An die Ratspräsidentschaft Österreichs werden von der EU-Kommission in Brüssel hohe Erwartungen geknüpft. Einfach formuliert: weniger Show und viel Knochenarbeit.
An sich ist Österreich bereits seit dem 1. Jänner 2018 Mitglied der EU-Ratstroika. Ihr gehören Bulgarien an, das noch bis 30. Juni die Verantwortung für die Arbeit des EU-Rates trägt, sowie Rumänien, das ab 1. Jänner 2019 diese Funktion übernimmt. Dazwischen, von Juli bis Dezember dieses Jahres führt Österreich die so genannte Ratspräsidentschaft. Das Besondere daran ist, dass in diesen sechs Monaten im Grunde genommen das noch offene Arbeitsprogramm für die laufende Legislaturperiode behandelt werden muss. Ist es doch die letzte Ratsperiode vor der nächsten Europawahl und diese findet vom 23. bis 26. April in nach dem Brexit nur noch 27 EU-Staaten statt.
Gute Optik für die EU im Vordergrund
Bei der EU-Kommission und dem EU-Parlament hat man die Erwartungshaltung an die Österreicher sehr hoch geschraubt. So heißt es gegenüber EU-Infothek wörtlich: „Das Bild, das die Europäische Union bei der kommenden EU-Wahl zeigt, wird wesentlich davon abhängen, wie man während der österreichischen Ratspräsidentschaft und wie Österreich innerhalb der Troika agiert.“ Und man zieht dann im Gespräch gleich einen ganzen Katalog von Ansprüchen und Wunschvorstellungen hervor.
Eine lange Liste unerledigter Aufgaben
Sehr offen wird erklärt, dass man sich bei allem Verständnis für das jeweilige nationale Befinden und die Performance der Regierung bzw. des Regierungschefs, eines erwartet, nämlich „keine Show sondern harte Knochenarbeit“. Geht es doch vor allem darum, dass man eine ganze Reihe noch ausständiger Gesetze fertig machen und Beschlüsse fassen muss. Jene Versäumnisse, die durch das Nicht-Zustandekommen von Einigungen, das Hinausschieben selbst von Kompromissen entstanden sind, sollen nun innerhalb weniger Monate nachgeholt werden. Damit es dann am Ende heißt, die Kommission und das Parlament haben ihre Arbeit brav gemacht, die handelnden Politiker und Parteien dürfen sich guten Gewissens den Wählern stellen. Im Vordergrund der so genannten Austria-Agenda stehen:
Die Kernpunkte des Arbeitsprogramms
Das Vorantreiben der finanziellen Vorausschau für die nächsten fünf, sieben oder zehn Jahre. Der Abschluss der Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich. Die Weichenstellung für das Spitzenkandidatenmodell für die Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten und seiner Kommission. Die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Der Abschluss im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Ein Konsens bezüglich der Asyl- und Migrationspolitik. Der effektive Schutz der Außengrenzen. Das Erstellen einer tragfähigen Perspektive für den Balkan, unter besonderer Beachtung, zur wachsenden Einflussnahme islamischer Staaten ein Gegenkonzept zu entwickeln. Und die Diskussion über die Fortführung der Russlandsanktionen, nicht zuletzt – aufgrund des doch etwas anders gestalteten Verhältnisses von Wien mit Moskau – eine durchaus delikate Angelegenheit.
Pochen auf die Brückenbauer-Funktion
Hinzu kommen noch zwei bislang eher vernachlässigte aber für die EU essentielle Vorhaben. Das eine betrifft ein Agreement mit China, um zu verhindern, dass das von Peking mit Nachdruck vorangetriebene Projekt der Verlängerung der Seidenstraße bis nach Mitteleuropa zu einer Einbahnstraße wird, ja einzelne Länder aufgrund von Eigeninteressen aus der Reihe tanzen lässt. Und schließlich erwartet man sich gerade von Österreich, dass es sich seiner Rolle als Brückenbauer zwischen den so genannten neuen Demokratien (also ehemaligen Volksrepubliken) und den traditionell demokratischen westlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besinnt, um ein Auseinanderdriften der V4- und der restlichen 23 EU-.Staaten zu verhindern.
Kein Bedarf an neuen Ideen
Ein mehr als dickes Auftragsbuch, das Österreich abzuarbeiten hat. Sehr offen heißt es dazu auch in Brüssel, dass es angesichts dieses „Problembergs“ wenig Platz für neue Ideen gibt. Das betrifft auch das vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron in die Diskussion geworfene neue EU-Modell. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat da schon bei einigen Punkten – wie etwa der Schaffung eines europäischen Finanzministers – deutlich abgewunken. Und auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der vor einem Jahr gleichfalls ein neues EU-Modell propagierte, zeigt sich mittlerweile recht zurückhaltend. Was von diesen Ideen übrig bleiben wird, dürfte sich um den sperrigen Begriff der Subsidiarität sammeln. Konkret wird es nämlich in Zukunft ganz wesentlich darum gehen, die EU „bürgernäher“ zu machen. Oder wie man es im „gläsernen Turm“ des Berlaymont-Gebäudes, also dem Sitz der EU, formuliert: Die Ratspräsidentschaft sollte auch für die Information der Bürger und das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern genützt werden.
Gastgeber und Troubleshooter
So sehr sich Kurz in Zusammenhang mit dem EU-Ratsvorsitz nicht unbegründet in den Vordergrund spielt, versucht die Brüsseler Hierarchie auch die Erwartungshaltung zu dämpfen. Will man doch nicht den Eindruck erwecken, als würde man das Zepter aus der Hand geben. So macht man darauf aufmerksamen, dass „der Ratspräsident Donald Tusk bleibt, die Position des Eurogruppenchefs nicht rotiert, die EU-Außenbeauftragte nicht wechselt und der Brexitverhandler Michel Barnier bleibt“. Um aber gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass man von den österreichischen Verantwortungsträgern erwartet, „Gastgeber, Motor, Initiator, Partner, Troubleshooter zu spielen, die EU handlungsfähiger und zukunftsfitter zu machen.“ Ein gewaltiger Spagat.
Jetzt zeigt sich freilich auch, wie richtig es war, die Nationalratswahlen um ein Jahr vorzuziehen. Angesichts der EU-Aufgabenstellung wären ein Wahlkampf mit all den zwischenparteilichen Auseinandersetzungen, die Lähmung der alten Regierung in Folge der Verhandlungen über die Bildung einer neuen Koalition, mehr als nur hinderlich gewesen.