Vorbemerkung
Nachdem sich der Autor bereits 2014 mit der Frage der Sanktionierung der russischen Okkupation der Krim durch die EU literarisch auseinandergesetzt hat,[1] ist es ihm ein Bedürfnis, im Lichte dieser Erfahrung, auch die kriegerische Intervention der Ukraine durch die Russländische Föderation Anfang 2022 einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Nicht nur die völkerrechtswidrige Vorgangsweise Russlands, sondern vor allem deren Sanktionierung durch die EU und ihre Mitgliedstaaten, wirft eine Reihe grundlegender Probleme auf, deren Auswirkungen ausgesprochen vielschichtig sind. Diese können aus Platzgründen aber nur kurz angedeutet werden. Der Schwerpunkt des Artikels liegt bewusst auf einer umfassenden Dokumentierung und Systematisierung der seitens der EU gegen die russischen Aggressionen ergriffenen Sanktionen.
1. Einführung
Am 21. November 2013 verweigerte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Unterzeichnung des im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) gem. Art. 8 Abs. 2 EUV der Ukraine von der EU angebotenen Assoziierungsabkommens und entschied sich damit für einen prorussischen Kurs. In der Folge kam es zu pro-europäischen Protestbewegungen, die in gewaltsamen Demonstrationen mit tödlichen Ausschreitungen am Majdan-Platz in Kiew endeten. Am 22. Februar 2014 zog Präsident Janukowitsch die Konsequenzen und setzte sich in das Ausland ab.
Im der Folge besetzte Russland im März 2014 die Halbinsel Krim und führte ein Referendum über die Zugehörigkeit der Krim zur Russischen Föderation durch, das zugunsten Russlands ausfiel. In der Folge kam es in der gesamten Ukraine sowohl zu pro-russischen, als auch pro-ukrainischen, Demonstrationen, die die Bevölkerung der Ukraine weiter spalteten. Im April 2014 eskalierte der Konflikt im Donbass, als pro-russische Separatisten die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausriefen, die allerdings international nicht anerkannt wurden. Dementsprechend verhängten die EU, aber auch die USA und eine Reihe weiterer Staaten im Juli 2014 wirtschaftliche Sanktionen gegen die Russländische Föderation.
1.1. „Erbetene Intervention“ und „humanitäre Intervention“
Die völkerrechtlich außerordentlich komplexe Situation der militärischen Intervention der Russländischen Föderation in der Krim wird seitens Russlands und der EU völlig konträr gesehen und eingeschätzt. Russland setzte dabei erneut das Szenario ein, dessen es sich bereits im August 2008 im Falle der Sezessionsbestrebungen der georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien bedient und dafür eine „erbetene Intervention“ seitens angeblich gefährdeter russischer Bevölkerungsteile in Georgien konstruiert hatte. Am Ende des Krieges musste Georgien die Kontrolle über beide Provinzen abgeben, Russland erkannte die beiden Provinzen als unabhängige Staaten an und positionierte sich als Schutzmacht derselben.
Im Gegensatz dazu gehen die EU und ihre Mitgliedstaaten von einer völkerrechtswidrigen Invasion und nachfolgenden Annexion der Krim durch Russland aus, eine Ansicht der sich auch das Europäische Parlament in seiner „Entschließung zur Invasion Russlands in der Ukraine“[2] vom 13. März 2014 anschloss, in der es vor allem die offizielle Doktrin Russlands einer „humanitären Intervention“[3] zugunsten der russischen Minderheiten auf der Krim strikt zurückwies. In Bezug auf die von der EU und ihren Mitgliedstaaten mehr oder weniger offenen gelassenen Frage, ob es sich bei der russischen „Invasion“ der Krim nur um einen Bruch des Interventionsverbots iSv Art. 2 Abs. 7 SVN oder schon des Gewaltverbotes iSv Art. 2 Abs. 4 SVN handelt, weist die Entschließung des Europäischen Parlaments bereits in der Präambel auf das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN hin und vertieft in der Folge diese Ansicht noch weiter.
1.2. Budapester Memorandum (1994) und Minsker Protokolle (2014/2015)
In der erwähnten Entschließung wies das Europäische Parlament aber auch auf die Verletzung des Budapester Memorandums über Sicherheitsgarantien für die Ukraine hin, da Russland darin zugesichert hatte, „die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu achten“. Im Budapester Memorandum, das am 5. Dezember 1994 am Rande des KSZE-Gipfels in der ungarischen Hauptstadt unterzeichnet worden war,[4] hatten die USA, Großbritannien und Russland die Unabhängigkeit und politische Integrität der Ukraine garantiert – im Gegenzug zu deren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag.
Im Zuge internationaler Friedensbemühungen zur Beilegung des Ostukraine-Konflikts – der sowohl Elemente eines internen (innerukrainischen) Konflikts, zugleich aber auch solche eines zwischenstaatlichen Konflikts (Ukraine/Russland) aufweist[5] – wurden die sog. Minsker Vereinbarungen geschlossen, die im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Russland, Ukraine) und mit Unterstützung des sog. „Normandie-Formats“[6] ausgehandelt wurden.[7]
Den Anfang machte das Protokoll „Minsk I“ vom 5. September 2014, das die Gewährleistung eines sofortigen Waffenstillstandes unter Beobachtung durch die OSZE enthielt und das am 19. September 2014 durch das „Minsker Memorandum“ mit konkreten Vereinbarungen zur Umsetzung des Waffenstillstands ergänzt wurde. Aufgrund der nur schleppenden Umsetzung von „Minsk I“ kam es in der Folge am 12. Februar 2015 im Rahmen des Protokolls „Minsk II“ zur Erstellung eines Maßnahmenpakets zur Umsetzung von „Minsk I“, das in der Folge durch die von Russland eingebrachte Resolution 2202 (2015) des Sicherheitsrates der VN vom 17. Februar 2015[8] auch von diesem auch gebilligt wurde.
Am 21. Februar 2022 erklärte Präsident Putin das Minsker Abkommen für gescheitert und verkündete zugleich die Anerkennung der selbstproklamierten Volksrepubliken Lugansk und Donezk als eigenständige Staaten. Am 24. Februar 2022 erfolgte dann die militärische Intervention der Russländischen Föderation in die Ukraine, deren völkerrechtliche Konsequenzen, sowie deren Sanktionierung, nachstehend kurz abgehandelt werden sollen. Zum Vergleich dieser Reaktion der Staatengemeinschaft auf den Völkerrechtsbruch Russlands 2022 mit deren Vorgangsweise im Jahr 2014 ist aber zunächst kurz ein „Blick zurück“ zu richten.
2. Die Annexion der Krim durch Russland im März 2014 sowie deren Sanktionierung
Gegen die rechtswidrige Okkupation der Krim ging die EU sowohl mit Sanktionen gegen führende russische Politiker und Oligarchen, als auch gegen Russland selbst vor. Am 6. März 2014 verurteilten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten die nicht provozierte Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität durch die die Russische Föderation aufs Schärfste und forderten diese auf, ihre Streitkräfte unverzüglich abzuziehen. Die Staats- und Regierungschefs waren dabei der Ansicht, dass die Entscheidung des Obersten Rates der Autonomen Republik Krim, ein Referendum über den künftigen Status des Territoriums abzuhalten, gegen die ukrainische Verfassung verstößt und daher rechtswidrig ist.
2.1. Drei „Sanktionspakete“ der EU
Die gegen Russland in der Folge verhängten Sanktionen der EU beruhen auf folgenden drei „Sanktionspaketen“:
(a) Am 17. März 2014 nahm der Rat den Beschluss 2014/145/GASP[9] an und erließ am selben Tag die durch diesen angeregte und auf Art. 215 AEUV gestützte Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen in Bezug auf Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen[10]. Der Beschluss 2014/145/GASP wurde auf Grundlage von Art. 29 EUV gefasst, die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 auf der Grundlage von Art. 215 AEUV. Mit der Verordnung wurden bestimmte im Beschluss 2014/145/GASP vorgesehene Maßnahmen umgesetzt, die das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen bestimmter natürlicher und juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen sowie Beschränkungen bestimmter Investitionen als Reaktion auf die rechtswidrige Annexion der Krim und Sewastopols umfassen.
(b) Angesichts des weiteren Vorgehens Russlands zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine erließ der Rat gem. dem Beschluss 2014/512/GASP vom 31. Juli 2014[11] die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts des Vorgehens Russlands zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine,[12] mittels derer ua der Verkauf von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck („dual use“ Güter) an Russland verboten wird, wenn diese Gegenstände ganz oder teilweise für militärische Zwecke bestimmt sind oder bestimmt sein könnten. Rechtsgrundlagen sind hier ebenfalls Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV.
(c) Des Weiteren wurden vom Rat Sanktionen auch in Bezug auf die rechtswidrige Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russländische Föderation erlassen. Diesbezüglich enthalten sowohl der Beschluss 2014/386/GASP[13], als auch die Verordnung (EU) Nr. 692/2014 des Rates vom 23. Juni 2014[14] die entsprechenden Sanktionsbestimmungen, wobei auch in diesen Fällen Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV die einschlägigen Rechtsgrundlagen sind.
2.2. Individualsanktionen in Form von „smart“ oder „targeted sanctions“
Schwerpunktmäßig handelte es sich bei diesen Sanktionen um sog. „smart“ oder „targeted sanctions“, dh um Individualsanktionen, die gezielt gegen einzelne Personen, Personengruppen oder Unternehmen eingesetzt werden, und deren Rechtsgrundlage sich in Art. 215 Abs. 2 AEUV findet. Für deren Verhängung ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen, gem. dessen zunächst ein entsprechender Beschluss des Rates im Rahmen der GASP – gem. Art. 28 oder 29 EUV – gefasst werden muss, an den sich in der Folge erst der entsprechende Sanktionsbeschluss des Rates gem. Art. 215 Abs. 2 AEUV anschließen kann.
In praxi waren dies zwei Verordnungen des Rates, die wiederum von Durchführungsverordnungen des Rates näher ausgestaltet wurden. Der Grund dafür, warum es hier nicht – wie sonst iSv Art. 291 Abs. 2 AEUV regelhaft – zur Durchführung von Rats-Verordnungen durch die Kommission gekommen ist, sondern der Rat seine Grund-Verordnungen selbst durch Durchführungs-Verordnungen näher ausgestaltet hat, liegt darin begründet, dass es sich bei diesen „smart sanctions“ um eine politisch äußerst sensible Materie gehandelt hat.
Die von den „smart sanctions“ betroffenen Adressatenkreise waren äußerst unterschiedlich und erfassten sowohl Personen, die für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine oder die Verletzung von Menschenrechten bzw. für Handlungen verantwortlich waren, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergruben oder bedrohten, uam[15].
2.3. Wirtschaftssanktionen
Im Juli und September 2014 verhängte die EU Wirtschaftssanktionen, die Geschäfte mit Russland in bestimmten Wirtschaftszweigen betrafen. Diese Sanktionen richteten sich gegen die Finanzwirtschaft, den Handel, den Energiesektor, den Verkehrssektor, die Technologiebranche und den Verteidigungssektor. Im März 2015 beschloss die EU, die Aufhebung der geltenden Sanktionsregelung von der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk abhängig zu machen, die bis Ende Dezember 2015 erfolgen sollte. Da dies nicht geschah, verlängerte der Rat die Wirtschaftssanktionen bis zum 31. Juli 2016. Die Wirtschaftssanktionen wurden seit Juli 2016 sukzessive um jeweils sechs Monate verlängert. Der Beschluss, die Sanktionen zu verlängern, wurde jeweils nach der Prüfung der Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk gefasst.[16]
3. Die militärische Invasion der Ukraine durch die Russländische Föderation 2022 sowie deren Sanktionierung
Die Russländische Föderation begann in der zweiten Jahreshälfte 2021 einen großflächigen militärischen Aufmarsch an seiner Grenze zur östlichen Ukraine und begründete diesen damit, dass es sich um die Vorbereitung von Militärmanövern handle. Nach spannungsgeladenen Wochen beschloss Präsident Putin am 21. Februar 2022, die nicht von der Regierung in Kiew kontrollierten Gebiete der ukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk als unabhängige Einheiten anzuerkennen und zu deren Sicherung russische Truppen zu entsenden. Am 15. Februar 2022 stimmte die russische Staatsduma – das Unterhaus des russischen Parlaments -diesem Beschluss zu und am 24. Februar 2022 leitete Russland eine militärische Invasion der Ukraine ein, die zunächst über deren nördliche und östliche Gebietsteile erfolgte, wobei Weißrussland (Belarus) Schützenhilfe leistete. Die EU verurteilte die Anerkennung der Regionen Donezk und Lugansk als souveräne Einheiten sowie die grundlose und ungerechtfertigte militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste, ebenso wie auch die Beteiligung von Belarus daran.
3.1. Die bisherigen sechs Sanktionspakete der EU
Als Reaktion darauf nahm die EU – vom 23. Februar bis zum 3. Juni 2022 – folgende sechs Sanktionspakete an:[17]
Erstes Sanktionspaket (23. Februar 2022): Individuelle Sanktionen gegen diejenigen Mitglieder der Staatsduma, die für die Anerkennung der Regionen Donezk und Luhansk gestimmt haben; Beschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu diesen beiden Regionen; Beschränkung des Zugangs Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten sowie den Kapital- und Finanzmarktdienstleistungen in der EU.
Zweites Sanktionspaket (25. Februar 2022): Individuelle Sanktionen gegen Wladimir Putin, Sergej Lawrow und Mitglieder des nationalen Sicherheitsrates; Wirtschaftssanktionen in den Sektoren Finanzen, Energie, Verkehr und Technologie; Aussetzung der Visaerleichterungen für russische Diplomaten und Geschäftsleute.
Drittes Sanktionspaket (28. Februar/2. März 2022): Schließung des EU-Luftraums für alle russischen Flugzeuge; Verbot von Transaktionen mit der russischen Zentralbank; Ausschluss sieben russischer Banken vom SWIFT-System; Verbot der Bereitstellung auf Euro lautender Banknoten an Russland; Aussetzung der Sendetätigkeiten der staatseigenen Propagandasender Russia Today und Sputnik; Individualsanktionen gegen belarussische Staatsangehörige.
Viertes Sanktionspaket (15. März 2022): Individualsanktionen gegen russische Oligarchen (Roman Abramowitsch, German Chan uam); Verbot aller Transaktionen mit bestimmten staatseigenen Unternehmen; Verbot der Erbringung von Ratingdiensten für russische Personen oder Organisationen; Verbot neuer Investitionen in den russischen Energiesektor; Verbot der Ausfuhr von Luxusgütern nach Russland; Verbot der Einfuhr von Eisen und Stahl aus Russland in die EU.
Fünftes Sanktionspaket (8. April 2022): Einfuhrverbot für Kohle und andere fossile Brennstoffe aus Russland; Transaktionsverbot gegen vier wichtige russische Banken; Schließung von EU-Häfen für alle russischen Schiffe; Einreiseverbot in die EU für russische und belarussische Kraftverkehrsunternehmen; Einfuhrverbot für Holz, Zement, Meeresfrüchte und alkoholische Getränke aus Russland; Ausfuhrverbot für Flugturbinenkraftstoffe und andere Güter nach Russland; Sanktionen gegen 217 weitere Personen und 18 Organisationen.
Sechstes Sanktionspaket (3. Juni 2022): Verbot der Einfuhr von Rohöl und raffinierten Erdölerzeugnissen aus Russland; SWIFT-Ausschluss weiterer drei russischer Banken und einer belarussischen Bank; Aussetzung der Sendetätigkeit von Rossiya RTR/RTR Planeta, Rossiya 24/Russland 24 und TV Centre International in der EU; Sanktionen gegen 18 Organisationen und 65 Personen, einschließlich Personen, die für die Kriegsverbrechen in Butscha und Mariupol verantwortlich sind.[18]
Dazu kam noch ein Paket zur „Aufrechterhaltung und Anpassung“ (21. Juli 2022): Verbot der Einfuhr von Gold mit Ursprung in Russland; Verstärkung der Ausfuhrkontrollen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck; Ausweitung des bestehenden Zugangsverbots zu Häfen auf Schleusen; Verhängung von Sanktionen gegen 54 Personen und 10 Organisationen, darunter der Bürgermeister von Moskau und die Sberbank.
Obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Beginn der Tagung des Europäischen Rates am 23./24. Juni 2022 dringend ein siebtes Sanktionspaket forderte, kam es nicht dazu, obwohl Polen, Schweden und die baltischen Staaten anregten, dass die Kommission mit der Ausarbeitung eines solchen beauftragt werden solle. Deutschland und die Niederlande befürworteten dagegen zunächst eine lückenlose Umsetzung der bestehenden Sanktionen und die Schließung von deren „Schlupflöcher“.[19]
Daneben wurden am 9. März 2022 folgende Sanktionen gegen Belarus verhängt: Ausschluss dreier belarussischer Banken vom SWIFT-System; Verbot von Transaktionen mit der belarussischen Zentralbank; Einschränkung der Kapitalzuflüsse aus Belarus in die EU und Verbot der Bereitstellung auf Euro lautender Banknoten an Belarus.[20]
An flankierenden Instrumenten zur Durchsetzung der gegenständlichen Sanktionen bzw. zur Finanzierung von Maßnahmen von Nicht-EU-Partnerländern zur Friedenserhaltung sollen nachstehend sowohl die Task Force „Freeze and Seize“, als auch die „Europäische Friedensfazilität“ (2021-2027) kurz dargestellt werden.
3.2. Die Task Force „Freeze and Seize“ (“Einfrieren und Beschlagnahmen“)
Die Task Force „Freeze and Seize“ wurde am 17. März 2022 von der Kommission eingerichtet, um die wirksame Umsetzung der EU-Sanktionen gegen gelistete russische und belarussische Oligarchen in der gesamten EU sicherzustellen. Im Rahmen der EU-Sanktionen müssen alle Vermögenswerte – zB Boote, Hubschrauber, Immobilien, Kunstwerke uam – als vorübergehende Verwaltungsmaßnahme der Mitgliedstaaten eingefroren werden, die im Eigentum oder unter der Kontrolle gelisteter Personen stehen. Die juristische Umsetzung dieser Maßnahmen gestaltet sich aber deswegen komplex, da die EU nicht einfach willkürlich auf Privatvermögen zugreifen darf. Zunächst muss der Verstoß gegen die EU-Sanktionen zu einem Straftatbestand des Unionsrechts umgewandelt werden, wozu sich die 27 EU-Mitgliedstaaten einstimmig darauf einigen müssen, dass dieser Verstoß als Straftatbestand gem. Art. 83 Abs. 1 AEUV qualifiziert wird.[21] Zu diesem Zweck hat die Kommission dem Parlament und dem Rat bereits durch eine Richtlinie Mindestvorschriften zur Festlegung der Straftat vorgeschlagen.[22]
Berühren Vermögenswerte aber die finanziellen Interessen der EU, dann wäre die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA)[23] befugt, Ermittlungen durchzuführen und das Einfrieren der Vermögenswerte anzuordnen.[24]
In der Task Force „Freeze and Seize“ sind die Kommission, die nationalen Kontaktstellen der einzelnen Mitgliedstaaten, Eurojust und Europol sowie erforderlichenfalls weitere Stellen und Einrichtungen der EU vertreten. Während die Kommission für die strategische Koordinierung sorgt, übernehmen Eurojust und Europol die operative Koordinierung. Die erste Sitzung der Task Force „Freeze and Seize“ fand bereits am 11. März 2022 unter dem Vorsitz von EU-Kommissar Reynders statt.[25]
Neben der Task Force „Freeze and Seize“ besteht auch die Task Force „Russian Elites, Proxies, and Oligarchs“ (REPO), deren Einrichtung am 16. März 2022 beschlossen wurde. Teilnehmer der REPO sind die EU, die G7-Länder Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich und die USA sowie Australien.
3.3. Die „Europäische Friedensfazilität“ (2021-2027)
Die „Europäische Friedensfazilität“ (2021-2027) wurde durch Beschluss (GASP) 2021/509 des Rates vom 22. März 2021[26] eingerichtet und hat den Zweck, es den EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu ermöglichen, Maßnahmen von Nicht-EU-Partnerländern zur Friedenserhaltung und Konfliktverhütung gem. Art. 21 Abs. 2 lit. c) EUV zu finanzieren. Die „Europäische Friedensfazilität“, ein Fonds im Umfang von 5 Mrd. Euro, wird außerhalb des Gesamthaushaltsplans der EU finanziert.
Im Anschluss an ein dringliches Ersuchen um Unterstützung der ukrainischen Regierung vom 25. Februar 2022 nahm der Rat zwei Beschlüsse über Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der „Europäischen Friedensfazilität“ an, die mit sofortiger Wirkung am 28. Februar 2022 in Kraft traten und die Resilienz der ukrainischen Streitkräfte erhöhen sollen. Der Beschluss (GASP) 2022/338 des Rates[27] betrifft dabei die Bereitstellung militärischer Ausrüstung und Plattformen, die dazu konzipiert sind, tödliche Gewalt anzuwenden, während der Beschluss (GASP) 2022/339 des Rates[28] die Lieferung von Ausrüstung und Material betrifft, die nicht für die Anwendung tödlicher Gewalt konzipiert sind, wie zB persönliche Schutzausrüstungen, Verbandskästen und Kraftstoffe.
4. Würdigung
Vergleicht man die Sanktionen, die seitens der EU gegen die rechtswidrige Okkupation der Krim durch Russland 2014 ergriffen wurden mit denen, die die EU 2022 wegen der militärischen Intervention Russlands in der Ukraine verhängt hat, fällt zunächst die Ungleichgewichtigkeit derselben auf. Wenngleich es sich bei beiden Vorgängen um unterschiedlich schwere völkerrechtliche Delikte handelt, fällt bei den, 2014 ergriffenen Sanktionen auf, dass diese überwiegend aus Individualsanktionen in Form von „smart sanctions“ bestehen und daneben nur relativ wenige materielle Wirtschaftssanktionen verhängt wurden. Im Gegensatz dazu enthalten die sechs Sanktionspakete der EU im Gefolge der russischen Intervention in der Ukraine 2022 großteils umfassende Unterbrechungen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der Russländischen Föderation.
Darin spiegelt sich die in beiden Konstellationen ganz unterschiedlich empfundene sicherheitspolitische Bedrohung der EU durch die russischen Aggressionsakte. Der Überfall auf die Krim 2014 wurde noch als im „russischen Orbit“ gelegene Okkupation angesehen, die auf die gesamteuropäische Sicherheitslage keine relevanten Auswirkungen hat. Im Gegensatz dazu muss die EU nunmehr erkennen, dass der militärische Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 die militärstrategische Situation in Europa völlig verändert und geostrategisch erstmals eine direkte Konfrontation Russland mit der NATO möglich gemacht hat.
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[1] Hummer, W. Rechtsgrundlagen der „smart sanctions“ der EU im Gefolge der Krim-Krise, in: Zeitschrift für Europarecht (EuZ) 5/2014, S. 100 ff.
[2] P7_TA(2014)0248.
[3] Vgl. Münkler, H. – Malowitz, K. (Hrsg.), Humanitäre Intervention (2008); Pape, M. Humanitäre Intervention (1997).
[4] Vgl. Das Budapester Memorandum: Ein Abkommen, das den Frieden in der Ukraine hätte sichern sollen, in: Ungarn heute, vom 5. März 2022.
[5] Vgl. Heinsch, R. Conflict Classification in Ukraine: The Return of the „Proxy War?, Int. Law Studies Vol. 91 (2015), S. 323 ff.
[6] Entstanden aus einem Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands im Juni 2014 anlässlich des 70. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie.
[7] Vgl. Die Minsker Vereinbarungen zum Ostukraine-Konflikt, in: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 081/21.
[8] https://www.un.org/depts/german/sr/sr_14-15/sr2202.pdf
[9] ABl. 2014, L 78, S. 16 ff., geändert durch Beschluss (GASP) 2022/1272 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 193, S. 219 ff.
[10] ABl. 2014, L 78, S. 6 ff.; vgl. Durchführungs-Verordnung (EU) 2022/1270 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 193, S. 133 ff.
[11] ABl. 2014, L 229, S. 13 ff., geändert durch Beschluss (GASP) 2022/1271 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 193, S. 196 ff.
[12] ABl. 2014, L 229, S. 1 ff.; geändert durch Verordnung (EU) 2022/1269 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 193, S. 1 ff.
[13] ABl. 2014, L 183, S. 70 ff.
[14] ABl. 2014, L 183, S. 9 ff.
[15] Vgl. Hummer, Rechtsgrundlagen der „smart sanctions“ der EU im Gefolge der Krim-Krise (Fn. 1).
[16] Restriktive Maßnahmen der EU gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine (seit 2014), S. 4; https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/restrictive-measures-against-russia-over-ukraine/
[17] Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU; https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/
[18] Vgl. dazu die detaillierte Übersicht in: GS des Rates der EU (Hrsg.), Infografik – EU-Sanktionen als Reaktion auf Russlands Invasion der Ukraine.
[19] Vgl. Schwierigkeit neuer Sanktionen, Wiener Zeitung, vom 23. Juni 2022, S. 6.
[20] Vgl. Restriktive Maßnahmen der EU gegen Belarus; https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/restrictive-measures-against-belarus/
[21] Vgl. dazu Brodowski, D. Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union – ein Überblick, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2021, S. 373 ff.
[22] Siehe dazu Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten vom 25. Mai 2022; COM(2022) 245 final.
[23] Errichtet durch Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017; ABl. 2017, L 283, S. 1 ff.
[24] Taskforce „Freeze and Seize“: Vermögenswerte russischer und belarussischer Oligarchen und Unternehmen in Höhe von bislang knapp 30 Mrd. EUR von der EU eingefroren, vom 8. April 2022; IP/22/2373.
[25] Durchsetzung von Sanktionen gegen gelistete russische und belarussische Oligarchen: Taskforce „Freeze and Seize“ der Kommission intensiviert Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, vom 17. März 2022; IP/22/1828.
[26] ABl. 2021, L 102, S. 14 ff.; der Beschluss ist am 22. März 2022 in Kraft getreten und ist nicht anwendbar auf Dänemark.
[27] ABl. 2022, L 60, S. 1 ff., geändert durch Beschluss (GASP) 2022/1285 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 195, S. 93 f.
[28] ABl. 2022, L 61, S. 1 ff., geändert durch Beschluss (GASP) 2022/1284 des Rates vom 21. Juli 2022; ABl. 2022, L 195, S. 91 f.