Der Südkoreaner Ban Ki-moon macht demnächst Platz für den zehnten UNO-Generalsekretär seit 1945. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, also seinem Nachfolger, ist nach einem monatelangen Pokerspiel beendet. Die 193 angeblich Vereinten Nationen, die in der Realität andauernd zu streiten pflegen wie Hund’ und Katz’, werden sich für einen Portugiesen entscheiden, der den nach dem Papst prestigeträchtigsten internationalen Top-Job bekommt. Antonio Guterres, einst sozialistischer Premier in Portugal und ehemaliger UN-Flüchtlingshochkommissar, hat sich in allen Probeabstimmungen im Sicherheitsrat als Favorit herauskristallisiert und konnte letztlich die anderen BewerberInnen aus dem Rennen werfen – obwohl vieles darauf hindeutete, dass ihn Russland mit einem Veto verhindern wolle.
Das Finale in New York verlief sehr brisant: Ende September ist zur allgemeinen Überraschung die Bulgarin Kristalina Georgieva, ihres Zeichens Vizepräsidentin der EU-Kommission, wie ein Phönix aus der Asche aufgetaucht. Sie kann auf eine Traumkarriere verweisen, die von der Weltbank bis nach Brüssel reicht, und war sich obendrein der Unterstützung durch Angela Merkel sicher. Am meisten jedoch schien für sie zu sprechen, dass diesmal gemäß UNO-internen Präferenzen jemand aus Osteuropa ernannt werden und außerdem erstmals eine Frau zum Zug kommen sollte. Georgieva hatte daher in mehrfacher Hinsicht gute Karten: Zum einen nahm sich eine direkte Rivalin, die frühere kroatische Außenministerin Vesna Pusic, bereits selbst aus dem Spiel, weil sie sich keinerlei Chancen mehr ausrechnete. Zum andern wurde die Bewerbung der erst 47-jährigen Natalia Gherman, einstmals stellvertretende Premierministerin von Moldawien, nicht wirklich Ernst genommen. Auch die vier männlichen Kandidaten für das Amt, allesamt ebenfalls aus Osteuropa, durften sich nur Außenseiter-chancen ausrechnen: Der serbische Ex-Außenminister Vuk Jeremic beispielsweise stieß bei den USA auf Widerstand; gegen den einstigen Außenminister der Slowakei, Miroslav Lajcák, hatte wiederum Großbritannien so seine Bedenken; Sloweniens Ex-Präsident Danilo Türk, früher acht Jahre Botschafter bei den Vereinten Nationen und Assistent von Kofi Annan, rangierte vom Start weg lediglich unter ferner liefen; und der 68-jährige Srgjan Kerim, Kurzzeit-Außenminister und langjähriger Botschafter Mazedoniens, schien schon altersmäßig nicht unbedingt der optimale Kandidat zu sein.
Die nicht aus Osteuropa stammenden Job-Bewerber konnten ohndies bloß auf ein Wunder hoffen: Argentiniens Außenministerin Susana Malcorra wäre zwar ganz nach dem Geschmack der Amerikaner gewesen, fiel damit aber automatisch bei den Russen durch; die UNO-Insiderin Helen Clark wiederum, einstmals Premierministerin Neuseelands und nunmehrige Leiterin des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen, galt als Notlösung, falls alle anderen Stricke reißen sollten.
Sekretäre statt Generäle
Im Gegensatz zu früher, als die durchwegs männlichen Generalsekretäre stets wie Kaninchen aus dem Zylinder gezaubert wurden, lief der Selektionsprozess diesmal etwas transparenter ab. Trotzdem hat sich am taktischen Geplänkel der mächtigsten Player nichts Wesentliches geändert, sodass letzten Endes nichts anderes als eine Kompromisslösung möglich war, die demnächst von der UNO-Generalversammlung nur noch symbolisch abgesegnet wird.
Der 67-jährige Guterres, der den 72-jährigen Südkoreaner Ban Ki-moon am 1. Jänner 2017 ablösen wird, sollte einem höchst anspruchsvollen Anforderungsprofil entsprechen: In der ranghöchsten UNO-Position wären beispielsweise Autorität, Integrität, Zivilcourage, Führungs-qualitäten, Durchsetzungskraft und viel diplomatisches Geschick gefragt, um einerseits die aus 40.000 Mitarbeitern bestehende, mit einem Budget von etwa zehn Milliarden Dollar ausgestattete Mammutorganisation führen, und anderseits deren oberste Ideale und Ziele auch nur halbwegs gut umsetzen zu können.
Besonders hoch liegt die Latte für den Portugiesen allerdings nicht: Die bislang neun Generalsekretäre an der Spitze der vielkritisierten Weltorganisation – vier stammten aus Westeuropa, zwei aus Afrika, zwei aus Asien und einer aus Peru – waren nämlich beim permanenten Kampf für Frieden kaum erfolgreich, weil sie bei so gut wie allen bewaffneten Konflikten der vergangenen Jahrzehnte stets einen ziemlich hilflosen Eindruck machten. Am besten schlug sich noch der erste schwarzafrikanische Generalsekretär Kofi Annan, der 2001 den Friedennobelpreis für seinen „Einsatz für eine besser organisierte und friedlichere Welt“ erhalten hat. Seine Kollegen, in der Regel Ex-Minister wie Sithu U Thant aus Burma oder gelernte Spitzendiplomaten wie der Ägypter Boutros Boutros-Ghali, haben als oberste UNO-Beamte nur wenige Spuren hinterlassen und es nicht geschafft, die Effizienz des elitären New Yorker Debattierklubs wirksam zu steigern. Was maßgeblich damit zu tun hat, dass sie allesamt mehr Sekretäre als Generäle gewesen sind.
Die triste Bilanz von Ban Ki-moon, der so wie fast alle Vorgänger zehn Jahre lang emsig alle Weltgegenden besucht hat, ist folglich nur mit Zweckoptimismus halbwegs zu retten: In einem im „Standard“ veröffentlichten Gastkommentar schreibt er, dass „wir die Macht haben, Kriege, Armut und Verfolgung zu beenden, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen und die Rechte im Leben von Menschen zu verwirklichen“ – gelungen ist davon in seiner Amtszeit freilich so gut wie nichts. Es muss also der Zukunft vorbehalten bleiben, Antworten auf die „gravierenden Sicherheitsrisiken“, das „Versagen von Regierungen“, die „Radikalisierung durch gewalttätige Extremisten“ oder „die größten Zwangsvertreibungen von Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg“ zu finden.
Freilich: Vom neuen UNO-Generalsekretär sind nicht einmal ansatzweise Wunderdinge zu erwarten, selbst wenn er sich als eine Art Wunderwuzzi entpuppen würde. Die Vereinten Nationen werden nämlich auch weiterhin nur das tun, was sie bereits seit ihrer Gründung vor 71 Jahren machen: Endlos über den schlechten Zustand dieser Welt diskutieren, doch die vielfältigen Probleme letzten Endes leider nicht reparieren…