Donnerstag, 21. November 2024
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Was das Schottland-Referendum für die britische EU-Mitgliedschaft bedeutet

Mit dem Nein der Schotten und dem Rücktritt des schottischen Ministerpräsidenten Alex Salmond endet eine Ära. Jetzt aber steht das Vereinigte Königreich vor großen innen- und außenpolitischen  Herausforderungen, die für die EU Folgen haben dürften.

[[image1]]Dramatische 24 Stunden lang stand Schottland im Zentrum der Weltpolitik, nach dem Nein zur Autonomie und dem Rücktritt des schottischen Ministerpräsidenten und Vollblutpolitikers Alex Salmond spielt die Musik nun wieder im Süden Großbritanniens. Und in London, unter Führung des britischen Premiers David Cameron, werden die Weichen für eine umfassende innenpolitische Reform des Vereinigten Königreichs und für seine künftige EU-Mitgliedschaft gestellt. Pandoras Büchse ist offen: Großbritannien steht vor einer tiefgreifenden politischen Umstrukturierung, das bisher zentral regierte Land könnte sich künftig viel stärker in Richtung eines föderalen Staates entwickeln.

Die Chancen für ein EU-Referendum und den „Brexit“

David Cameron hatte einen Rücktritt im Falle eines Sieg des Ja-Lagers in Schottland zwar stets ausgeschlossen, doch in seiner eigenen Partei hatten die Hinterbänkler für diesen Fall bereits einen Putsch geplant. Nun aber ist klar, dass er die Konservativen im Mai 2015 in die Parlamentswahlen führen wird. Sollten sie eine regierungsfähige Mehrheit erzielen, dann wird der heutige Premier seine Ankündigung einhalten müssen, spätestens 2017 eine Volksabstimmung über die künftige EU-Mitgliedschaft abzuhalten. Deren Ergebnis aber fürchten die Finanzmärkte und die britische Wirtschaft viel mehr als das Schottland-Referendum, denn ein Austritt aus der EU würde ihnen den Zugang zum Binnenmarkt versperren, die Freizügigkeit von Arbeitskräften beenden und lange quälende Verhandlungen über den Austritt nach sich ziehen, die ein Klima der Lähmung und der Ungewissheit verbreiten würden. Da die Schotten als deutlich europafreundlicher gelten als der Rest Großbritanniens ist die Tatsache, dass sie bei einem eventuellen EU-Referendum ihre Stimmen abgegeben können, gut für die Befürworter der EU-Mitgliedschaft.

Auch ein weiterer Faktor ist hier wichtig und er  betrifft die britische Labour-Partei, die seit Monaten in den Meinungsumfragen vorne liegt und sich im Gegensatz zu Cameron bisher nicht verpflichtet hat, eine Volksabstimmung über einen Verbleib oder Austritt aus der EU abzuhalten. Hätten die Schotten mehrheitlich mit Ja gestimmt, so hätte das wichtige Folgen für die Arbeiter-Partei gehabt, die in Schottland mit 59 Abgeordneten vertreten ist. Ohne Schottland hätte die Partei kaum Chancen, die britischen Parlamentswahlen im nächsten Jahr zu gewinnen. Bei den Tories ist das ganz anders: in Schottland sind sie sehr unpopulär und verfügen nur über einen einzigen Abgeordneten.

Kein Status Quo

Außenpolitisch hatte der Ausgang des Referendums unmittelbare Konsequenzen für die Nato, da das britische Atomwaffenarsenal damit weiterhin in schottischen Gewässern stationiert bleibt und die Schwächung des wichtigen Nato-Mitglied Großbritannien vermieden wurde. Weil Großbritannien intakt bleibt, ist auch die Frage eines schwierigen EU-Aufnahmeverfahrens für Schottland  vom Tisch. Andere separatistische Bewegungen in Europa haben einen Dämpfer erfahren auch wenn sie es nicht zugeben wollen. So wollen in Spanien die Katalanen am 9. November ungeachtet des Widerstandes der Zentralregierung ihr umstrittenes Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Aber wenn die Schotten es schon nicht geschafft haben – wer dann? Tatsache ist jedoch, dass der alte Status Quo in Großbritannien nicht überleben wird. Die vielen Versprechungen, die Cameron und die übrigen britischen Parteien im Endspurt vor dem Referendum machten, um die Schotten zu einem „Nein-Votum“ zu bewegen müssen eingelöst werden, auch wenn noch gar nicht klar ist, in welcher Form. Die drei großen Parteien im Süden des Landes sind sich nicht einig – so lehnt die Labour Partei beispielsweise ab, den Schotten Autonomie bei der Festlegung der Einkommenssteuern zu gewähren. Salmond selbst erklärte bei seinem Rücktritt, er werde die „Füße der Londoner Politiker dicht ans Feuer halten“ um zu gewährleisten, dass diese ihre Zusagen einhielten. Er erinnerte daran,  dass 45 Prozent der Schotten mit Ja gestimmt haben. Ignorieren kann das keiner.

Kurzfristig ist nun zwar in den übrigen europäischen Hauptstädten, in London, bei den britischen Unternehmen und Banken große Erleichterung eingetreten, weil eine Abspaltung Schottlands und all die damit verbundenen Horrorszenarien hinfällig wurden: das Pfund bleibt, eine Kapitalflucht wurde vermieden, schottische Banken, Fondsgesellschaften und Unternehmen atmen auf. „Wir stehen nicht mehr länger am Abgrund“ hieß es im Kommentar eines City-Volkswirtes. Dennoch wäre es falsch anzunehmen, dass alles beim Alten bleibt. Denn auf dem Stimmzettel stand zwar nur eine Frage „Soll Schottland unabhängig werden?“, doch schon länger war klar, dass große Teile der Bevölkerung sich eigentlich keine Auflösung der 307jährigen Union mit Großbritannien, keine eigene Währung und kein neues Staatsoberhaupt wünschten sondern mehr Selbstbestimmungsrechte – das was im Volksmund „Devo(lution) Max“ genannt wird. Cameron beeilte sich denn auch am Freitag zu versichern, Verhandlungen über größere schottische Autonomiebefugnisse würden bereits im November aufgenommen.

Verhandlungen über „Devo-Max“ führen zu Verunsicherung der Märkte

Nach Ansicht des Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff werden diese Verhandlungen über „Devo-Max“ aber ebenfalls zu einer Verunsicherung der Märkte führen, da unklar ist, welches Steuerregime künftig in Schottland gelten und ob es separate Aufsichtsorgane geben wird. Schon jetzt hat das Land eine eigene Gerichtsbarkeit und Selbstverwaltung in den Bereichen  Erziehung und Gesundheit. Nun pochen die Schotten auf Steuerhoheit und eine eigene Sozialpolitik.  Und verändern wird sich nicht nur das Verhältnis der Schotten zur  Zentralregierung in London sondern als Folge des Referendums stehen nun auch deren Beziehungen zu den anderen britischen Regionen auf dem Prüfstand. Völlig überraschend stellte Cameron nach dem Schottland-Referendum nämlich auch ihnen mehr Selbstverwaltungsrechte in Aussicht und schnitt dabei auch das kontroverse Thema eines eigenen englischen Regionalparlaments an. Denn im Gegensatz zu Schottland, Wales und Nordirland haben die Engländer bisher keine eigene Volksvertretung obwohl sie 85 Prozent der britischen Bevölkerung stellen.

Cameron betonte: „die Frage ob es englische Abstimmungen für rein englische Belange geben sollte, muss jetzt angepackt werden“. Denn schon lange hatten Kritiker im Süden bemängelt, dass schottische Politiker mit Sitz im Londoner Unterhaus über Gesetze abstimmen können, die ihre eigene Region gar nicht betreffen, umgekehrt aber englische Politiker kein Mitspracherecht haben, wenn das Regionalparlament in Edinburgh schottische Gesetze verabschiedet. Die Debatte zeigt, vor welch tiefgreifenden Veränderungen Großbritannien und seine (ungeschriebene) Verfassung steht.

 

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