Die weltweite Aufregung um die Panama Papers legt sich allmählich wieder. Fast 400 Journalisten in 80 Ländern haben monatelang recherchiert und zahllose skandalöse Fälle von Steuersündern aufgedeckt – eine tolle Leistung, die riesigen Respekt verdient. Aber weitergebracht? Weitergebracht haben sie die Welt damit kaum.
Die einmal mehr ins Visier genommenen Steueroasen werden trotz gegenteiliger Behauptungen nicht so leicht auszutrocknen sein, und Briefkastenfirmen, dieses international beliebte Spielzeug von Milliardären, Multimillionären, Konzernbossen und obskuren Figuren, wird es garantiert noch lange geben.
Jetzt zeigen sich zwar praktisch alle Top-Akteure – von der G20-Runde und US-Präsident über den Internationalen Währungsfonds bis zur Europäischen Union und der österreichischen sowie nahezu allen anderen EU-Regierungen – wild entschlossen, den dubiosen Steuerparadiesen endlich das Wasser abzugraben. Doch wer‘s glaubt, dass sich diesbezüglich bald Erfolge einstellen, der könnte sich ganz schön täuschen. Denn die Finanzminister und Notenbankchefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, die kürzlich in Washington ihre kollektive Empörung geäußert haben, taten das beileibe nicht zum ersten Mal. Auch die Vorgabe von IWF-Chefin Christine Lagarde bei der jüngsten Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds – „die internationale Zusammenarbeit muss jetzt wirklich maßgeblich vorankommen“ – war in der Vergangenheit schon oftmals zu hören. Dass die EU-Kommission gerade an einer Schwarzen Liste jener Staaten bastelt, die sich nicht am Kampf gegen die Steuerflucht beteiligen, hat eben so wenig Newswert – alles schon da gewesen. Aus den in 13 EU-Ländern vorhandenen, recht unterschiedlichen Listen soll eine gemeinsame erstellt werden, um die größten schwarzen Schafe an den Pranger zu stellen.
Juncker will zuschlagen
Ausgerechnet Jean-Claude Juncker, der – wie spätestens seit Lux Leaks bekannt ist – das kleine Großherzogtum Luxemburg 27 Jahre lang als Ministerpräsident regiert und in ein Steuerparadies verwandelt hatte, übernimmt nunmehr die Rolle des Scharfmachers. Die EU wird also – das zeichnet sich bereits deutlich ab – erneut die üblichen rund 30 unkooperativen Verdächtigen auflisten. Dabei wird britischen Überseegebieten wie den Cayman-Inseln, Anguilla, Bermuda oder den Jungferninseln ebenso ein Stammplatz sicher sein wie etwa den Malediven, Mauritius, den Seychellen oder Hongkong – gewiss auch Panama. Ein empörter Rüffel aus Brüssel droht obendrein dem Zwergenstaat Andorra, dem Fürstentum Monaco, der britischen Kanalinsel Guernsey und höchstwahrscheinlich auch dem Fürstentum Liechtenstein. All diese Niedrig- bis Null-Steuer-Länder haben sich längst den Zorn der EU zugezogen, weil sie Mega-Kapitalisten, Großkonzerne, Geldwäscher und Ganoven Unterschlupf gewähren, die ihr Vermögen und ihre Einkünfte gerne aus einem Hoch- in ein Niedrigststeuerland umleiten, von Briefkastenfirmen enorm profitieren und letztlich dank der fehlenden Transparenz in diesen Steueroasen zahlreiche Vorteile nutzen.
So gut wie nichts zu befürchten haben hingegen einige EU-Mitgliedsstaaten wie Luxemburg, Zypern, Irland oder die Niederlande, die bislang ebenfalls im internationalen Steuerwettbewerb kräftig mitgemischt haben. Bei ihnen wird die EU-Kommission ebenso ein Auge zudrücken wie im Fall Schweiz. Dass die Eidgenossen in dem von der Saubermacher-Institution Tax Justice Network erstellten „Schattenfinanzindex 2015“ unangefochten auf Platz Eins rangieren – übrigens vor Hongkong, den USA, Singapur und den Cayman Islands – , gereicht ihnen nicht zum Nachteil. Anzumerken wäre noch folgendes: In diesem Ranking, das den potenziellen Schaden der finanziellen Schattenwirtschaft quantifiziert (siehe Tabelle), liegt Deutschland an achter, das Vereinigte Königreich fünfzehnter und Österreich – unmittelbar nach den Britischen Jungferninseln, Barbados und Mauritius – an vierundzwanzigster Position. Doch das bereitet der EU-Kommission offenbar keine Kopfschmerzen.
Es ist höchst merkwürdig, dass gemäß EU-Strategie beispielsweise mausearme, am Rande des Bankrotts dahin taumelnde Inselstaaten wie Grenada oder die Malediven zwar mit aller Gewalt bekämpft werden sollen, doch ausgerechnet die Schweiz in geradezu penetranter Manier verschont bleibt. Es war ja niemals ein Geheimnis, dass etwa die Kantone Luzern, Schwyz, Jura oder Zug dank ihrer niedrigen Unternehmenssteuern ein ideales Mekka für virtuelle Firmen sind. Multinationale Konzerne, Holdings aller Art, zwielichtige Finanzakrobaten und gefinkelte Gauner aus aller Welt verschanzen sich dort reihenweise hinter diskreten Treuhandgesellschaften, die an ein und derselben Adresse bis zu 250 Briefkastenfirmen parken. Ein Problem? Nein, für die EU-Gewaltigen ist das scheinbar kein Problem, weil die Schweiz ja lediglich in Finnland und Italien auf der nationalen Schwarzen Liste steht. Keinen „Freispruch“ für die Eidgenossen gibt es jedenfalls von der OECD: Die vertritt die Auffassung, dass die Schweiz nicht entschieden genug gegen Steuerbetrug vorgehe und setzte sie daher kürzlich – so wie Österreich und Luxemburg – auf ihre einschlägige Graue Liste.
Delaware als Gewinner ?
Ähnlich kurios wie die derzeitige Vorgangsweise der EU mutet es an, wie die Vereinigten Staaten mit dem Thema Steuerparadiese umgehen: Die USA machen zwar international Druck, diese Plätze des Bösen möglichst rasch auszuschalten und die fälligen Steuern wieder dorthin zu leiten, wo sie hingehören. Die scheinheilige Doppelmoral daran ist jedoch unübersehbar: Denn im eigenen Land wird dem Steuerwettbewerb unter den Bundesstaaten freier Lauf gelassen. Davon profitieren in erster Linie einige bevölkerungsarme Regionen wie Nevada, South Dakota oder Wyoming, am meisten jedoch Delaware. Im zweitkleinsten Bundesstaat der USA sind nämlich nicht weniger als eine Million Unternehmen registriert, die meisten davon sind Briefkastencompanys. Ihre Inhaber können gleich vierfach profitieren: Der Bundesstaat hebt null Körperschaftssteuer auf Gewinne aus Lizenzen, Patenten, Marken- und Urheberrechten und allen anderen üblichen Einnahmen von Holding-Gesellschaften mit Sitz in Delaware ein; es gibt keine Steuer auf Gewinne von Limited Liability Companys (LLC), die weder US-Gesellschafter noch US-Geschäftsführer bzw. weder US-Kunden noch US-Betriebsstätte haben; obendrein ist der Schutz der Privatsphäre optimal, weil im Handelsregister Gesellschafter und Geschäftsführer nicht publiziert werden; alles in allem also ein Höchstmaß an Anonymität, das allerdings bloß so lange gewährleistet ist, bis die Gesellschaft ein Konto eröffnet.
Auch wenn sie um die bis zu 38 Prozent Körperschaftssteuer, die vom Gewinn bei Kapitalgesellschaften an den Bund abzuliefern sind, nicht herumkommen, ist jeder zweite börsennotierte US-Konzern in Delaware registriert, darunter Giganten wie Apple, Facebook und Google. Zugleich lassen sich zahllose ausländische Konzerne wie Daimler, Siemens oder die Deutsche Bank die Vorzüge dieses von Mythen umrankten Steuerparadieses nicht entgehen. Delaware ist längst – nicht ausschließlich, aber auch – ein fixer Hafen für die organisierte Finanzkriminalität geworden, wo durchaus Korruption, Geldwäsche und ähnliche Verbrechen gefördert werden. Das Kalkül der US-Amerikaner könnte sein, dass sich noch wesentlich mehr Finanzjongleure für ihre eigenen Steueroasen begeistern werden, sobald klassischen Rivalen wie etwa den Cayman Inseln das Handwerk gelegt wird.
Die Vermutung, dass die Panama Papers von US-Hackern ans Tageslicht gefördert wurden, ist jedenfalls gar nicht so abwegig: Der „Süddeutschen Zeitung“ wurden jedenfalls 11,5 Millionen Dokumente zu etwa 250.000 anonyme Briefkastenfirmen zugespielt, die von der in Panama-City ansässigen Kanzlei Mossack Fonseca gegründet und verwaltet worden sind. Als einer der weltweit führenden Anbieter solcher Dienste half die Kanzlei im Teamwork mit großen Banken, Anwaltskanzleien und Vermögensverwaltern vier Jahrzehnte lang Superreichen, Politikern, Diktatoren, Mafiosi, Waffendealern, Drogenbossen, Spionen, Betrügern und sonstigen Halunken aller Art, ihre häufig illegalen Gelder zu verstecken, Steuern zu hinterziehen und mysteriöse Machenschaften zu verschleiern. Die exakten Daten aus dem Fundus der Offshore-Kanzlei – insgesamt 2,6 Terabyte – rücken nicht nur rund 140 teils hochrangige Politiker, allen voran Russlands Präsident Wladimir Putin, in ein schiefes Licht, sondern belasten auch beispielsweise Syriens Diktator Baschar al-Assad und korrupte Fifa-Funktionäre ebenso wie prominente Top-Sportler à la Lionel Messi. Selbstverständlich gilt für alle Genannten – vom Kreml-Boss bis zum Barcelona-Kicker – die übliche Unschuldsvermutung.
Die einschlägige Welt der globalen Offshore-Industrie rund um schwarze Konten, Schmiergeldrechnungen, Steuerpetite, Bestechung, Geldwäsche und gekaufte Strohmänner hat jedenfalls mit der Veröffentlichung der Panama Papers einen gewaltigen Tiefschlag erhalten. Eine heilsame Wirkung, die dieser weltweite Skandal auslösen müsste, bleibt freilich umstritten, denn es hat den Anschein, als wäre weit und breit niemand der Aufgabe gewachsen, diesen monströsen Sumpf trocken zu legen. Schließlich gibt es laut Experten rund um den Globus schon mehr als zwei Millionen Briefkastenfirmen, die zum kleineren Teil dafür sorgen, dass Gewinne auf legale Weise durch Schlupflöcher des internationalen Steuerrechts geschleust werden – zum überwiegenden Teil jedoch illegalen Praktiken diesen, die für viele nicht mehr wegzudenken und folglich von der Politik gegen massiven Widerstand aller zuständigen Lobbys nicht so ohne weiters abzuschaffen sind.
Deshalb wird sich etwa die Europäische Union immens schwer tun, bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und – wie es so schön heißt – „aggressiver Steuerplanung“ letztlich Erfolge zu erzielen. Ihre ehrgeizige Agenda, um eine faire Besteuerung sicherzustellen, sieht u.a. vor, dass rund 6.500 in der EU tätige Konzerne jedes Jahr ihre Gewinne nach Ländern aufgeschlüsselt – also inklusive Steueroasen – sowie latente und bereits gezahlte Steuern offenlegen müssen. Mehr Transparenz soll die Umgehung von Unternehmenssteuern in Europa verhindern, durch die den EU-Mitgliedstaaten jährlich bis 70 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgehen – eine Maßnahme, die übrigens auch den im Rahmen der Panama Papers aufgedeckten Problemen Rechnung tragen würde.
David Camerons Dilemma
Selbst bei einer Überdosis Optimismus ist allerdings nicht zu hoffen, dass sich die exotischen Steuerparadiese künftig im Kampf gegen das Böse wesentlich kooperativer zeigen werden – und dass sie gar von der Politik in den Knie gezwungen werden, ist ebenso unwahrscheinlich. Der politische Druck auf sie, etwa zwecks internationalem Austausch von Steuerdaten, wird zwar immer größer, dennoch ziehen sie nach wie vor gigantische Geldsummen magnetisch an. Die Crux daran besteht darin, dass Großbritannien und dem Finanzplatz London bei diesem Spiel zentrale Rollen zukommen: Zum einen sind die Kanalinseln Jersey und Guernsey sowie die Isle of Man, alles beliebte Anlaufstellen für reiche Menschen und Unternehmen, die Anonymität und „Steuerneutralität“ zu schätzen wissen, so genannte Kronbesitzungen; zum anderen sind vierzehn britische Überseegebiete, darunter die Britischen Jungferninseln als Nummer Eins, Cayman Islands sowie die Bermudas, in einem Netzwerk von Offshore-Zentren verbunden, die als eine Art Filialen der City of London agieren, weil aus der Karibik internationale Anlagegelder bevorzugt nach London fließen.
Wann immer Premierminister David Cameron in jüngerer Vergangenheit die halbautonomen Staatsgebilde, deren Staatsoberhaupt die Queen bis heute ist, im Auftrag Ihrer Majestät an die Kandare nehmen und etwa zu mehr Transparenz zwingen wollte, war Stunk programmiert und erbitterter Widerstand angesagt. Auf Grund der Enthüllungen aus Panama ist Cameron nunmehr unter Zugzwang geraten: Er kann sich indes schwer als Vorkämpfer gegen Geldwäsche und Korruption in Szene setzen, so lange er die extrem undurchsichtigen Geschäftspraktiken in den britischen Steueroasen in Übersee toleriert. Im Mai soll in London ein internationales Gipfeltreffen für mehr Klarheit sorgen, wie es mit den tropischen Piratennestern weitergeht.
Durchaus cool reagierte die Regierung von Panama auf die Kalamitäten der letzten Wochen: Sie verfolge, ließ sie die Welt wissen, „eine Null-Toleranz-Politik in allen Bereichen des Rechts- und Finanzwesens, wo nicht mit einem höchsten Maß an Transparenz gearbeitet“ werde – Punkt…
Der Schattenfinanzindex
Viele Finanzplätze sind mit Vorsicht zu genießen – ein Ranking, das auch Österreich kein gutes Zeugnis ausstellt.