Die Corona-Pandemie wird Auswirkungen auch auf die EU haben. Aus Umfragen lässt sich bereits die Notwendigkeit eines „Re-Building“ herauslesen, damit die Union Bestand hat.
In der öffentlichen Berichterstattung wird seit Beginn der Corona-Krise die Performance der EU durchaus kritisch gesehen. Die Vorwürfe sind vielgestaltig. So vermittle etwa die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht wirklich Handlungskompetenz und Gestaltungswillen. Das habe sich von Anfang an gezeigt, als sich die Kommission – mit dem Hinweis, Gesundheitspolitik seit Ländersache – zwar für das Offenhalten der Grenzen stark machte, es aber vermied generell Koordinierungsfunktionen zu übernehmen. Mit dem Effekt, dass mittlerweile ein jedes EU-Land eine eigene Strategie verfolgt und nun erst im Zuge des „Lock downs“ die bilaterale Absprache mit den anderen Ländern gesucht wird. Auch was die notwendigen großen finanziellen Hilfsprogramme betrifft, werden mehrere Projekte ventiliert, aber kein präziser Vorschlag auf den Tisch gelegt. Wie etwa ein „Marshallplan“ für Europa, der nicht nur angedacht, sondern offensiv in Angriff genommen werden müsste.
Erinnerungen an die Finanzkrise 2007-2009
In den Umfragen, die derzeit veröffentlicht werden, geht es im Grunde genommen nur um die Auswirkungen und Einschätzungen der Auswirkungen der Pandemie auf das öffentliche und private Leben. Und wie es mit der Zustimmung der Bevölkerung zu den jeweiligen Regierungen steht. Wie aber steht es um die Performance der EU? Für die Meinungsforscher steht fest, dass sich dieses erst nach dem Ende der Corona-Krise, der Rückkehr in eine Art Normalität zeigen wird. Schon jetzt zeichnen sich aber Trends ab. Ganz allgemein wird derzeit auf die große Finanzkrise 2007 bis 2009 verwiesen. Da habe es auch einige Zeit gedauert, bis das Vertrauen in die EU einen ordentlichen Einbruch fand – und die Zustimmung unter 50 Prozent rasseln ließ. Nachdem freilich die monetären Maßnahmen griffen und es sich zeigte, dass die EU doch ein beachtliches Schutzschild darstellt, kehrte die mehrheitlich positive Einstellung wieder zurück. Diesmal könnte die Entwicklung auch anders verlaufen.
Österreich – Risse im Verhältnis zur EU
Eine österreichische demoskopische Erhebung (erstellt von der Österr. Gesellschaft für Europapolitik Ende März) und eine Brüsseler Zusammenfassung von Umfragen in den EU-Ländern (Eurobarometer mit Stichtag Mitte April) lässt aber bereits erkennen, dass es nicht nur im Verhältnis der Bevölkerung in der Alpenrepublik zur EU Risse gibt. Gerade hier fand die Mitgliedschaft zur Union seit der Volksabstimmung 1994 eine fast konstante hohe Befürwortung. So sind aktuell weniger als die Hälfte, nämlich 33 Prozent der Meinung, dass sich am Status der EU nichts ändern werde, nur 16 Prozent glauben an ein Erstarken der EU. Allerdings und das ist bemerkenswert, die relative Mehrheit – genau sind es 39 Prozent – nehmen an, dass die EU schwächer aus der Krise herausgehen wird.
Europa befürwortet das Handeln der eigenen Regierung
Etwas differenzierter aber nicht unähnlich sieht es im europäischen Meinungsbild aus. Hier zeigt sich vor allem quer durch Europa eine pessimistische Zukunftserwartung. Das betrifft das eigene Leben, vor allem aber generell die finanziellen Konsequenzen, die diese Pandemie und die diversen so genannten Hilfsprogramme erst noch nach sich ziehen werden. Interessant ist, dass beim Kampf gegen die Krise den eigenen Staaten wesentlich mehr Bedeutung als der Verwaltung in Brüssel geschenkt wird. Fast durchgehend befürwortet eine starke Mehrheit – also über 50 Prozent hinausgehend – das Handeln ihrer jeweiligen Regierung. Übrigens auch in Italien. Besonders ausgeprägt ist dieses Votum in jenen Ländern, die dank eines funktionierenden Gesundheitssystems die Verbreitung des Virus gut im Griff haben, nämlich Dänemark, Deutschland, Österreich und Malta. Erkennbar wird insgesamt aber auch eine gewisse Sorge bezüglich der Exit-Strategie, die die Diskussionen in der nächsten Zeit bestimmen wird und noch keine einheitlichen Konturen erkennen lässt.
Bereits 43 Prozent erwarten eine Schwächung der EU
Gerade hier käme der EU-Kommission eine entscheidende Aufgabe zu. Sind es doch gleich 52 Prozent die von Brüssel erwarten, dass jetzt die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Allerdings scheint da im Hintergrund auch eine gewisse Skepsis im Spiel. Geht es nämlich nach der Bevölkerung in den einzelnen EU-Staaten, dann bevorzugt sie mehr als deutlich regionale Lösungen. Was in dem Zitat gipfelt: „local instead of global“. Soll heißen, man will nicht das Diktat, eine bürokratische Verordnung von oben sondern ein Handeln vor Ort, das auch die verträglichen und vertretbaren Maßnahmen trifft sowie den jeweiligen Lebensumständen der Regionen und Staaten Rechnung trägt. Ähnlich wie in Österreich schätzt man übrigens europaweit, dass die EU am Ende der Krise schwächer dastehen wird als heute. 43 Prozent sind bereits dieser Meinung.
„Re-Building“, Wiederaufbau wird die Herausforderung
Ohne Zweifel da besteht Handlungsbedarf. Das Ziel muss „Re-Building“, Wiederaufbau heißen, will man nicht ein Zerfallen der Union riskieren. Schon heute wird erkennbar, dass es mehrere Blöcke, so einen skandinavischen, einen süd- und einen osteuropäischen gibt, die längst nicht mehr an einem gemeinsamen Strang ziehen. Die fünf Zukunftsszenarien, die der ehemalige Kommissionspräsident Jean Claude Juncker 2017 entworfen hat, sind heute passe. Die EU der Zukunft wird sich am Prinzip der Subsidiarität orientieren müssen, das lässt sich aus der Eurobarometer-Auswertung herauslesen. Gemeinsamkeit ist in den zentralen Fragen, die Europas Stellung in der Welt betreffen, von der Wirtschafts- und Finanzpolitik bis hin zur Sicherheits- und Außenpolitik, gefragt. Gleichzeitig wird aber mehr Eigenverantwortung für die Nationalstaaten gefordert sein, weil sie näher am Bürger sind. Verfolgt man das Auftreten, die Aussagen der Kommission, so ist man nicht unbedingt der Überzeugung, dass diese Botschaft auch bereits in Brüssel angekommen ist.