Prominenter Tory leistet UKIP Schützenhilfe. Die politische Debatte um das britische EU-Referendum eskaliert.
Nigel Lawson, mit vollem Namen Baron Lawson of Blaby, bringt heute zwar 30 Kilo weniger auf die Waage als früher – politisch aber ist der Ex-Finanzminister aber immer noch ein Schwergewicht. Umso bedeutsamer ist die unerwartete Intervention des 81jährigen: Als erster prominenter Politiker hat er sich offen für einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen. „Ich werde dafür stimmen, die EU zu verlassen“, so Lawson. Premierminister David Cameron hatte bisher stets dafür plädiert, dass Großbritannien seinen Platz in der Union behalten soll. Er will seine Landsleute nach den nächsten Parlamentswahlen über den Verbleib in der EU abstimmen lassen und vorher versuchen, ein neues Verhältnis zur EU auszuhandeln.
In einem Gastbeitrag für die „Times“ schrieb Lawson, es sei nicht länger im wirtschaftlichen Interesse Großbritanniens in der EU zu bleiben . „Die Vorteile eines Austritts würden die Kosten bei Weitem übertreffen“, so der Lord. Die EU habe sich zu einem bürokratischen Monster entwickelt, von dem sich Großbritannien befreien sollte. Nach 40jähriger Mitgliedschaft in Europa „sind die Argumente für den Exit nun klar“.
Politisches Schwergewicht aus der Thatcher-Zeit
Lawson ist schon seit 40 Jahren im politischen Geschäft. Er war von 1981 bis 1989 acht Jahre lang – darunter sechs Jahre als Finanzminister – Kabinettsmitglied unter der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher. Noch heute gilt er als einer der besten Schatzkanzler die das Land je hatte. Einst war er als eingefleischter Pro-Europäer bekannt, und befürwortete es sogar ausdrücklich, das britische Pfund enger an die D-Mark zu koppeln. Damit erregte er den Zorn Thatchers, die ihn zwar „meinen brillianten Schatzkanzler“ nannte, aber in Fragen der Währungspolitik lieber auf ihren Wirtschaftsberater Sir Alan Walters hörte. Der unlösbare Konflikt über die Wechselkurspolitik Großbritanniens veranlasste Lawson 1989 das Handtuch zu werfen, er trat zurück. Unter seinem Nachfolger John Major kam der Umschwung: im Oktober 1990 trat das Pfund dem Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) bei, knapp zwei Jahre später aber folgte im September 1992 der dramatische Austritt am „Schwarzen Mittwoch“ . Seither pocht Großbritannien auf seine Unabhängigkeit in Währungsfragen – ein Betritt zum Euro ist daher ausgeschlossen.
Für Cameron wird die Lage immer verzwickter
Vor dem Hintergrund seiner politischen Vergangenheit wiegt Lawsons Meinungsumschwung besonders schwer. Er setzt ein Signal und erhöht den Druck auf Cameron, der seit den Erfolgen der Protestpartei UK Independence Party (UKIP) bei den Kommunalwahlen am 2. Mai ohnehin unter großem Druck steht. UKIP fordert schon lange den sofortigen Austritt Großbritanniens aus der EU, war damit aber beim politischen Establishment bisher auf Ablehnung gestoßen. Das hat sich nun mit Lawsons Intervention geändert: „Es tut gut, nicht mehr isoliert zu sein“, freute sich UKIP-Chef Nigel Farage. Zumal Lawson, der im Oberhaus sitzt, auch heute noch politischen Einfluss besitzt. Schatzkanzler George Osborne hatte ihn zum Mitglied der Bankenkommission berufen, die nach der Finanzkrise Reformvorschläge für die britischen Geldhäuser vorlegte.
In seinem Gastbeitrag für die Times kritisierte Lawson nun das Argument Camerons, wonach es Sinn mache die Volksabstimmung nicht sofort sondern erst später anzuberaumen, um dadurch Zeit für Verhandlungen über Konzessionen für Großbritannien zu gewinnen. Cameron hatte im Januar erklärt, im Falle eines konservativen Siegs bei den nächsten Parlamentswahlen werde er spätestens 2017 ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft ansetzen, im Vorfeld aber mit den EU-Partnern verhandeln, um eine Reihe von Kompetenzen von Brüssel ins Vereinigte Königreich zurückzuholen. Lawson allerdings meint, dass Cameron hier auf aussichtslosem Posten steht. Echte Erfolge würden dem Premier versagt bleiben und allenfalls symbolischer Natur sein, warnte der ehemalige Finanzminister. „Wir waren hier schon mal“, sagte er mit einem Hinweis auf den ehemaligen Labour-Premier Harold Wilson und die erste britische Volksabstimmung über Europa im Jahr 1975. Wilson habe bei den übrigen Europäern Konzessionen erreicht, die so trivial waren, dass sich heute keiner mehr an sie erinnern könne. Genau so werde es auch Cameron ergehen. Zweifel meldete der Lord uch im Hinblick auf das sogenannte „Subsidiaritätsprinzip“ an, das besagt, dass eine staatliche Aufgabe möglichst von der kleinsten „zuständigen“ Einheit übernommen werden soll und übergeordnete Einheiten nur dann eingreifen sollen , wenn die unteren Einheiten es nicht können. „Diese Doktrin bietet dem politischen Establishment Europas Gelegenheit für Lippenbekenntnisse, wird aber anschließend resolut ignoriert“.
Lawson: Brixit wird der City nicht schaden
Ein Austritt aus der EU werde zwar „einige ökonomische Kosten“ verursachen, räumte Lawson ein, doch die Vorteile des Binnenmarktes seien alles in allem nur bescheiden und daher vernachlässigbar. Denn die großen Exportchancen lägen heute außerhalb Europas in den Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem aber in Asien. Aus diesem Grunde könnte ein EU-Austritt zum Weckruf für die britischen Unternehmer werden, sich „aus der warmen Umarmung des europäischen Binnenmarktes“ zu lösen. „Heutzutage ist die Globalisierung und nicht Europa der relevante wirtschaftliche Kontext“, fuhr er fort. Für die Londoner City stelle ein Austritt überdies die Chance dar, sich von dem „regulatorischen Wahnsinn“ zu befreien, den Brüssel der britischen Finanzwirtschaft aufzwinge. Das Argument, dass Europas größtes Finanzzentrum außerhalb der EU Nachteile erleiden würde, lässt er nicht gelten: diejenigen die so argumentierten seien die Selben, die früher schon gewarnt hätten, dass es der City schaden würde, wenn Großbritannien dem Euro fernbliebe. Auch das habe sich nicht bewahrheitet.
Als Mitglied der Bankenkommission sei er sich zwar der Tatsache bewusst, dass der britische Bankensektor reformiert und die Aufsicht verbessert werden müsse. Allerdings bestehe im restlichen Europa und in Brüssel nun offenbar ein von Neid angetriebener Drang, die Londoner City klein zu machen. Das äußere sich zum Beispiel in der „idiotischen und schädlichen“ Finanztransaktionssteuer. „Diesem sinnlosen Blödsinn zu entfliehen und mit der Wall-Street – einem anderen echten globalen Finanzzenttrum – zu kooperieren wäre für Großbritannien ein ökonomisches Plus“. Die Londoner City und der britische Finanzsektor sei immer noch ein „Spieler der Weltklasse“.
Seinen eigenen Meinungsumschwung in der Europapolitik erklärt der ehemalige Schatzkanzler am Ende seines Beitrags mit den Worten des Volkswirts John Maynard Keynes: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Wie steht es mit Ihnen, Sir?“
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