Als Finanzminister Hans Jörg Schelling vor einiger Zeit der Sozialpartnerschaft attestiert, sie sei „tot“, setzte es einen Aufruhr. Mit ihrem letzten Verhandlungsergebnis haben sie selbst eine Bestätigung für diesen Befund geliefert.
Noch schnell vor den Wahlen wollten die Sozialpartner zeigen, dass auch sie für die Wirtschaft wichtige Beschlüsse zustande bringen können – und damit ihre alte Kompetenz unter Beweis stellen. Konkret ging es um die verpflichtende Einführung eines Mindestlohns von 1.500 und gleichzeitig die Möglichkeit, die Arbeitszeit in Ausnahmefällen auf 12 Stunden (derzeit sind 10 Stunden das Limit) zu erhöhen. Tatsächlich aber einigten sich Gewerkschaft und Arbeiterkammer mit der Wirtschaftskammer und Industrie nur auf den Mindestlohn. Der 12-Stunden-Tag scheiterte am Widerstand der roten Verhandler. Dabei, so heißt es, sei die Einigung bereits auf dem Tisch gelegen, hätte nicht Bundeskanzler Christian Kern interveniert. Er braucht bei seinen Wählern den 1.500-Euro-Mindestlohn, nicht aber die Erhöhung der Arbeitszeit und zwang daher die Parteifreunde in der Sozialpartnerschaft zur Parteiräson.
Sozialpartnerschaft seit 2007 im Verfassungsrang
In früheren Zeiten hatten die Sozialpartner der Regierung wichtige sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen vorgegeben. Jetzt hat dieses System offenbar ausgespielt, ja sich selbst demontiert. Allerdings, die Sozialpartnerschaft kann gar nicht ihr Leben aushauchen. Dafür hatte die alte Große Koalition nämlich noch vor zehn Jahren gesorgt. Jetzt rächt sich gewissermaßen, dass 2007 die Existenz aller 14 Kammern inklusive Zwangsmitgliedschaft in der österreichischen Bundesverfassung verankert wurde. Die Sozialpartner als Teil der Verfassung und das in einem erbärmlichen Zustand, das ist österreichische Realität. Der „Sündenfall“ bei den Sozialpartnern und ihr Verfassungsrang wird aber eine Vertreibung aus dem bisherigen politischen Paradies zur Folge haben. Denn jetzt wurde offenkundig, dass eine Reform an Haupt und Gliedern unerlässlich ist. Nach dem Generationenwechsel an der Spitze der Volkspartei wird nun auch bei den Sozialpartnern der Ruf nach Veränderungen der Strukturen und an den jeweiligen Spitzen laut.
Die große Zeit ist nur noch Geschichte
Durch sieben Jahrzehnte hindurch waren die Sozialpartner nicht nur eine Stütze des österreichischen politischen Systems, Garant für sozialen Frieden sondern, auch eine Art Nebenregierung. Wichtige Vorhaben im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik konnten de facto nur umgesetzt werden, wenn dazu auch die Sozialpartner ihren Segen gegeben hatten. Was übrigens auch mit ein Grund war, warum in Österreich im Gegensatz zu Deutschland aber auch anderen europäischen Staaten der wirtschaftliche Fortschritt immer etwas langsamer erfolgte, das Wirtschaftswachstum hin und wieder schwächer ausfiel. Dafür aber gab es weniger soziale Konflikte bei Veränderungen, weil bereits im Voraus ein Konsens gesucht wurde.
Erinnerungen an die Ära Benya-Sallinger
In den letzten Jahren ließ der Einfluss der Sozialpartnerschaft auf die Regierung etwas nach. Das hing sicher mit den Personen an der Spitze der vier Institutionen zusammen, die zwar noch immer zusammenhielten, aber letztlich nicht so eine verschworene Gemeinschaft wie zu Zeiten von Anton Benya und Rudolf Sallinger waren. Auch die Politik ließ sich nicht mehr so viel dreinreden, wie dies hin und wieder in der Vergangenheit der Fall war. Dazu kam, dass insbesondere der Einfluss der Gewerkschaften zu schwinden begann. In vielen Betrieben lässt man sich Verhandlungen nicht mehr vom ÖGB vorschreiben, sondern der jeweilige Betriebsrat ist darauf Bedacht mit der Unternehmensführung direkt zu verhandeln und Betriebsvereinbarungen abzuschließen.
Amtsmüde Sozialpartner
Die jüngsten Veränderungen in der politischen Landschaft Österreichs, das Versagen der Sozialpartnerschaft bei ihrem jüngsten Verhandlungspaket, machen nun erst recht Druck, rascher als vorgesehen personelle Reformen vorzunehmen und eine generelle Systemreform anzudenken. Schon seit einiger Zeit ist davon die Rede, dass die Präsidenten der Wirtschafts-, der Landwirtschafts-, der Arbeiterkammer und des ÖGB über ihren Abgang nachdenken. Geplant war dieser für die kommenden beiden Jahre. Die Vorverlegung der Nationalratswahlen hat da einiges durcheinandergebracht, wozu sicher auch das Zerwürfnis zwischen SPÖ und ÖVP beitrug. Das Zeitalter der so genannten „Großen Koalition“, letztlich auch ein Produkt des sozialpartnerschaftlichen Handelns und Denkens, neigt sich unweigerlich dem Ende zu.
Vier Präsidenten zwischen 62 und 68
Tatsächlich befinden sich die vier Präsidenten auch bereits in Pension beziehungsweise im pensionsfähigen Alter. Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl ist mit 68 der Älteste, gefolgt vom 64-jähgiren Präsidenten der Landwirtschaftskammern Hermann Schultes. Aber auch von ÖGB-Präsident Erich Foglar und seinem AK-Pendant Rudi Kaske heißt es, dass sie bereits über ihre möglichen Nachfolger nachdenken. Was alle verbindet, ist dabei die Sorge um die Zukunft des „Kammerstaates“ Österreich.
Sorge um Ende der Zwangsmitgliedschaft
Von Sebastian Kurz gibt es eine Reihe von Äußerungen, aus denen man den Schluss ziehen könnte, dass er – ähnlich wie dies Nationalbankpräsident Claus Raidl immer wieder in der Vergangenheit getan hat – an ein Ende der Zwangsmitgliedschaft denkt. Tatsächlich ist jeder Unternehmer und Gewerbetreibende, jeder Landwirt und jeder Arbeitnehmer automatisch Mitglied bei der für ihn zuständigen Kammer. Bloß die Mitgliedschaft beim ÖGB ist an sich eine freiwillige, wenngleich in der Vergangenheit Betriebsräte bei neueingetretenen Arbeitern oder Angestellten nicht lange fragten und den Erwerb eines ÖGB-Mitgliedsbuches geradezu dekretierten.
Ungewisse Zukunft
Für besondere Aufregung sorgte noch vor kurzem, dass Kurz auch den NEOS-Abgeordneten Sepp Schellhorn, wie am Medienmarkt kolportiert wurde, für die Volkspartei gewinnen wollte. Und Schellhorn gilt als ein besonders engagierter Kämpfer gegen Zwangsmitgliedschaften und Kammerstaat. Dass er letztlich vehement bestritt, ein solches Angebot erhalten oder dessen Annahme auch nur überlegt zu haben, sorgte kurzfristig für ein Durchatmen. Trotzdem traut man dem Frieden nicht. Wie vor allem ein Gerücht zeigt, das derzeit in der WKO die Runde macht. Demnach flüstern sich Mitarbeiter zu, man müsse SPÖ wählen, um den Bestand der Kammer zu sichern.
Wirtschaftsattachés statt Außenhandelsdelegierte
Um allfälligen einschneidenden Maßnahmen schon vorzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat WKO-Präsident Leitl daher beschlossen, schon jetzt die Zwangsbeiträge zu senken und den finanziellen Kammer-Gürtel enger zu schnallen. Was aber auch nicht ganz kritiklos blieb, heißt es nun doch, dass Leitl die Reform der Wirtschaftskammer besser seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger überlassen sollte. Sorgen machen sich übrigens insbesondere die Delegierten der Außenhandelsstellen, das internationale Aushängeschild der österreichischen Wirtschaft. Diese sorgen sich darum, im Zuge von Reform- und Sparmaßnahmen ihre Eigenständigkeit zu verlieren und unter die „Fuchtel“ der jeweiligen Botschaft gestellt zu werden. Was international durchaus Usus ist. Firmieren doch in den meisten Ländern die Auslandsvertreter der Wirtschaft als so genannte Wirtschafts-Attachés, die der Botschafterin oder dem Botschafter unterstellt sind.
Diskussion hinter vorgehaltener Hand
In den letzten Wochen, seit dem personellen Umsturz in der Volkspartei, hat aber auch innerhalb der Interessensvertretung der Wirtschaft eine Diskussion eingesetzt, die die Person Leitl zum Ziel hat. Es ist eine Diskussion, die hinter vorgehaltener Hand, gewissermaßen noch unter der sprichwörtlichen Tuchent verläuft. Bislang ließ der Präsident im kleinen Kreis verlauten, dass er jedenfalls nicht mehr bei den nächsten Kammerwahlen antreten wird sondern 2018 zurücktreten will. Nicht wenige glauben, dass es aber für die WKO schon jetzt besser wäre, einen Führungswechsel vorzunehmen, um dann auch entsprechend gerüstet zu sein, sollte Kurz das Amt des Bundeskanzlers unternehmen.
Drei Personen im Fokus
Derzeit sind es drei Personen, die als mögliche Kandidaten für eine Leitl-Funktion genannt werden: Doris Hummer, Präsidentin in Oberösterreich, Josef Herk Präsident in der Steiermark und Walter Ruck, oberster Kammerherr in Wien. Hummer hat jedenfalls den Nachteil wie Leitl aus dem Land ob der Enns zu kommen. Herk wird übrigens ebenso wie Hummer nachgesagt, nicht die Erfahrung und das Netzwerk für den bundesweit wichtigen Posten mitzubringen. Ruck hingegen ist schon seit einiger Zeit immer wieder als ein möglicher Leitl-Nachfolger im Gespräch und scheint auch bereit zu sein, anzutreten. Das, so heißt es neuerdings, könnte schon heuer der Fall sein. Zudem möchte die Wiener Wirtschaft wieder bei der Besetzung des WKO-Präsidentenpostens zum Zug kommen, nachdem Leopold Maderthaner und Christoph Leitl aus den Bundesländern stammten.