Vor den Bundestagswahlen in Deutschland am 22. September steht eines fest: Amtsinhaberin Angela Merkel wird Kanzlerin bleiben. Die jüngsten Prognosen der wichtigen Meinungsforschungsinstitute deuten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit darauf hin. Auch das sogenannte Kanzlermodell der auf politische Vorhersagen spezialisierten Sozialwissenschaftler Helmut Norpoth und Thomas Gschwend sieht Merkel als Wahlgewinnerin.
[[image1]]So vorhersehbar der Wahlausgang wirken mag, so wenig trivial ist das genaue Ergebnis für Europa. Welche Partei der künftige Koalitionspartner sein wird, spielt eine große Rolle. Und für Europa wird es auch wichtig sein, dass schnell eine Regierung gebildet wird, denn etliche Entscheidungen liegen in Brüssel wegen der Wahl auf Eis.
Nach den Prognosen der Wahlforscher dürfte die liberale FDP ausreichend Stimmen bekommen, um erneut mit der CDU/CSU eine schwarz-gelbe Koalition bilden zu können. Zwischendurch sah es so aus, als ob die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden, doch ausreichend unentschlossene Wähler wollen die Liberalen mittlerweile erneut im Parlament sehen. Eine große Koalition von CDU/CSU mit den Sozialdemokraten ist somit unwahrscheinlich geworden. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte ohnehin immer betont, dass er für einen solchen Zusammenschluss nicht bereit stehe.
Neuer Europa-Kurs der Opposition?
In dem wahrscheinlichen Fall, dass SPD und Grüne der Regierungswechsel nicht gelingt, könnten diese jedoch ihren Europa-Kurs überdenken. Bisher haben beide den Euro-Rettungskurs von Merkel mitgetragen und somit gesichert, dass – trotz der Eurorebellen in den Regierungsfraktionen – im Bundestag stets Mehrheiten für die Rettungspakete der Programmländer zustande kamen. SPD und Grüne könnten angesichts einer Wahlniederlage ihre Strategie ändern und künftig in Sachen Europa stärker auf Konfrontation mit Merkel gehen. Die Analysten der Investmentbank Morgan Stanley gehen bereits davon aus, dass dies den Euro schwächen wird und sehen die Gemeinschaftswährung bis zum Jahresende auf 1,26 Dollar zurückgehen.
Sollte es im Bundestag größeren Widerstand gegen weitere Hilfen für Programmländer geben, würde dies als erstes Griechenland betreffen. Schon jetzt zeichnet sich klar ab, dass Griechenland mit den bisher vereinbarten Hilfen nicht auskommen wird und ein drittes Milliarden-Paket benötigt. Ein solches Paket kann es nur mit Zustimmung des deutschen Parlaments geben. Womöglich wird sich die Opposition ihr Plazet teuer erkaufen.
Mit einem weiteren Hilfspaket wird es nicht getan sein. Griechenland braucht mittelfristig einen Schuldenschnitt, denn aus eigener Kraft kann es seinen Schuldenberg nicht abtragen.
Der zweite Schuldenschnitt wird die öffentliche Hand betreffen und ist juristisch heikel, da – streng genommen – die anderen Mitgliedsstaaten Griechenland keine Hilfe mehr geben dürften, da es Kredite in der Vergangenheit nicht zurückbezahlt hat. Juristen werden einen Ausweg suchen, doch eine störrische Opposition dürfte dies erheblich erschweren.
Nicht nur zu Griechenland, sondern auch zu Portugal stehen weitere Entscheidungen an. Hier zeichnet sich ebenfalls ab, dass die bisherigen Rettungsmaßnahmen nicht ausreichen. Eine veränderte Haltung der Opposition könnte für Probleme sorgen.
Wichtige Dossiers liegen wegen der Wahl auf Eis
In Brüssel und den europäischen Hauptstädten werden viele aufatmen, wenn die Bundestagswahlen vorbei sind, denn zahlreiche Dossiers sind deswegen zum Stillstand gekommen. Darauf angesprochen, hat die Bundeskanzlerin dies in der Vergangenheit verneint. Aber es ist offensichtlich, dass eine ernsthafte Diskussion über die weiteren Elemente der Bankenunion erst nach der Wahl stattfinden kann. Wegen des September-Termins gab es bisher auch keinen Fortschritt im Streit um die neuen Umweltnormen für Pkw. Die deutsche Regierung hatte Ende Juni einen von der irischen Ratspräsidentschaft fertig ausverhandelten Deal mit dem Europäischen Parlament im letzten Moment blockiert, weil sie für die Hersteller großer Wagen wie BMW und Mercedes weniger strikte Umweltauflagen fordert. Nach der Regierungsbildung dürfte zwischen Paris und Berlin die Suche nach einem Kompromiss in die entscheidende Phase gehen.
Auch mit Blick auf die vielen offenen Fragen bei der Euro-Rettung hoffen viele in Brüssel, dass die Regierungsbildung in Berlin möglichst schnell voran geht. Weil im kommenden Jahr Europa-Wahlen und ein Wechsel der EU-Kommission ansteht, ist die nächste politische Zwangspause schon absehbar.