Jetzt hat er offenbar die Nase voll: Jean-Claude Juncker kündigte kürzlich in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ an, nicht mehr für eine weitere Amtsperiode kandidieren zu wollen. Als Grund hierfür nannte der EU-Kommissionspräsident die wachsende Europa-Skepsis und die Zores, die im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen zu erwarten seien. Mit diesem taktisch alles andere als cleveren Schritt hat sich Juncker praktisch selbst aus dem Rennen genommen. Er wäre folglich gut beraten, nicht mehr bis Herbst 2019 durch zu dienen, sondern noch heuer zurück zu treten.
Der Luxemburger an der Spitze der Europäischen Union sollte rechtzeitig abtreten, um sein durchaus positives Image nicht nachhaltig zu beschädigen: Als überzeugter Europäer läuft der erfahrenste aller noch aktiven EU-Politiker nämlich Gefahr, in der besonders schwierigen Phase, auf die Brüssel zusteuert, als „lahme Ente“ zu gelten und heillos überfordert zu wirken. Juncker, bereits seit 1982 politisch tätig und seit 22 Jahren als Politiker in der ersten Reihe engagiert, spürt offensichtlich die schwere Bürde, die er zu tragen hat. Der einstige Langzeit-Premierminister des Großherzogtums, der auch schon acht Jahre lang als Vorsitzender der Euro-Gruppe fungiert hat, ist zwar erst 62, doch die riesigen physischen und psychischen Anstrengungen sind ihm deutlich anzusehen, sodass er zumeist wie ein 72-Jähriger auftritt.
Juncker gilt nicht nur als sehr erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Politiker, sondern auch als verbindlicher, umgänglicher und extrem fleißiger EU-Boss: Seit seinem Amtsantritt im November 2014 hat er beispielsweise mehr als 800 Treffen mit Präsidenten, Regierungschefs und sonstigen Polit- und Wirtschafts-Promis aus aller Herren Länder absolviert (wen er heuer schon empfing, lesen Sie in der Tabelle unten). Mit den meisten von ihnen kam er hervorragend aus, nicht wenige hat er sogar beherzt abgebusselt. Der joviale Stil des EU-Kommissionspräsidenten ist für ihn ebenso typisch geworden wie sein eher begrenztes Durchsetzungsvermögen, beispielsweise in der Flüchtlingsproblematik. Der zunehmende Nationalismus und die schrumpfende Bereitschaft seiner EU-Kollegen in Sachen Solidarität gehen Juncker sichtlich gegen den Strich, weil das alles bislang eine erfolgreiche Performance der Brüsseler Zentrale weitgehend verhindert hat. Genau deshalb wird man ihn vermutlich als jenen EU-Boss in Erinnerung behalten, in dessen Ära die Union vor ihrer größten Zerreißprobe gestanden ist.
Rücktritt im Herbst?
Jetzt muss sich Jean-Claude Juncker die Frage stellen, ob er noch der richtige Mann ist, um Brüssel angesichts des sehr heikel gewordenen Umfelds – Stichworte: US-Präsident, Start der Brexit-Verhandlungen, Flüchtlingsfrage etc. – führen zu können. Trotz seiner unbestreitbaren Meriten, die sich der Luxemburger um Europa erworben hat, erweckt er nicht erst seit gestern den Eindruck, dass er zu wenig Dynamik, zu wenig Leadership, zu wenig Reformideen, zu wenig Überzeugungskraft und so gut wie keine Visionen mitbringt, um künftig das Schiff Europa aus vielfältigen Turbulenzen steuern zu können. Falls er ebenfalls zu dieser Einsicht gelangt, könnte er zum Beispiel im Herbst freiwillig abtreten und den Platz für einen neuen Mister Europa oder aber eine neue Kommissionspräsidentin frei machen, die sich einer veritablen Herkulesaufgabe stellen müsste.
Freilich: Diese Person ist derzeit weit und breit nicht in Sicht. Weder einer/eine der vielen Stellvertreter/innen Junckers noch die übrigen Mitglieder der Kommission scheinen geeignet, diesen Superjob übernehmen zu können. Auch im EU-Parlament sucht man in den drei größten Fraktionen vergeblich nach einem Wunderwuzzi, der diese Rolle übernehmen könnte. Desgleichen findet sich unter den 27 verbleibenden Regierungschefs bzw. -chefinnen der Mitgliedsstaaten – vielleicht mit Ausnahme von Angela Merkel, die jedoch deutsche Kanzlerin bleiben möchte – niemand, der dem nötigen Anforderungsprofil auch nur halbwegs entspräche – gemeint sind politische Erfahrung, persönliche Eignung und vieles andere mehr. Das hieße demnach, dass der europa-weite Selektionsprozess – warum nicht unter der Regie Junckers? – in den kommenden Monaten stattfinden könnte. Sicher scheint zu sein, dass neben den Europäischen Volksparteien und den Sozialdemokraten wohl auch die Liberalen Anspruch auf diesen Superjob anmelden würden, obzwar sie im EU-Parlament bloß die drittstärkste Kraft sind.
Von den EU-Regierungschefs sind jedoch gleich acht dem liberalen Lager zuzuordnen, nämlich
O jene in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Luxemburg, Niederlanden Slowenien;
ebenso so viele sind Sozialdemokraten, und zwar
O der französische Präsident (der bereits im Mai passé sein wird) sowie die Premierminister in Italien, Malta, Österreich, Portugal, Schweden, der Slowakei und in Tschechien;
sieben werden schließlich von den konservativen Volksparteien gestellt – dabei geht es um
O Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel plus die Regierungschefs in Irland, Kroatien, Spanien, Ungarn und Zypern sowie den rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis.
Die übrigen Top-Repräsentanten der Mitgliedsstaaten sind entweder parteilos (wie Litauens Präsidentin und Lettlands Ministerpräsident) oder definieren sich wie Polens Regierungschefin (und die britischen Tories) als konservative Reformer (ACRE) bzw. wie Griechenlands Alexis Tsipras als Europäischer Linker. Eine entscheidende Rolle werden sie bei der Nominierung sicher nicht spielen.
Wanted: Super(wo)man
Interessant ist jedenfalls, dass sich die Christlich-Sozialen als Nummer Eins erst unlängst, vor der Wahl ihres neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani, überraschender Weise mit den Liberalen, der Nummer Drei, verbündet haben. Dieser Schachzug ist nunmehr in neuem Licht zu sehen, weil er die Chancen der Roten beträchtlich verkleinern dürfte, einen eigenen Kandidaten durchzubringen. Die Sozialdemokraten könnten allerdings den Rats-Präsidenten bekommen und auf diese Weise ruhig gestellt werden. Somit zeichnet sich ab, dass der/die Gesuchte, die Jean-Claude Juncker beerben könnte, entweder aus dem konservativen oder dem liberalen Lager kommen wird, um auf allen Ebenen mehrheitsfähig zu sein. Das weitere Anforderungsprofil des/ der Super(wo)man könnte so aussehen: Er / Sie sollte
O so zwischen 48 und 55 Jahre alt sein,
O zumindest fünf bis zehn Jahre politische Erfahrung vorweisen können, O eine tadellose, bevorzugt internationale Ausbildung mitbringen,
O sowohl über Führungsqualitäten als auch über Charisma verfügen,
O mit hervorragender Rhetorik überzeugen,
O ein zäher, zielorientierter Verhandler sein,
O als großartiger Stratege punkten können,
O mindestens drei Sprachen beherrschen (vor allem tadelloses Englisch),
O auf sympathische Weise Selbstbewusstsein ausstrahlen und – last but not least –
O ein alles in allem brillanter Repräsentant Europas sein, der Donald Trump, Vladimir Putin oder Xi Jinping locker auf Augenhöhe begegnet…
JUNCKERS TERMINKALENDER |
Welche prominenten Gäste der EU-Kommissionspräsident heuer bereits empfangen hat: |
04. Jän.: Guy Verhofstadt, Präsident der ALDE (Alliance of Liberal and Democrats) 05. Jän. – in Lissabon: Marcelo Rebelo de Sousa, Präsident von Portugal António Costa, Premierminister von Portugal 09. Jän.: Manfred Weber, Chairman der Europäischen Volksparteien im EU-Parlament 10. Jän.: Bill English, Premierminister von Neuseeland 11. Jän.: – in Valletta/Malta: Marie Louise Coleiro Preca, Präsidentin von Malta Anġlu Farrugia, Speaker im Maltesischen Parlament Joseph Muscat, Premierminister von Malta 12. Jän.: Sitzung der Genfer Conference betr. Zypern 16. Jän.: Joseph Daul, Präsident der EPP (European People’s Party) und EPP-Chairman Manfred Weber 18. Jän.: Ryszard Petru, Vorsitzender der polnischen Nowoczesna Party 19. Jän.: Jacques Santer, Ex-Präsident der Europäischen Kommission 20. Jän.: Serge Telle, Minister in Monaco 24. Jän.: Gianni Pittella, Präsident der S&D-Gruppe (Sozialisten & Demokraten im EU- Parlament) Charlot Salwai, Prremierminister von Vanuatu 25. Jän.: Tony Blair, früherer Premier Großbritanniens Werner Faymann, Ex-Bundeskanzler Österreichs 26. Jän.: Martin Schulz, früherer Präsident des EU-Parlamaents François Hollande, Frankreichs Präsident Duško Marković, Premierminister von Montenegro 27. Jän.: Donald Tusk, Rats-Präsident 30. Jän.: Rumen Radev, Präsident Bulgariens Anthony Gardner, früherer US-Botschafter bei der EU 31. Jän.: Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments Sigmar Gabriel, Deutschlands Vizekanzler und Außenminister, 01. Feb.: Sitzung der EU-Kommission 02. Feb.: Martin Schulz, früherer Präsident des EU-Parlaments Fayez al-Sarraj, Premierminister von Libyen 03. Feb. – in Valletta/Malta: Meeting der EU-Regierungschefs 06. Feb.: Bernard Cazeneuve, Frankreichs Premierminister Ilham Aliyev, Präsident in Aserbaidschan 07. Feb.: Donald Tusk, Rats-Präsident Igor Dodon, Präsident von Moldawien 08. Feb.: Bernd Busemann, Parlamentspräsident in Niedersachsen 09. Feb.: Hashim Thaçi, Präsident Kosovo 10. Feb.: Volodymyr Groysman, Premierminister der Ukraine 13. Feb.: Alexander Van der Bellen, Österreichs Bundespräsident, und Bundeskanzler Christian Kern Joseph Daul, Präsident der Europ. Volksparteien (EPP), und Manfred Weber, Chairman of the EPP-Gruppe 15. Feb.: Prakash Sharan Mahat, Außenminister Nepals Saulius Skvernelis, Premierminister von Litauen Lars Løkke Rasmussen, Premierminister von Dänemark 16. Feb.: Almazbek Atambayev, Präsident von Kirgisistan 17. Feb.: Sorin Grindeanu, Rumäniens Premierminister |