Auf den ersten Blick – Hand aufs Herz – gar nichts, denn das Wahlergebnis vom Sonntag garantiert die Perpetuierung des beträchtlichen Polit-Frusts vieler Bürgerinnen und Bürger. Die bisherigen „Groß“parteien Rot und Schwarz, die das schlechteste Ergebnis aller Zeiten erzielten und damit endgültig zu Mittelmaß geschrumpft sind, werden nach menschlichem Ermessen weiter machen.
[[image1]]Aus der großen Koalition wird mangels Alternativen eben eine relativ kleine, noch dazu eine der Verlierer, die mit Ach und Weh zumindest ihr primäres Ziel noch einmal geschafft haben – sich an der Macht festzukrallen. Die vier Parteien hingegen, die sich als Sieger fühlen können, haben praktisch null Chancen, in die Regierung einzuziehen und werden sich bloß im Parlament betätigen: Die gestärkte FPÖ scheidet aus, weil niemand mit HC Strache will, die Grünen haben keine Chance, weil sie zu wenige Stimmen dazugewannen, bei Frank ist es sowieso unklar, wie‘s mit seiner Chaos-Truppe weiter geht, und die NEOS versprechen zwar frischen Wind und vieles mehr, aber gleich in die Regierung ? – nein, danke …
Die Wahlbeteiligung lag diesmal mit rund 74 Prozent auf dem historischen Tiefststand. Sie war zwar immer noch höher als etwa bei der deutschen Bundestagswahl eine Woche zuvor (71,5 %), doch die rund 1,6 Millionen Nicht-Wähler sind – weit vor der stimmenstärksten SPÖ – das größte Lager in Österreich. Die zunehmende Abstinenz bei Urnengängen infolge steigender Politikverdrossenheit ist jedenfalls ein bedauerliches demokratiepolitisches Phänomen, das bei den kommenden Europa-Wahlen im Mai 2014 mit Sicherheit ein noch dramatischeres Ausmaß annehmen wird. Beim letzten Mal betrug die Wahlbeteiligung im Jahr 2009 europaweit lediglich 43 Prozent. Während Belgien und Luxemburg exzellente 90 Prozent schafften, die Malteser, Italiener, Dänen und Zyprioten immerhin auf mehr als 60 Prozent kamen und die Deutschen, Österreicher oder Spanier im Schnitt oder etwas darüber lagen, schnitten einige EU-Mitgliedsstaaten besonders katastrophal ab: In Slowenien und Tschechien gaben bloß 28 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, in Litauen nur 21 Prozent, und in der Slowakei, dem klaren Schlusslicht, gar nur um die 19 (!) Prozent.
Brüssel und die 28 EU-Mitgliedsstaaten müssten daher alles versuchen, um dem nahezu überall rückläufigen Trend, der fehlendes Interesse an der Union signalisiert, zumindest Einhalt zu gebieten – eine Umkehr erscheint sowieso als illusorisch. Das kann jedoch nur mit Hilfe einer ebenso breiten wie fundierten Informationskampagne so halbwegs gelingen, bei der weitaus mehr inhaltliche Substanz zum Vorschein käme als im österreichischen Wahlkampf. Faymann, Spindelegger & Co. haben sich bei ihren Auftritten in zahllosen TV-Duellen, bei den Slogans ihrer Wahlplakate und bei Interviews in der Presse mit einer geradezu entwaffnenden Oberflächlichkeit begnügt. Sie haben es unterlassen, auf ihre letztlich doch vorhandenen Wahlprogramme – etwa „111 Projekte für Österreich“ (SPÖ), „Österreich 2018“ (ÖVP) oder „Saubere Umwelt. Saubere Politik“ (Grüne) – einzugehen. Statt wichtige Themen, Ziele und Pläne konkret anzusprechen, versuchten sie es mit unglaubwürdigen Wahlzuckerln (Faymanns Steuersenkung), ungeschickten No-na-Parolen (Spindeleggers Entfesselung der Wirtschaft) oder populistischer Anbiederung (Straches Nächstenliebe). Und in der Hektik wurde dabei übersehen, dass die Bürgerinnen und Bürger alle gängigen Polit-Floskeln längst satt haben und selbst das auf drei Begriffe zugespitzte Vokabular eines greisen Newcomers nicht mehr hören können.
Denkzettel für Brüssel
Wenn die EU auf allen Ebenen es nicht schaffen sollte – das ist durchaus eine Lehre aus dem österreichischen Wahlkampf – , in den Gehirnen, aber auch in den Herzen von möglichst vielen der 400 Millionen Wahlberechtigten deutlich positive Spuren zu hinterlassen, wird sie mit Sicherheit ein Debakel erleben. Dann werden die zwei großen Blöcke im Europa-Parlament, die Fraktion der Europäischen Volkspartei und die Progressive Allianz der Sozialdemokraten, ähnliche Denkzettel erhalten wie SPÖ und ÖVP am letzten Sonntag. Und dann werden – wie in Österreich – die EU-skeptischen bzw. -feindlichen Parteien aus Rechtspopulisten, Nationalkonservativen, Populisten, Demagogen und sonstigen Querulanten, die derzeit die EU-Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie bilden, weiter an Terrain gewinnen, womit alles noch wesentlich komplizierter und trostloser wäre. Die Hoffnung lebt freilich, dass es an Stelle etwa der „Wahren Finnen“, der „Lega Nord“, der holländischen „Freiheitspartei“ von Geert Wilders oder des wesentlich gemäßigteren rot-weiß-roten Polit-Einsteigers Frank Stronach andere Gruppierungen schaffen könnten. Dass es also EU-freundlichen kleineren Parteien wie den heimischen NEOS gelingt, ins Europa-Parlament einzuziehen und dort für neuen Schwung zu sorgen.
So wie in Österreich, wo eine gestärkte Opposition die Performance im Hohen Haus vermutlich kreativer, vielleicht auch etwas konstruktiver und kooperativer, insgesamt also spannender gestalten könnte, wäre auch für Straßburg und Brüssel ein neuer Stil denkbar bzw. wünschenswert. Zu diesem Zweck müssten jedoch so viele Parteien wie möglich künftig die tatsächlich am besten geeigneten Kandidaten entsenden und nicht – wie bisher häufig praktiziert – Versorgungsposten an irgendwelche Getreue vergeben, die als EU-Abgeordnete sichtlich überfordert und folglich nur Mitläufer sind. Bei der Selektion geeigneter Europa-Abgeordneter sollte der Qualität in allen Ländern endlich einmal oberste Priorität eingeräumt werden – was insbesonders für die beiden stärksten Fraktionen gilt, die das weiterhin sein werden, aber auch für alle anderen. Abgesehen von brauchbaren Europa-Programmen, die etlichen Parteien zwischen Dublin und Athen fehlen, sind neue Gesichter gefragt – in den EU-Institutionen ebenso wie in Wien.
Neue Köpfe sind gefragt
Die Chance, dass es nach misslungenen Wahlen zu einem personellen Wechsel kommt, ist jedenfalls gegeben. Österreichs Sozialisten und die Volkspartei werden nur dann den gefühlten Stillstand in der Bundespolitik bewältigen, wenn sie in jeder Hinsicht ausreichend Mut zum Wandel haben: An der Spitze wird sich zwar nichts verändern, weil es leider zu Faymann und Spindelegger keine Alternative gibt, doch sonst sollte die nächste Regierung völlig anders aussehen als die bisherige. Nach der prompten Abdankung von Unterrichtsministerin Claudia Schmied sind weitere Umbesetzungen zu erwarten. Fixstarter der Roten scheinen derzeit lediglich Rudolf Hundstorfer und Josef Ostermayer zu sein – alle anderen Minister stehen zur Disposition. Die ÖVP wiederum wäre gut beraten, beispielsweise die Ressorts von Maria Fekter, Nikolaus Berlakovich, Beatrix Karl und Johanna Mikl-Leitner neu zu besetzen, während Reinhold Mitterlehner, Karlheinz Töchterle und womöglich auch der Zukunftshoffnung Sebastian Kurz ein Ministeramt relativ sicher ist.
Ein probates Mittel wird es auch auf für die Europäische Union sein, die führenden Köpfe im kommenden Jahr auszutauschen, um damit einen Neustart zu signalisieren. Kaum jemand traut etwa Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu, dass er nach neun Jahren Amtszeit den europäischen Karren wieder flott machen kann. Die meist unsichtbare Catherine Ashton, außenpolitische Regisseurin der Union, und der blasse Ratspräsident Herman Van Rompuy haben nicht annähernd gehalten, was von ihnen erwartet wurden und sind ohnedies amtsmüde. Schließlich sind die meisten EU-Kommissare auf Europas Polit-Bühne kaum aufgefallen, weil sie sich mit Nebenrollen begnügt haben und sich folglich nicht ausreichend profilieren konnten. Deshalb muss ein anderes, frisches Führungsteam her, das in der Lage ist, neue Akzente zu setzen: Es wird primär darum gehen, die zahlreichen unerledigten Materien zügig einer Lösung zuzuführen, die nötigen Reformen der EU-Institutionen umzusetzen und nicht zuletzt dem Projekt Europa ein besseres Image zu verpassen. Konkret muss es die nächste EU-Kommission schaffen, die zahlreiche Vorurteile gegenüber Brüssel ab- und neues Vertrauen in die Union aufzubauen – und das alles nicht durch Worte, sondern durch Taten …