ESTLAND

Bei der Parlamentswahl im März 2011 hatte die SDE (Sotsiaaldemokraatlik Erakond) mit 17 Prozent Stimmenanteil nur Platz Vier belegt, vier Jahre später holte sie gar nur 15,2 Prozent. Dennoch blieb sie weiterhin Partner der wirtschaftsliberalen Estnischen Reformpartei, die seit 2007 den Ministerpräsidenten stellt.

LETTLAND  

Die Parlamentswahl im Oktober 2014 gewann zwar die erst 2010 entstandene SDPS (Sozialdemokratische Partei Harmonie) trotz eines kräftigen Minus mit 23 Prozent der Wählerstimmen. In Riga blieb jedoch die von Vienotiba („Einigkeit“) angeführte rechts-konservative Regierung an der  Macht. Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma trat allerdings im vergangenen Dezember zurück – auf ein Wunder beim nächsten Urnengang dürfen die Sozialdemokraten freilich nicht hoffen.

LITAUEN 

Bei den letzten Parlamentswahlen 2012 wurde die LSDP (Sozialdemokratische Partei Litauens), Nachfolgerin der einstigen Kommunistischen Partei Litauens, mit fast 20 Prozent Stimmenanteil zwar zur Zweiter, sie gelangte aber dennoch an die Macht:  Premier  Algirdas Butkevičius führt eine aus vier Parteien bestehende Mitte-Links-Koalition. Die nächsten Wahlen finden voraussichtlich im Oktober 2016 statt.

POLEN      

Die politische Linke Polens bestand lange vornehmlich aus dem 1991 als Wahlbündnis gegründeten SLD (auf deutsch: Bund der Demokratischen Linken) und der UP  (übersetzt: Arbeitsunion).  2001 war dieses Duo mit 41 Prozent Stimmenanteil noch die stärkste politische Kraft im Lande. Dann versank die SLD langsam in der Bedeutungslosigkeit, stürzte 2011 auf nur noch 8,2 Prozent ab und flog 2015 schließlich mitsamt einigen Partnerparteien sogar aus dem Sejm. Heute spielt Links neben der regierenden nationalkonservativ-populistischen PiS Prawo i Sprawiedliwosc (was so viel bedeutet wie Recht und Gerechtigkeit) nur noch eine jämmerliche Statistenrolle: Auch die progressiv-linksliberale TR (Twój Ruch, also Deine Bewegung) und die 2004 von frustrierten SLD-Abgeordneten gegründete SdPL (Socjaldemokracja Polska), die sich wegen Affären, Korruption und Vetternwirtschaft bei der SLD abgespalten hat, sind im politischen Alltag Polens so gut wie unsichtbar.

SLOWENIEN

Bei der vorgezogenen Parlamentswahl im  Juli 2014 verloren die sozialdemokratische SD massiv und erzielten mit nur noch sechs Prozent  der Stimmen das  schlechteste Ergebnis seit 1990 ab. Genau so stark wurde die erst ein paar Monate zuvor neugegründete ZL (was Vereinigte Linke heißt), ein aus drei jungen Kleinparteien bestehendes Wahlbündnis, das den Sozialdemokraten Wähler abspenstig gemacht hat.

KROATIEN 

Bei der letzten Parlamentswahl im November 2015 unterlag die SDP (Socijaldemokratska partija Hrvatske) und der von ihr gestellte Regierungschef Zoran Milanovic der konservativen Oppositionspartei HDZ knapp, aber doch. Neuer Ministerpräsident wurde der parteifreie bisherige Pharma-Manager Tihomir Orešković, die Sozialdemokraten gingen in Opposition.

RUMÄNIEN   

2012 hatte Victor Ponta mit einer sozialliberalen Union aus Sozialdemokraten PSD (Partidul Social Democrat) und Nationalliberalen (PNL) die Wahl der Abgeordnetenkammer klar gewonnen und rund 60 Prozent der Wähler vereinigt. 2015 musste der Premier allerdings wegen laufender Antikorruptionsermittlungen das Handtuch werfen und zurücktreten. Die Meinungsforscher sagen voraus, dass die Sozialdemokraten bei den kommenden Wahlen nur zwischen 34 und 37 Prozent erreichen werden – deutlich weniger jedenfalls als die nationalliberale PNL.

BULGARIEN 

Das Bündnis BSP-LB, also die  die Bulgarische Sozialistische Partei und die Gruppierung Linkes Bulgarienkam bei den Parlamentswahlen 2015 nur noch auf rund 15 Prozent der Stimmen – weit weniger als der Wahlsieger GERB (übersetzt: Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens). 2005 war die BSP mit 32 Prozent  noch klarer Sieger gewesen. Ihr Chef Sergei Stanischew wurde damals mit einer Dreierkoalition neuer Ministerpräsident – dabei handelte es sich übrigens um jene  bulgarische Regierung, der die Bevölkerung bislang am allerwenigsten vertraut hatte. 2009 verloren „die Roten“ prompt  und rasselten auf das mit 17,7 Prozent bis dahin schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte runter – zuletzt ging es nochmals bergab.

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