Donnerstag, 21. November 2024
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Syrien: Nur eine Teilung könnte funktionieren

Als ich vor ein paar Jahren in einer Runde österreichischer und EU-Diplomaten eine Idee zur Diskussion stellte, bin ich mit der diplomatenüblichen Präpotenz als ahnungslos niedergebügelt worden. Es war nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs und es hat schon etliche Tausende Tote gegeben. Ich skizzierte den Gedanken, dass eine Teilung Syriens wohl der einzige Weg wäre, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.

Damals war noch weit und breit kein „Islamischer Staat“ in Sicht; dieser hat ja erst in den letzten eineinhalb Jahren aus den irakischen Wirren nach Syrien übergegriffen. Damals wäre eine Dreiteilung Syriens zwischen Assad (für den sich insbesondere Alawiten und Christen entscheiden würden), einem sunnitischen Reich (im Zeichen der damals weltweit bejubelten Facebook-Revolution) und einem kurdischen Teil am ehesten eine Perspektive gewesen, das jahrelange Abschlachten und die Ausbreitung des IS-Totalitarismus vielleicht noch zu verhindern. Eine Teilung wäre umso weniger problematisch gewesen, als der ganze Raum keine gewachsenen Grenzen hat, sondern nur von den Briten und Franzosen nach dem Zerfall des Osmanischen Imperiums völlig willkürlich gezogene.

Freilich: Garantie auf baldigen Frieden wäre auch das nicht gewesen. Das Verhalten der diversen nahöstlichen Akteure wird wohl immer unberechenbar bleiben. Aber ein Ja zur Teilung wäre um hundert Prozent besser gewesen als alles, was die internationale Diplomatie sonst zusammengebracht hat.

Was mich damals so besonders entsetzte: Die Diplomaten lehnten den Teilungsvorschlag sofort als indiskutabel ab – aber nicht etwa wegen der Unberechenbarkeit der syrischen Akteure. Sondern weil im staatsoffiziellen Denken der Europäer und Amerikaner einfach eine Teilung prinzipiell vorkommen darf.

Das war und ist freilich ungefähr so idiotisch und inhuman, wie es etwa die Politik der „Heiligen Allianz“ nach 1815 gewesen ist, die glaubte, jede demokratische Regung in irgendeinem Teil Europas blutig ausmerzen zu können.

Die Aversion der Europäer gegen Teilungen und gegen die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts einer Nation oder Region zählt neben den diversen (braunen, roten, Islam-grünen) Totalitarismen und dem aggressiven Nationalismus von De-facto-Diktatoren wie Putin oder Erdogan zu den Hauptursachen von Kriegen, Blutvergießen und der ewigen Unlösbarkeit vieler Probleme.

Die EU hat offenbar noch immer nichts aus dem Pfusch gelernt, den sie in Bosnien angerichtet hat und täglich weiter anrichtet. Sie versucht dort seit Jahrzehnten, durch einen (übrigens aus der österreichischen Diplomatie kommenden) „Diktator“ – freilich nur mit juristischer, aber ohne polizeiliche Macht – drei auseinanderstrebende Landesteile zusammenzuhalten. Das hat nicht nur zu ständigen Blockaden und einer unerträglichen Bürokratie durch hunderte einander eifersüchtig bekämpfende Minister auf verschiedensten Ebenen geführt. Das hat vor allem auch einen völligen ökonomischen und zivilisatorischen Stillstand ausgelöst, der in diesem staatsrechtlichen Rahmen völlig unlösbar bleiben wird.

Ähnliches – wenn auch auf viel höherem wirtschaftlichem Niveau und ohne Blutvergießen – spielt sich in Spanien ab. Dort will ein Teil der Katalanen unbedingt die Loslösung von Madrid. Und wieder weigert sich die europäische und insbesondere die zentralspanische Politik, die Lösung des Problems durch das Selbstbestimmungsrecht auch nur für denkmöglich zu halten. So wird weiterhin unklar bleiben, was die Mehrheit der Betroffenen eigentlich selber will.

Dabei zeigen Beispiele von Schottland über Nordirland und die Tschechoslowakei bis Quebec, dass ein prinzipielles Ja zur Selbstbestimmung und zur Möglichkeit, einen Staat zu teilen, Konflikte sehr gut beenden kann. Egal, ob ein Referendum nun am Ende zur Trennung führt oder nicht. Tschechen und Slowaken sind heute die besten Freunde; das Schottland- und Quebec-Thema ist vom Tisch; und in Nordirland entscheidet nun die Geburtenfreudigkeit anstelle von Bomben über den künftigen Status. Auch im Sudan war eine Teilung zumindest eine Teillösung des Problems. Und der einstige Koreakrieg hätte ohne Teilung noch Hekatomben von Opfern gefordert. 

Freilich: Geht es dabei um Teilungen, um auf dem Selbstbestimmungsrecht beruhende Vorgänge. Eroberungsfeldzüge wie die Russlands in Georgien und der Ukraine können niemals zu einer guten Lösung führen.

Die Tabuisierung einer Teilung von Staaten hingegen ist nur dumm. Zweifellos auch im Falle Syriens. Und wenn die jetzigen, von Amerikanern und Russen getragenen Versuche eines Waffenstillstands halten und eine Lösung bringen sollten, dann wird diese nur über den Weg einer Teilung des Landes gehen können. Denn weder ein Endsieg einer Seite noch eine funktionierende Versöhnung sind irgendwie denkbar.

Das besonders Tragische: Wir haben heute ein paar Hunderttausend Tote und ein paar Millionen Flüchtlinge mehr, als wenn man diese Perspektive von Anfang an ermöglicht hätte.

Aber auch jetzt ist noch keineswegs klar, ob die Außenwelt eine Teilung Syriens akzeptieren wird. Oder ob die beiden Supermächte und die noch ärger mitmischenden Regionalmächte Türkei, Saudi-Arabien und Iran noch immer an den Gesamtsieg der jeweils eigenen Seite glauben. Ach ja, und ob die EU endlich aufwachen und etwas Konstruktives in Sachen Syrien sagen wird, statt nur zum ungefragten Auffangbett für alle aus Syrien auswandernden Menschen zu werden.

Schön wäre es.

Wobei klar ist: Eine solche Teilung müsste von vielen mühsamen Verhandlungen über eine Truppenentflechtung begleitet sein. Denn seit die Front inzwischen durch Dutzende Städte und Ortschaften geht, ist ein Teilungsprozess noch viel mühsamer geworden, als er am Anfang des Krieges gewesen wäre. Dieser Prozess kann überhaupt nur dann funktionieren, würden sich zumindest Amerika, Russland und die EU Hand in Hand um eine saubere und niemanden benachteiligende Lösung bemühen. Das wird noch unendlich schwierig. Aber alles andere wären viele weitere Jahre eines furchtbaren Krieges. Mit all seinen Opfern an Menschenleben und zivilisatorischer Substanz.

Ganz vergessen sollte man freilich die Hoffnung, dass die Türkei jemals eine Teilung Syriens hinnehmen würde. Denn sie fürchtet einen eigenen kurdischen Staat (wo auch immer) wie der Teufel das Weihwasser. Aber dennoch darf man um Himmels willen nicht noch weitere Jahre ganz Syrien vor die Hunde gehen lassen, weil die Türkei von einem manischen Antikurdismus gebeutelt wird.

Und jedenfalls kann das Teilungs-Rezept für Syrien heute nur noch dann funktionieren, wenn es dann endlich auch zu einem gemeinsamen Kampf gegen den Islamischen Staat und die Al-Kaida in Syrien kommt. Den Russland und die Türkei zwar zu führen behaupten, der ihnen aber in Wahrheit völlig wurscht ist.

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