Für gehörige Überraschung sorgte am Wochenende ein Interview von Außenminister Sebastian Kurz in der „Welt am Sonntag“, in dem er die aktuelle Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als „falsch“ bezeichnete. Und Sonntag abends verteidigte er dann noch bei Anne Will auf ARD seine Kritik.
Anlassgebend war die Ankündigung Merkels vor einer Woche beim Wiener Flüchtlingsgipfel, wonach Deutschland künftig mehrere hundert Flüchtlinge pro Monat aus Griechenland und Italien aufnehmen wolle, um die beiden südeuropäischen Länder zu entlasten. Dies sei aber, so Kurz im O-Ton, genau das falsche Signal, weil damit nur „das Gegenteil“ erreicht werde. Würden doch Flüchtlinge so nur noch erst recht ermuntert, die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer anzutreten, weil sie dann ohnedies von Italien und Griechenland das Ticket erhalten, um weiter nach Deutschland reisen zu können.
Flüchtlingsgipfel sorgte für Verstimmung
Dass es sich der ÖVP-Politiker mit der CDU-Politikerin anlegt, hat gleich mehrere interessante Facetten und Hintergründe.
Tatsache ist, dass der von Bundeskanzler Christian Kern vor gut einer Woche in Wien abgehaltene Flüchtlingsgipfel mit den so genannten Balkanstaaten (Slowenien, Kroatien, Serbien, Albanien, Ungarn, Bulgarien, Mazedonien und Rumänien), zu dem auch noch Merkel, der griechische Premier Alexis Tspiras sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk geladen waren, für Verstimmung im Außenamt gesorgt hatte. War es doch Kurz der erst zu Jahresbeginn zu einem Treffen mit den Ländern entlang der so genannten Balkanroute eingeladen hatte, bei dem dann nicht nur eine engere Zusammenarbeit dieser Staaten vereinbart worden war sondern es letztlich auch zu einer durchaus akkordierten Schließung dieser Flüchtlingsroute kam. Zum Folgetreffen jetzt im Herbst aber hatte man Kurz erst gar nicht eingeladen. Wollte doch Kern seine außenpolitische Kompetenz zeigen.
Merkel agiert nur am Regierungschef-Level
Merkel wiederum hat es sich zur Angewohnheit werden lassen, politische Gespräche nur noch auf Augenhöhe, das heißt von Regierungschef zu Regierungschef zu führen. Der Außenminister agiert für sie übrigens ebenso wie der Vizekanzler nicht auf dem gleichen „Level“. Auch dann nicht, wenn es sich um einen Parteifreund handelt. Ganz im Gegensatz agierte dazu übrigens der deutsche Altkanzler Helmut Kohl. Für ihn war es Pflicht bei Auslandsbesuchen in Ländern, wo eine bürgerlich-konservative Partei nicht die Regierung führte bzw. sogar sich in Opposition befand, geradezu demonstrativ auch den Parteifreund offiziell zu treffen.
Kohl hatte ein anderes Verständnis
Und nicht nur das, Kohl hatte auch abseits der parteilichen Präferenzen ein anderes Verständnis in Bezug auf die generelle Entscheidungsfindung in der EU. So suchte er bei wichtigen Vorhaben und Beschlüssen nicht nur die Abstimmung mit den großen Ländern sondern holte sehr wohl auch die kleinen Staaten bereits vorher ins Boot. Auch dieses Einbinden der kleineren Staaten hat bei der deutschen Kanzlerin nicht jenen Stellenwert, den sich einige dieser Staatskanzleien erwarten würden.
Faymann war die falsche Karte
Das offensichtliche Fehlen des Parteisolidaritätsgefühls hatte auch schon in der Ära Werner Faymann Sand in die einstmals guten Beziehungen zwischen ÖVP und CDU gebracht. Merkel glaubte, sich mit dem österreichischen Kanzler, der lange Zeit ihre Willkommenspolitik unterstützte, ein starkes Standbein innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung geschaffen zu haben, musste aber dann erkennen, aufs falsche Blatt gesetzt zu haben. Das von Merkel eine zeitlang gepflegte Naheverhältnis zu Faymann war maßgeblich für die Verstimmung zwischen Berlin und Wien, führte letztlich – nachdem die Causa Hypo-Alpe-Adria-Bank vom Tisch war – zum Schulterschluss zwischen CSU und ÖVP.
„Wo der Bartl den Most holt“
Kurz hat freilich an diesem Wochenende auch den Spin-Doctors von Kurz wissen lassen, wo – wie es ein Spitzendiplomat formulierte – „der Bartl den Most holt.“ Dass vor kurzem der Bundeskanzler seine wirtschaftspolitische Philosophie dem Koalitionspartner über die angesehene aber bürgerliche „Frankfurter Allgemeine“ ausrichten ließ, sorgte nicht nur für Diskussion sondern auch für Unmut. Was Kern macht, kann aber Kurz noch allenthalben auch tun. Er ließ sich von der angesehenen Hauptstadtzeitung „Welt am Sonntag“ interviewen, nicht nur um Merkel eine Botschaft auszurichten sondern auch Kern und der SPÖ zu zeigen, dass er und sein Team das politisch-mediale Geschäft sehr gut verstehen. Das Pünktchen auf dem „i“ war dann die Einladung in die ARD-Sonntagabends-Talkshow, die als eine wichtige Plattform gilt, von der die ORF-Sendung „Im Zentrum“ nur träumen kann.
Nach dem „Paarlauf“ bei der UNO-Generalversammlung ist sohin wieder der Alltag in die österreichische Politik eingekehrt. Für Kern und seine Berater ist Kurz die eigentliche Herausforderung. Und wie es aussieht, dürfte Kern dabei vorerst den Kürzeren ziehen……