Selektive Justiz, internationale Standards bei Parlamentswahlen und eine Justizreform. Der Demokratietest aus Brüssel ist berechtigt. Die Ukraine ist aufgefordert, der wohl gemeinten Einladung nachzukommen und klare Zeichen zu setzen. Taktische Spielchen sind denkbar ungeeignet, um das geplante Assoziierungsabkommen zu fixieren.
[[image1]]Wien. Tendiert die Ukraine Richtung EU oder Russland? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat das IDM (Institut für den Donauraum und Mitteleuropa) gemeinsam mit dem Renner Institut eine Konferenz einberufen. Namhafte Experten, darunter Volodymyr Ogrysko, ehemaliger Außenminister (2007-2009) der Ukraine, beleuchten die denkbaren Szenarien rund um die Zukunft der Ukraine, es geht nicht zuletzt um die politische Stabilität in und um Europa. Um es vorweg zu nehmen: Beitrittsperspektiven sind unangebracht, es geht lediglich um das Assoziierungsabkommen. Dieses ist an Auflagen und Bedingungen gebunden, könnte jedoch im Gegenzug einen Investitionsschub auslösen, sofern die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Jetzt liegt es an der Ukraine sich zu positionieren. Wird es gelingen, die schwerwiegenden innerpolitischen Ungereimtheiten zu klären?
Intrigen und ein handgreifliches Parlament
Die Bewährungsfrist für die Ukraine läuft. Das Abkommen kann bereits im November unterzeichnet werden, sofern Kiev greifbare Fortschritte nachweisen kann. Die reichlich selektive Justiz gilt als systematisches Problem, es geht um Fairness und Transparenz. Der Mantel des Schweigens kaschiert seltsame Verfahrensläufe, dazu kommen schwer verständliche innerpolitische Intrigen. Die Bevölkerung der Ukraine befindet sich in präsidialer Geiselhaft, die Regierung wirkt entsprechend machtlos. Zudem kommt das bunte Treiben einiger Oligarchen, die keine langfristige Strategie verfolgen sondern schnellen Profit anstreben. Der Begriff der „Putinisierung“ ist ebenfalls deutlich zu vernehmen. Tendiert die Ukraine Richtung Russland oder ist sie nur im Begriff, die süßen Kirschen vom Sahnetörtchen abzustauben? Die Forderungen Brüssels sind sichtlich nicht willkommen.
Erdöl, Erdgas oder Beitrittshilfe?
Die Ressourcen sind knapp. Es geht um Erdöl und Erdgas, der Druck auf Moskau ist nicht zu übersehen. Subventionen halten die Energiewirtschaft am Laufen, die Eliten sind mit dem Status quo durchaus zufrieden. Die Ressourcenknappheit kann ein Umdenken bewirken. Seitens der EU locken fürs erste jährlich 200 Millionen Euro als Beitrittshilfe und Incentives. Neue Ressourcen könnten erschlossen werden, Investitionen kämen gerade recht. Ans Erbsenzählen denkt hier niemand, es steht zu viel am Spiel. Regionale Probleme und Interessen ringen um Macht und Geld. Die Argumente sind schlagkräftig, zumal es selbst in der EU höchst unterschiedliche Meinungen zum geplanten Abkommen gibt. Die Unterzeichnung wäre ein klarer Erfolg. Brüssel hätte eine gewaltige Hebelwirkung zur Durchsetzung eigener Interessen, während das ukrainische Regime unterminiert wird. Es geht um Glaubwürdigkeit. Die Ratifizierung ist jedoch eine langwierige Angelegenheit über Jahre hinweg, zugleich auch eine völkerrechtliche Weichenstellung für die Zukunft.
Russland und Ukraine: Brüderchen und Schwesterchen
Die Geschichte der Ukraine ist eng an Russland gebunden. Bruder Russland war stets bemüht, die kleine Schwester an die kurze Leine zu nehmen. Die Ukraine ist selbstbewusst und will keineswegs in der zugeteilten Rolle verweilen. Wirtschaftliche Verflechtungen mit Russland in Form der Zollunion würden vieles erleichtern, die Annäherung an Europa wiederum könnte Nachbar Russland vergrämen, die angeborenen Phobien sind nicht zu übersehen. Die Spannungen sind enorm, die Bemühungen Russlands, den ideologischen Einfluss auf die Ukraine zu verstärken wirken bedenklich.
Taktische Manöver: Showeffekte überwiegen
Gegenwärtig prägen taktische Manöver den aktuellen Dialog zwischen Brüssel und Kiev, es geht um substantielle Werte. Die selektive Justiz hat sichtlich Tradition und wird wohl kaum jemals geändert, wie auch die Neigung der Ukraine hin zur EU von einigen als reine Show bezeichnet wird. Die strukturellen Probleme sind nicht zu übersehen. Bleibt alles so wie bisher, fungiert die EU als Katalysator zur sanften Ablösung von Russland. Dabei wäre aus Sicht der Experten sogar ein illustres Trio zwischen Russland, Ukraine und der EU durchaus machbar. Ob Russland hier mitzieht, ist jedoch höchst zweifelhaft. Abwarten hat sicher was auf sich. Dann wäre noch die Variante der passiven Störung durch Ereignisse von außen. Hier kommt die pro-aktive Osteuropapolitik der EU ins Spiel. Die Optionen bieten ein breites Spektrum und könnten abwechslungsreicher nicht sein, eine pro-europäische Haltung der Ukraine hat sicher was auf sich.
Ukraine drängt Richtung EU
Strategie statt Politik. Dieser Ratschlag von V. Ogrysko ist an die EU-Spitze gerichtet. Ein geeignetes Konzept könnte erfolgreich sein. Zudem kommt die klare Forderung nach Visafreiheit. Je schneller die Ukraine zudem bei EU und NATO ist, umso schneller wird sich Russland verändern. Der ehemalige Außenminister der Ukraine bezieht Stellung, ohne auf das derzeit unpässliche Framework zu achten. Die geschichtlichen Hintergründe berühren, doch das ändert nichts an den Umständen. Die Sache mit der NATO bleibt ohne weitere Ausführungen, doch scheint diesbezüglich eine gewisse Dringlichkeit vorzuliegen. Beitrittsperspektiven sind, darüber herrscht breite Einigkeit, auch nur ansatzweise unberechtigt, solange der bunten Show nicht entsprechende Taten folgen. Was, wenn die leicht durchschaubare Hinhaltetaktik darauf abzieht, die EU in die eigene Zeitfalle tappen zu lassen?