Der belgische EU-Handelskommissar Karel De Gucht steht am 25. November in Gent vor Gericht. Er muss sich dort wegen mutmasslichen Steuerbetrugs verantworten. Der einstige belgische Außenminister und Vizepremier soll vor etlichen Jahren den im Zuge eines Aktiendeals angefallenen Gewinn in Höhe von 1,2 Millionen Euro nicht versteuert haben.
[[image1]]Der Fiskus fordert vom flämischen Politiker und seiner Gemahlin, die offenbar nicht zu einer außergerichtlichen Lösung bereit waren, den stolzen Betrag von 900.000 Euro. Laut Medienberichten habe das Ehepaar mit dem Erlös aus dem Aktienverkauf ein Weingut in der Toskana gekauft. Bei Recherchen zu dessen Finanzierung sei die Steuerfahndung auf die vermeintliche Hinterziehung gestoßen. Karel De Gucht bestreitet vehement, dass er den Aktiengewinn damals versteuern hätte müssen – für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Die hochnotpeinliche Affäre kommt für die Europäische Union zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Immerhin ist De Gucht als einer der wichtigsten Kommissionsmitglieder bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA federführend, außerdem spielt er bei den laufenden Gesprächen mit Regierungsvertretern der Volksrepublik China über eine intensive Zusammenarbeit eine zentrale Rolle. Dass er nunmehr als mutmasslicher Steuersünder in Bedrängnis geraten ist, schwächt seine Position und die der EU erheblich. Kommissionspräsident Barroso stellt sich zwar noch schützend vor ihn, aber weiß wie lange. Im Oktober 2012 hatte er den maltesischen Gesundheitskommissar John Dalli letztlich auch rasch in die Wüste geschickt, weil dieser in einen dubiosen und nie restlos aufgeklärten Korruptionsskandal verwickelt war.
Karel De Gucht, der als schwierig gilt und schon für etliche Ausrutscher sorgte, hat jedenfalls eine ziemlich steile Polit-Karriere geschafft: Der gelernte Anwalt, nebenbei als Professor für Europarecht an der Universität Brüssel tätig, war von 1980 bis 1994 EU-Abgeordneter. Dann wechselte er ins Flämische Parlament, stieg zum Chef der Liberaldemokratischen Partei auf und saß sechs Jahre lang im Repräsentantenhaus. 2004 wurde er Außen- und Europaminister, zeitweise auch Minister für Internationalen Handel, 2006 obendrein Bürgermeister von Berlare, und zwei Jahre später war er schließlich kurzfristig Belgiens Vizepremier. 2009 holte ihn Barroso als Kommissar für Entwicklung, seit Anfang 2010 ist er für das Ressort Handel zuständig und stieg in der Folge zu einem der mächtigsten EU-Kommissare auf.
Barroso sorgt für Frust
Für Barroso müsste ein Kommissionsmitglied, das im Verdacht steht, Steuern hinterzogen zu haben, prinzipiell eine immense Belastung sein, die raschest zu klären wäre. Es mutet daher seltsam an, dass der EU-Präsident bislang lediglich eine Sprecherin ausrichten ließ, es handle sich um „einen privaten Steuerfall“, der noch dazu „aus einer Zeit stammt, als De Gucht noch nicht EU-Kommissar war“. Diese Argumentation ist schlichtweg skandalös: Denn selbst wenn davon auszugehen ist, dass die Brüsseler Kommission in einer Schlangengrube tätig ist, wo unliebsame Entscheidungsträger jeder Menge Intrigen und persönlicher Angriffe ausgesetzt sind und bisweilen auch zu Unrecht gebissen werden, müssten sämtliche Kommissare auch in ihrem Vorleben über jeden Verdacht erhaben sein – sollte man meinen.
Da reicht es wahrlich nicht aus, dass De Gucht treuherzig beteuert, nichts Falsches getan zu haben und ziemlich grantig ist, weil die Steuerfahnder Einblick in seine Bankkonten erhielten. Dieser Politiker ist in der gegenwärtigen Situation einfach untragbar und daher rücktrittsreif. Irgendwie scheint Barroso allerdings darauf zu hoffen, dass sich das Gerichtsverfahren in Gent extrem lange hinziehen und damit automatisch Gras über den Fall De Gucht wachsen könnte. Die Amtszeit des bald 60jährigen flämischen Liberalen endet ohnedies im Oktober 2014. Die Devise „Hinter mir die Sintflut“ mag für den EU-Boss, der dann höchstwahrscheinlich ebenfalls Geschichte sein wird, im Augenblick hilfreich sein, aber bei vielen Bürgerinnen und Bürgern sorgt sie für Frust. Man kann jedenfalls nur hoffen, dass der nächste Kommissionspräsident bei der Auswahl seiner Mitstreiter mehr Glück als Barroso haben wird: Es muss doch möglich sein, 27 Kommissare mit einer fleckenlosen weißen Weste zu finden …