Amerikanische Multis schlucken kleinere Rivalen, um ihren Firmensitz ins Ausland verlegen zu können. Damit wollen sie Steuern sparen. Großbritannien und Irland sind beliebte Ziele.
[[image1]]Der erbitterte Übernahmekampf um den britischen Pharmahersteller AstraZeneca im Frühsommer verlief zwar bisher ergebnislos, hat aber dennoch viel Staub aufgewirbelt: „Großbritanniens Zukunft liegt nicht darin, eine Steueroase zu sein“ donnerte der britische Wirtschaftsminister Vince Cable damals im Unterhaus und drohte an, er werde die Motive des US-Pharmariesen Pfizer überprüfen lassen. Der Viagra-Hersteller wollte 115 Milliarden Dollar ausgeben um seinen britischen Konkurrenten AstraZeneca zu schlucken und kündigte gleichzeitig an, er werde den Firmensitz nach einer erfolgreichen Übernahme von AstraZeneca ins Vereinigte Königreich verlegen, obwohl das Topmanagement auch künftig in New York bleiben soll. Nach Ansicht der Kritiker hatte Pfizers Plan daher in erster Linie steuerliche Gründe.
Steuersparen treibt Fusionen und Übernahmen
Denn eine ganze Reihe von US-Unternehmen haben in den vergangenen anderthalb Jahren – nach Berechnung der Finanzagentur Bloomberg waren es seit Anfang 2012 mehr als zwanzig – Übernahmen von Firmen in steuerlich günstigeren Standorten angekündigt, um das Hauptquartier auf diese Weise ins Ausland verlagern zu können. Beim Kauf eines kleineren ausländischen Unternehmens wird dieses dann nicht wie sonst üblich zum Tochterunternehmen, sondern zur Mutter. Diese Praxis wird gemeinhin als Inversion (Umkehrung) bezeichnet und ist nach Angaben von Experten in der Londoner City derzeit einer der wichtigsten Treiber für die M&A-Aktivitäten amerikanischer Konzerne. Denn Unternehmen können auf diese Weise Profite steuergünstig am US-Fiskus vorbeischleusen.
So haben die Auslandstöchter des US-Multis Pfizer dem Vernehmen nach Barreserven in Höhe von 70 Milliarden Dollar angehäuft, auf die bei einer Repatriierung in die USA hohe Steuern anfallen würden. Während die Körperschaftssteuer in Pfizers Heimatland USA auf Bundesebene 35 Prozent beträgt und dazu noch die Steuern des US-Bundeslandes kommen, haben die Briten ihre Unternehmenssteuern in den letzten Jahren stufenweise auf mittlerweile nur noch 21 Prozent gesenkt, nächstes Jahr werden es sogar nur noch 20 Prozent sein. Seit diesem Jahr können in- und ausländische Unternehmen in Großbritannien ihre Steuerlast außerdem durch die sogenannte „Patent Box“ drücken – damit werden Gewinne aus Patenten erheblich günstiger versteuert als bisher: bis 2017 wird die Steuer hier schrittweise von 23 auf 10 Prozent gesenkt.
Es ist also kaum ein Zufall, dass es US-Konzerne vermehrt ins englischsprachige Ausland zieht: So kauft der amerikanische Pharmakonzern Abbvie für 54,8 Milliarden Dollar den Konkurrenten Shire in Dublin, und will das Hauptquartier des neuen Konzerns Abbvie-Shire dann nach Großbritannien verlegen. Shire war ursprünglich in Großbritannien gegründet worden, war aber seinerseits aus Steuergründen 2008 ins benachbarte Irland gezogen. Der US-Bananenkonzern Chiquita wiederum möchte den irischen Konkurrenten Fyffes übernehmen und den Firmensitz danach nach Irland verlegen, das Investoren mit einem attraktiv niedrigen Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent lockt. Zuvor hatte das US-Medizintechnikunternehmen Medtronic bereits die Absicht kundgetan, den irischen Rivalen Covidien zu erwerben. Auch der US-Drogeriemarkt Walgreens spielte mit dem Gedanken einen europäischen Rivalen zu kaufen, um danach ins Vereinigte Königreich zu ziehen. Neuestes Beispiel für eine steuerlich motivierte Übernahme ist der Kauf der kanadischen Kette Tim Hortons durch den US-Multi Burger King für 11,4 Milliarden Dollar, um auf diese Weise den Sitz nach Kanada verlegen zu können. Dort beträgt der Körperschaftssteuersatz nur 26,5 Prozent.
Saftige Strafen
Während die USA den Europäern viele Vorschriften machen, wenn es um Geldwäsche oder die Einhaltung von US-Sanktionen gegen sogenannte Schurkenstaaten geht, sind sie bemerkenswert lax im Umgang mit den Steuersparmodellen ihrer einheimischen Industrie. Saftige Strafen verhängten die amerikanischer Behörden etwa gegen ausländische Banken wie BNP Paribas. Die französische Bank musste wegen Verstöße gegen die US-Sanktionsgesetze eine Rekordstrafe von neun Milliarden Dollar zahlen. Die britische Großbank HSBC wurde wegen Geldwäsche mit einer Buße von 1,9 Milliarden Dollar belegt. Doch bei den Unternehmenssteuern gelten offenbar andere Maßstäbe. So ist der US-Bundesstaat Delaware weltweit bekannt dafür, Standort von Briefkastenfirmen zu sein. Nur knapp eine Million Menschen leben hier, doch der Staat ist Sitz von einer Million Unternehmen aus der ganzen Welt. Die müssen zwar die 35prozentige US-Körperschaftssteuer zahlen, die der Bund erhebt – Gewinne aus Lizenzen, Patenten, Marken- und Urheberrechten sind aber komplett steuerfrei. Der Staat Delaware erhebt außerdem selbst – anders als viele andere US-Bundesstaaten – keine eigenen Unternehmenssteuern.
Keine Aussicht auf Reform
Und auch der Proforma-Verlagerung der Firmensitze ins Ausland nach einer Übernahme sah der US-Kongress bisher tatenlos zu. Dabei prangern sowohl Demokraten und Republikaner die Inversion-Praktiken an. Doch nur eine Einigung auf eine Reform der Steuergesetze könnte sie beenden – was angesichts der im Herbst bevorstehenden Kongresswahlen (Midterm Elections) bei der das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatoren zur Wahl steht – völlig aussichtslos ist. US-Präsident Barack Obama polterte zwar, Firmen die ihren Sitz ins Ausland verlegten seien nichts anderes als „Wirtschaftsdeserteure“. Doch letztlich stößt sein Vorwurf, diese Unternehmen bewiesen mangelnden Patriotismus, auf taube Ohren. Schließlich geht es um viel Geld.