Samstag, 21. Dezember 2024
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Ukraine: Die Wahl zwischen Pest und Cholera

Von den 29 Parteien, die sich am Sonntag in der Ukraine der Wahl gestellt haben, werden es sechs schaffen, ins Kiewer Parlament einzuziehen. Während  in der so genannten Werchowna Rada bislang die „Partei der Regionen“ von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch und die „Vaterlands-Partei“ der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko das Geschehen bestimmt haben, werden künftig jene beiden Gruppierungen den Ton angeben, die nunmehr die meisten Stimmen erhielten: nämlich der „Block Petro Poroschenko“ des amtierenden Staatspräsidenten, sowie die „Volksfront“ von Premierminister Arseni Jazenjuk.

[[image1]]Die Kommunistische Partei unter Petro Symonenko, die es bereits im Juli zerbröselt hat, wird hingegen ebenso wie die rechtspopulistisch-nationalistische „Svoboda-Partei“ von Oleg Tjahnbok keine Rolle mehr spielen, weil die eine hochkant aus dem Abgeordnetenhaus rausgeflogen ist und die andere bestenfalls mit sechs Sitzen rechnen darf.

Obzwar die internationalen Medien hocherfreut über den Sieg der „prowestlichen“ Parteien in der Ukraine berichtet haben, muss das auf den ersten Blick erdrutschartige Wahlergebnis zu denken geben: Zum einen schafften der bislang nicht wirklich überzeugende Präsident Poroschenko und der alles andere als glücklich agierende Regierungschef Jazenjuk jeweils nur etwas mehr als 20 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das bedeutet: Bei einer enttäuschend niedrigen Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent votierten lediglich acht der insgesamt 36 Millionen Wahlberechtigten für die beiden Spitzenpolitiker. Poroschenko, dem zumindest 30 Prozent Stimmenanteil, bisweilen sogar eine absolute Mehrheit zugetraut worden war, darf dieses Ergebnis als Riesen-Watschen interpretieren, die zugleich dem ihn unterstützenden Ex-Boxchampion Witali Klitschko gegolten haben dürfte. Jazenjuk wiederum schnitt zwar nach der Loslösung von seiner Ex-Chefin Timoschenko viel besser ab als diese und auch besser als zu erwarten war, aber ein veritabler Vertrauensbeweis der Wähler hätte wohl anders aussehen müssen. Der Premier konnte jedenfalls, im Grunde überraschender Weise, seinen Job retten und wird als der deklarierte Liebling der Amerikaner („Jaz is our guy“) mit der Poroschenko-Partei gezwungenermaßen eine Koalitionsregierung bilden. So wie‘s derzeit aussieht, wird auch die vom Lemberger Bürgermeister Andrij Sadowij gegründete Partei „Selbsthilfe“ an Bord sein, die am Wahl-Sonntag stimmen- und mandatsmäßig zur Nummer Drei geworden ist. Ihre erst 33-jährige Spitzenkandidatin Hanna Hopko verspricht, dass ihr „Team der Hoffnung“, darunter etliche Maidan-Aktivisten, im Parlament für eine „demokratische Revolution“ sorgen werde.

Für Poroschenko und Jazenjuk, die sich den Wählerinnen und Wählern PR-bewusst als größte Hoffnungsträger angeboten haben, kommen die drei anderen Gruppierungen, die in der Rada vertreten sein werden,  als Partner wohl kaum in Frage: weder die bislang nicht unwichtige Timoschenko-Partei  „Vaterland“, noch der pro-russische „Oppositions-Block“, ein vom einstigen Vizepremier Jurij Bojko angeführtes Sammelbecken von früheren Janukowitsch-Vertrauten, und schon gar nicht die „Radikale Partei“ des nationalistischen Edel-Populisten Oleg Lyashko, eines – wie der  Parteiname schon verrät – Polit-Brutalos am linken Flügel, der beispielsweise die Oligarchen „mit der Mistgabel vertreiben“ oder sein Land mit Nuklearwaffen ausstatten möchte.

Alles ist möglich

Von den immerhin 23 Parteien, die unter pompösen Namen wie „Vereintes Land“, „Ukraine der Zukunft“, „Ukrainische Bürgerbewegung“ oder „Grüner Planet“ angetreten sind, doch letztlich die erforderliche Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft haben, wäre mit Sicherheit  ebenso wenig zu erwarten gewesen:  Die zahlreichen Splittergruppen – ein klares Indiz für eine zerrissene Gesellschaft – haben es ihr Ziel, in Zukunft mitzumischen, mangels verständlicher oder gar nicht vorhandener programmatischer Ansagen verfehlt. Teilweise so suspekt wie der „Rechte Sektor“, ein erst im März dieses Jahres entstandenes, von Dmytro Jarosh angeführtes Sammelbecken für politisch-paramilitärische Gruppierungen mit ultranationalistischer, neofaschistischer Punzierung, teilweise so bedeutungslos wie die „Liberale Partei der Ukraine“ oder die „Grünen der Ukraine“, die beim Volk so gut wie keine Aufmerksamkeit wecken konnten, und teilweise so entbehrlich wie Miniatur-Listen à la „Aufschwung“ oder „Neue Politik“, die, wohl in erster Linie aus Eigennutz, von ehemaligen Ministern und anderen Wichtigmachern ins Rennen geschickt worden sind, die irgendwie oberhalb der Wahrnehmungsgrenze agieren wollten – letztlich sind alle durchgefallen.

Das politische System der Ukraine funktioniert jedoch haargenau so wie das österreichische Lotto-Motto bei „6 aus 45“ – alles ist möglich: Und daher ist so gut wie sicher, dass etwa der gestrauchelte Radikalinski-Chef Dmytro Jarosh letzten Endes trotzdem im Parlament sitzen wird. Er erhält dank seines 30-prozentigen Stimmenanteils in der Region Dneporopetrovsk eines der unabhängig von der Fünf-Prozent-Hürde vergebenen, mehr als 100 begehrten Direktmandate. Selbiges wird der Multimillionär und Rada-Abgeordnete Sergej Tihipko schaffen, der die Partei „Starke Ukraine“ schon seit 1999 als seine persönliche Spielwiese betrachtet – immerhin war er in den vergangenen fünfzehn Jahren bereits Wirtschaftsminister, Nationalbank-Präsident, sowie Vizepremier – und stets pro-russisch gesinnt. Obendrein ist zu befürchten, dass in der für die Werchowna Rada auch ausreichend Platz für weitere ukrainische Oligarchen geschaffen wird, die von jeher nichts daran finden, so nebenbei Volksvertreter zu spielen – naturgemäß im ureigensten Interesse. Im ukrainischen Parlament sitzen derzeit, abgesehen vom jüngeren Janukowitsch-Sohn Viktor Viktorovych, was als besondere Pikanterie gewürdigt werden muss, etliche steinreiche Ukrainer aus der obersten Geld- und Macht-Kaste des Landes: zum Beispiel der Stahlwerkbesitzer Vasil Kmelnitzky, der Autohändler Tariel Vasadze, der auf Stahl und Maschinenbau spezialisierte Konstantin Schewago, der Hausgerätefabrikant Valentin Landik oder der auch in Wien nicht unbekannte Businessman und Janukowitsch-Intimus Sergej Kluyev. Durchaus mysteriös anmutende Polit-Drahtzieher, darunter der 59-jährige  Sergej Taruta, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft ihre politischen Ambitionen ausleben dürfen: Der Dollar-Milliardär, der erst im März zum Gouverneur der Region Donezk bestellt, doch Mitte Oktober von Poroschenko wieder abgesetzt wurde, muss sich darob keine gröberen Sorgen machen. Taruta, der sich auf omnipräsenten Plakaten als „Unser Mann in Kiew“ präsentiert hat, strebt als unabhängiger Kandidat ein Direktmandat in seinem Wahlkreis an – was ihm nach menschlichem Ermessen nicht zu nehmen sein dürfte.

Präsident Poroschenko, als Schokoladenfabrikant selbst ein Oligarch, wird sich daher enorm schwer tun, derart groteske Realitäten auszumerzen: Er stuft zwar sämtliche seines Reformvorhaben, beispielsweise den Kampf gegen Korruption, als Priorität Nummer Eins ein, doch die dringend nötige Offensive gegen die Seilschaften zwischen den Superreichen und der ukrainischen Politik – nein, die ist praktisch nicht zu gewinnen. Da mag sich auch sein Premierminister Jazenjuk weiterhin wie ein Giftzwerg aufbäumen und dumpfe Drohungen gegen die machtbewussten Edel-Kapitalisten ausstoßen, die in diesem Land nach wie vor wie Kaiser regieren – das Volk werden seine bereits mehrmals geprobten Drohgebärden nicht viel mehr als einen Lacher kosten. Schließlich sollte man wissen, dass Jazenjuks Parteifreund Oleksandr Turchynov als oberster Boss im ukrainischen Parlament ein enger Spezi etlicher Oligarchen ist, wobei der umtriebige Parteifinanzier Igor Kolomojsky zu den engsten zählt. Und nachdem Turchynov höchstwahrscheinlich seinen Job behalten wird, sollte sich dem Vernehmen nach auch an diesem wahnwitzigen System von Geben und Nehmen auf oberster Ebene kaum etwas ändern.

Die ukrainische Bevölkerung hatte jedenfalls bloß die Wahl zwischen Pest und Cholera: Die alles andere als unumstrittenen Hauptakteure bleiben ihm nunmehr erhalten, als Minister werden – wiewohl ein langwieriger Postenschacher zu erwarten ist – großteils wieder hinlänglich bekannte Gesichter von früher auftauchen, und im Parlament sitzen künftig zwar an die 70 Prozent pro-westliche Mandatare, und trotzdem wird sich für‘s Erste kaum etwas ändern. Der Konflikt mit Russland scheint derzeit nahezu unlösbar zu sein, ein dauerhafter Waffenstillstand nicht mehr als ein Wunschtraum. Die neue bzw. alte ukrainische Führung müsste blitzartig unzählige Reformen durchboxen um das Land aus dem gegenwärtigen Chaos zu manövrieren und den Menschen wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu vermitteln – dabei wird sich die Vergangenheit allerdings nicht so leicht abschütteln lassen…
 

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