Mittwoch, 13. November 2024
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Ukraine – Österreich: Intensive Vergangenheit mit fraglicher Zukunft

Kiew – Hauptstadt der Ukraine / Bild © Creative Commons Pixabay (Ausschnitt)

Es ist seltsam: Während in Österreich in weiten Kreisen heute große Russland-Sympathie herrscht, trifft man bei einem Besuch in der Ukraine, also in jenem Land, das mit Russland im Krieg liegt, auf eine unglaubliche Österreich-Begeisterung. Diese ist dort größer, als ich sie je irgendwo sonst erlebt habe – einschließlich Österreichs selbst. Eine andere Begeisterung ist in der Ukraine hingegen signifikant abgeflaut.

Die Russland-Begeisterung mancher Linker ist ein seit der Oktoberrevolution 1917 bekanntes Phänomen. Und sie zeigt sich erst recht wieder, seit dort ein ehemaliger KGB-Offizier herrscht, der den Untergang der Sowjetunion als die größte Katastrophe seines Lebens bezeichnet. Nun ist aber auch die Rechte in eine ähnliche Russland-Begeisterung verfallen.

Seltsam? Nicht ganz. Diese Russlandbegeisterung wird auf der deutschnationalen Rechten durch den dort seit dem zweiten Weltkrieg schlummernden Antiamerikanismus erklärlich. Ganz anders sind die Motive der Begeisterung bei vielen Wertkonservativen: Sie schätzen den hohen Rang, den Wladimir Putin dem Christentum einräumt (der freilich primär die sehr starke national-russische Seite der Russisch-Orthodoxen Kirche im Auge hat), die Abneigung gegen Schwule, die Ablehnung des Diktats der im Westen  grassierenden Political correctness und die russische Frontstellung gegen den Islamismus. Diese ist etwa im Tschetschenien-Krieg deutlich sichtbar geworden (aus dem ausgerechnet Österreich viele moslemische „Flüchtlinge“ aufgenommen hat), oder jetzt im Syrien-Krieg (wo Russland an der Seite der eher laizistisch-prochristlichen Assad-Regierung gegen die islamistischen Rebellen steht, die anfangs nicht nur von der Türkei, sondern auch Ländern wie Frankreich unterstützt worden sind).

Im Grunde schließt das Putin-Russland viel weniger an das Russland Stalins an als das der Zaren. Nur vergessen viele, die derzeit alles super finden an Russland, dass dieses auch unter den Zaren ein nach innen repressiver und nach außen aggressiver Staat gewesen ist, und dass dessen Panslawismus eine der Hauptursachen des Ersten (und damit wohl auch des Zweiten) Weltkriegs gewesen ist. Wer das bezweifelt, lese bei Christopher Clark nach, dem weitaus besten und objektivsten Historiker der Ursachen jenes Krieges.

Links wie rechts stößt man sich hingegen nicht daran, dass Russland heute nach einem kurzen turbulenten Zwischenspiel wieder alles andere als ein demokratischer Rechtsstaat ist, dass das Putin-Russland mehrere Eroberungskriegszüge geführt hat, von Georgien bis eben zur Ukraine.

Damit zurück zum Lokalaugenschein in dieser Ukraine. Dieser führte vor allem durch die einst österreichische Westukraine, durch die Städte Lemberg und Czernowitz, die tief in die Geschichte der Monarchie und ihrer vielen literarischen Denkmäler eingraviert sind. Mit wem immer man heute dort auch redet: „Österreich“ ist ein Objekt der Verehrung, ein Synonym für die einzige gute Zeit in der Geschichte.

Österreich steht für die Qualität und Schönheit der beiden großen Städte der Westukraine. Galizien wie die Bukowina haben in der Tat um die vorletzte Jahrhundertwende einen großen – den einzigen großen Aufschwung ihrer Geschichte erlebt. Ihre Städte sind zum Unterschied von vielen österreichischen weder durch Bombenkrieg noch durch eine neureiche Modernisierung zerstört worden. Lemberg und Czernowitz erinnern an jeder Straßenecke an die heil gebliebenen Teile von Graz oder Wien – wo ja einst auch vielfach die gleichen Architekten gebaut haben.

Alles andere, was seither geschehen ist, wird nicht ganz ohne Grund als schlecht angesehen. Nicht nur Russland, auch Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und Rumänien haben für die Westukrainer in den letzten Jahren eine eindeutig negativ besetzte Rolle auf ihrem Territorium gespielt.

Verdrängt wird in dieser Österreich-Nostalgie freilich, dass jene beiden Gruppen, die die einstige Blüte getragen haben, heute völlig verschwunden sind. Das waren die Deutschen und die Juden. Die slawischen Ukrainer („Ruthenen“) waren vor hundert Jahren hingegen überwiegend arme Bauern und noch in keiner Weise kulturtragend.

Aber nicht nur die letzten hundert Jahre, sondern auch der heutige Staat Ukraine löst bei den Bürgern – mit wem immer man abseits der offiziellen Politik spricht – keinerlei Begeisterung aus. Die Währung verliert ständig an Wert (daher sind Euro-Noten überall willkommen). Pensionisten müssen mit umgerechnet 100 bis 200 Euro auskommen. Kein Gespräch kommt ohne massive Vorwürfe der Korruption gegen sämtliche Machthaber aus.

Und vor allem der Vergleich mit den anderen Nachbarstaaten, mit Polen, Ungarn oder der Slowakei, macht jedem Ukrainer klar, dass im letzten Jahrhundert fast nichts vorangegangen ist. Auch nicht im letzten Vierteljahrhundert. Dabei waren diese Nachbarn am Ende des Realsozialismus fast genauso jämmerlich heruntergewirtschaftet gewesen, schafften aber seither einen sehenswerten Aufstieg. Von der Kleidung angefangen bis zum katastrophalen Zustand wirklich aller Straßen und vieler Häuser außerhalb der großen Stadtzentren müssen die Ukrainer heute auf allen Ebenen einen dramatischen und bitteren Unterschied registrieren.

Winziges, aber durchaus bezeichnendes Detail: An uns wurde die verzweifelte Frage gerichtet, ob es nicht irgendwo in Österreich ein gebrauchtes und ausrangiertes Ultraschall-Gerät gebe, denn die Gynäkologie des Spitals von Czernowitz hat kein einziges. Also das, was bei uns seit zwei Generationen jede Schwangerschaft begleitet, was in fast jeder Ordination steht, fehlt dort sogar in einem großen Spital (ich leite Angebote gerne weiter).

Das einzige, was einen Renovierungs- und auch Neubau-Boom erfahren zu haben scheint, sind Kirchen. Russisch-Orthodoxe, ukrainisch-orthodoxe, unierte (also katholische mit orthodoxem Ritus), römisch-katholische: Überall suchen und finden die Menschen die gerade in Umbruchzeiten für sie so wichtige Identität und spenden dafür. Die Identität liegt freilich auch in einem erschütternden Antagonismus zwischen all(!) diesen Kirchen, die sich ja eigentlich alle zum gleichen Christentum bekennen.

In die katholischen Kirchen dürfte allerdings auch manches Geld aus Polen geflossen sein, und in die russisch-orthodoxen wohl noch mehr aus Russland. Das heißt nicht, dass in den russisch-orthodoxen Gotteshäusern irgendwo Spuren einer russischen oder Putin-Verehrung sichtbar wären. Dort geht es scheinbar nur rein spirituell zu. Und gesellschaftlich wie im 19. Jahrhundert: Dort halten die Popen den Frauen noch ihre Hände hin, die sie unterwürfig und tief gebeugt küssen.

Die anderen Kirchen wirken hingegen viel politischer. Keine katholische kommt ohne große Bilder von Johannes Paul II. aus. Und in den katholischen wie ukrainisch-orthodoxen stößt man vor allem auf auffallende Bildwände, die an „unsere Märtyrer“ erinnern, also an die in der Ostukraine im Kampf gegen Russen und Pro-Russen Gefallenen.

Und dennoch: Die einstige Begeisterung für diesen Krieg ist geschwunden. Das ist die zweite dominierende Erkenntnis dieser Reise. Ich bin zwar auf niemanden getroffen, der die russischen Eroberungen auf der Krim und in der Ostukraine auch nur irgendwie rechtfertigen würde. Aber während einst Schlangen vor den Rekrutierungsbüros ukrainischer Milizen und Freiwilligenverbände gestanden waren, will heute kaum jemand noch in diesen Krieg ziehen. An diesen erinnern heute optisch eher bettelnde Kriegsinvalide in den Straßen von Lemberg.

Die mutlos-depressive Stimmung fasst am besten folgendes Statement eines ukrainischen Universitätsprofessors zusammen: „Wir haben eh keine militärische Chance gegen Russland, auch weil wir alleine gelassen worden sind. Daher wird uns nichts anderes übrigbleiben, als uns damit abzufinden. So traurig das auch ist. Und halt mit der restlichen Ukraine endlich den Weg nach Europa gehen.“

Ich wagte es nicht, diesem letzte Satz einen weitere, zusätzlich ernüchternde Wahrheit entgegenzuhalten: dass in der EU wohl auf Jahrzehnte keine Bereitschaft bestehen wird, das Armenhaus Ukraine mit ihrem riesigen Territorium und 42 Millionen Menschen als Mitglied aufzunehmen. Schon alleine diese Größe ist ja ein Problem. Wäre die Ukraine doch das größte EU-Mitglied in Osteuropa. Und der fünftgrößte EU-Staat. Zum Unterschied von Hitler übt auch die frichtbare ukrainische Schwarzerde keine Anziehungskraft auf die EU mehr aus.

Diese Bereitschaft der EU wird auch dann fehlen, wenn – wenn! – die Ukraine es wie die baltischen und die Visegrad-Staaten schaffen sollte, nach der kommunistischen Zerrüttung endlich eine halbwegs saubere Regierung und Verwaltung aufzubauen. Das ist in der Ukraine seit hundert Jahren nie wirklich geglückt. Und diesen schwierigen wie notwendigen Prozess kann auch die Außenwelt einem Land nicht abnehmen – siehe etwa Rumänien.

Politisch wird sich die Stimmung dieses „Den Krieg haben wir verloren“ – frühestens! – erst nach den 2019 bevorstehenden Präsidentenwahlen auswirken. Im Wahlkampf wird es kein Kandidat wagen, das auszusprechen. Auch wenn der wiederantretende Präsident Poroschenko gewiss nicht mehr – wie noch im letzten Wahlkampf – versprechen wird, dass er die Ukraine binnen weniger Wochen von den Russen befreit haben wird. Aber Poroschenko hat ohnedies nur eine sehr kleine Chance, sein eigener Nachfolger zu werden. Allerdings löst auch kein anderer Kandidat Massenbegeisterung aus.

Das Land bräuchte jedenfalls das deutliche Signal eines solchen Friedens sehr dringend. Vor allem nach außen. Denn die Ukraine leidet trotz ihrer vielen arbeitswilligen und gut gebildeten Menschen sehr unter dem Mangel ausländischer Investitionen. Aber solange in der Welt der Eindruck herrscht, dass im ganzen Land Krieg tobt, investiert niemand. Bezeichnendes Erlebnis: Kanadische Verwandte haben, so lange wir in der Ukraine waren, täglich angerufen, ob wir eh noch am Leben sind.

Dieser Eindruck ist jedoch in Hinblick auf den allergrößten Teil der Ukraine absurd. Aber er hat der Folgen. Wenn Investitionen ausbleiben, fehlen auch viele Arbeitsplätze. Das hat zu einer massiven Abwanderung geführt. Diese kann man auch schon optisch an den erschreckend vielen verlassenen Häusern in den Dörfern beobachten.

Rein egoistisch gedacht kann man dem als Österreicher freilich auch etwas Positives abgewinnen. Denn wenn einmal aus Polen, Ungarn oder der Slowakei keine qualifizierten Arbeitskräfte, keine Pflegerinnen mehr kommen werden – was auf Grund der Entwicklung diesen Staaten sehr bald der Fall sein wird –, dann gibt es in der Ukraine noch auf Jahrzehnte ein sehr gutes Reservoir an Arbeitskräften für all die Tätigkeiten, zu denen die in Massen hereingeholten Drittweltmigranten unfähig sind. Bisher hat freilich nur Polen im großen Maßstab die Chance auf eine positive Migration aus der Ukraineerkannt Nach Polen ist schon rund eine Million Ukrainer ausgewandert – oder (aus dem Osten) geflüchtet. Und Tschechien hat immerhin nun angefangen, ukrainische Ärzte zu importieren.

Trotz aller ernüchternden Perspektiven sollten auch zwei positive Langfrist-Veränderungen der Ukraine nicht übersehen werden:

  1. Alle Überlegungen Moskaus, die Trennung zwischen Russland und der Ukraine wieder rückgängig zu machen, sind endgültig ad acta zu legen. Auch wenn die beiden Länder trotz des Krieges noch relativ verzahnt sind – siehe etwa die Breitspureisenbahn. Auch wenn noch vieles in der Ukraine an die sowjetische Trostlosigkeit erinnert. Auch wenn ein Teil der Ukrainer Russisch als Hauptsprache verwendet (Man kann das mit Österreich vergleichen: Dort wird zwar dieselbe Sprache wie in Deutschland gesprochen, aber die nach dem ersten Weltkrieg in allen großen Parteien bestehende Anschluss-Sehnsucht ist heute total verschwunden).
  2. Die Ukraine ist vor allem ein Staat mit normaler Meinungsfreiheit und ohne politische Gefangene geworden. Das ist jedenfalls eine notwendige Grundlage für eine positive Entwicklung. Wenn auch noch keine alleine ausreichende.

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