US-Präsident Donald Trump? – dieser Albtraum, der einen bis vor kurzem nicht aufscheuchen musste, könnte doch noch Realität werden. Der in diesem monatelangen, irrwitzigen Wahlkampf von praktisch allen guten Geistern verlassene Polit-Amateur hat es im Finale geschafft, kräftig aufzuholen und seine Rivalin noch in arge Bedrängnis zu bringen. Hillary Clinton, die bislang stets als Favoriten gegolten hatte, verspielte ihren Vorsprung – hauptsächlich auf Grund der unseligen Email-Affäre, die der den Republikanern nahestehende FBI-Chef James Comey weiter zu untersuchen gedenkt. Auf Grund seines unfassbaren Eingriffs in den US-Wahlkampf lautet das Motto für den 8. November: Nichts ist unmöglich…
Die Entscheidung, wer als 45. Präsident ins Weiße Haus einziehen wird, gleicht nach all dem, was die Kandidaten abgeliefert haben der Wahl zwischen Pest und Cholera. Den rund 200 Millionen wahlberechtigten US-Bürgerinnen und -Bürgern geht es folglich nicht darum, für die bessere Kandidatin/den besseren Kandidaten zu votieren, sondern in Wahrheit werden sie bloß das kleinere Übel zu wählen haben, um noch Schlimmeres verhindern zu können. Der spröden Demokratin Clinton, die den Nachweis erbringen möchte, dass sie die Vereinigten Staaten genauso gut führen kann wie ihr Mann Billy, flogen die Sympathien keineswegs automatisch zu – eher das Gegenteil war der Fall. Sie gilt als eiskalte, aalglatte Symbolfigur des vielerorts verhassten Establishments und hat gegen massive Zweifel anzukämpfen, ob sie denn überhaupt das Zeug für dieses Amt mitbringt. Keinerlei Zweifel gibt es indes, dass der politisch total unerfahrene Selbstdarsteller Trump absolut ungeeignet wäre, mächtigster Mann der Welt zu sein. Der unberechenbare Populist hat sich bei seinen Wahlveranstaltungen mit schrägen Ansagen derart viele Entgleisungen geleistet, dass ihn unzählige Amerikaner vehement ablehnen und für den Fall seines Sieges das Schlimmste zu befürchten ist
Wie steht nun das brutale Duell kurz vor dem Showdown? Nachdem sich in den vielen Meinungsumfragen im Moment kein klarer Trend abzeichnet, bleibt die Prognose des in Chicago beheimateten Instituts Real Clear Politics (RCP), das aus allen bisherigen Umfragen, die aggregiert und gewichtet werden, das Meinungsklima präzisiert. Mit Stand 4. November liegt Hillary Clinton mit 47 Prozent noch knapp vor dem selbst in der eigenen Partei ungeliebten und höchst umstrittenen Republikaner, der bei 45,3 Prozent hält. Auch wenn RCP in der Vergangenheit zumeist präzise Prognosen erstellt hat, muss das freilich noch gar nichts heißen: Denn laut brandneuer Umfrage der „Los Angeles Times“ liegt wiederum Trump mit 48 : 43 voran, was beispielsweise die Aktienkurse nahezu weltweit fallen ließ.
Vier Staaten entscheiden alles
Wer mehr und wer weniger Stimmen erhalten wird, ist allerdings nur bedingt von Relevanz: Die Wählerinnen und Wähler dürfen in den angeblich super-demokratischen USA zwar in Runde Eins mitmischen – die Entscheidung wird letztlich aber am 19. Dezember von 538 so genannten Wahlmännern getroffen. Diese werden von jedem Bundesstaat gemäß seiner Einwohnerzahl gestellt und nach dem Motto „The Winner takes it all“ jenem Präsidentschaftsbewerber zugeschlagen, der im jeweiligen Staat die Nase vorne hat. Auf diese Weise werden sämtliche Stimmen für den Zweitplatzierten vollkommen wertlos. Sieger wird sein, wer bei der finalen Abstimmung 270 Wahlmänner hinter sich hat.
Zur Zeit sieht es so aus, als würde Clinton mit 226 und Trump mit 180 Wahlmännern fix rechnen können. Bei 132 Mandaten ist es noch nicht absehbar, für welchen Kandidaten sie letztlich votieren werden. Wenn man den amerikanischen Meinungsforschern halbwegs vertrauen kann und sie nicht wie ihre britischen Kollegen vor dem Brexit-Referendum Schwachsinn prophezeien, dann wird die demokratische Kandidatin in Kalifornien, das mit 55 Wahlmännern das landesweite Maximum stellt, mit deutlichem Vorsprung siegen. Auch die großteils im Norden des Landes gelegenen Bundesstaaten New York, Michigan, Wisconsin, Illionois, Minnesota und Washington DC dürften sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für sie entscheiden. Trump hingegen wird den Auguren zu Folge vor allem in Texas und Georgia besser abschneiden, was ihm schon einmal 54 Wahlmänner sichern dürfte. Obendrein liegt er in den viele kleinere Bundesstaaten betreffenden Umfragen ziemlich eindeutig voran – so etwa in Alabama, Arkansas, Oklahoma, Montana, Wyoming, Kentucky, Missouri und Montana.
Das bedeutet: Am 8. November wird es eigentlich bloß darum gehen, welche Mehrheiten in den derzeit elf Bundesstaaten zustandekommen, wo aus heutiger Sicht noch alles weitgehend offen ist. Leicht bessere Chancen darf sich Clinton zwar in Pennsylvania (mit 20 Wahlmännern), New Hampshire und Maine ausrechnen; in Ohio (mit 18 Wahlmännern), Nevada, Arizona und Iowa hat dagegen Trump die etwas besseren Karten. So gesehen wird es auf lediglich vier Bundesstaaten ankommen, wie das landesweite Duell tatsächlich ausgeht: Am härtesten umkämpft wird Florida (mit 29 Wahlmännern) sein, aber auch in North Carolina (15), Virginia (13) und Colorado (9) zeichnet sich Hochspannung ab, wobei arschknappe Resultate wahrscheinlich sind.
Die diesmalige Präsidentschaftswahl hat das Image der Supermacht jedenfalls ziemlich angekratzt. Zum einen ist das weltweite Erstaunen groß, dass die beiden politischen Lager nicht in der Lage waren, überzeugendere Bewerber zu finden als Clinton und Trump: Während es bei den Demokraten lediglich fünf Gegenkandidaten gab, die letztlich gegen die einstige Außenministerin chancenlos blieben, standen bei der republikanischen Partei immerhin 17 Kandidaten parat, die freilich völlig unerwarteter Weise vom ebenso hemmungslosen wie radikalen Selfmade-Politiker an die Wand gespielt wurden und nach und nach w.o. geben mussten. Seit der laut eigener Darstellung milliardenschwere Retter der Nation, der letztlich das Land bereits gespalten hat, ankündigte, im Falle seiner Niederlage das Ergebnis nicht anerkennen zu wollen, sind die USA zusätzlich weltweitem Spott ausgesetzt.
Schließlich sorgt das geltende Mehrheitswahlsystem, das Demokratie auf das 538 Mitglieder umfassende so genannte „Electoral College“ reduziert, wieder einmal für breite internationale Verwunderung. Denn auf diese Weise ist etwa nicht auszuschließen, dass ein Kandidat, der alles in allem weniger Wählerstimmen erhält, trotzdem Wahlsieger wird. So geschehen etwa bei den Wahlen 2000, als der Demokrat Al Gore die relative Mehrheit aller Stimmen schaffte, doch der Republikaner George W. Bush Präsident wurde. Die Absurdität schlechthin hatte es freilich im Jahr 1876 gegeben: Damals errang Samuel J. Tilden von der Demokratischen Partei am Wahltag zwar die absolute Mehrheit – ins Weiße Haus zog allerdings sein republikanischer Rivale Rutherford B. Hayes ein. Bleibt inständig zu hoffen, dass dem Land diesmal nicht eine ähnliche Blamage blüht. Es wäre jedenfalls nach diesem irrwitzigen Wahlkampf und angesichts der womöglich noch drohenden Kalamitäten hoch an der Zeit, dass in den USA über ein sinnvolles – und auch tatsächlich demokratisches – Wahlsystem für’s nächste Mal nachgedacht wird. Jetzt kann man nur hoffen, dass sich Hillary Clinton doch noch gegen das größere Übel durchsetzen kann…
PS: Die Österreicherinnen und Österreicher zeigen übrigens eine klare Präferenz für Hillary Clinton. Laut Umfrage des Linzer „Market“-Instituts würden 67 Prozent der Befragten am 8. November für sie stimmen. Den notorischen Sprücheklopfer aus New York würden dagegen nur sechs Prozent wählen. Für 27 Prozent der Österreicher sind beide Kandidaten nicht wählbar…