Vor dem G20-Treffen am Donnerstag und Freitag in Russland warnt die EU-Kommission vor wachsendem Protektionismus. Seit dem Ausbruch der Krise 2008 haben die wichtigsten Handelspartner der EU 700 Handelshindernisse errichtet, heißt es in einem aktuellen Bericht.
[[image1]]Alleine zwischen Mai 2012 und Mai 2013 sind 150 neue hinzugekommen. Konkret geht es um höhere Zölle, Exportförderung und die Bevorzugung einheimischer Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Die Kommission kritisiert insbesondere die Schwellenländer Russland, Ukraine, Brasilien und Argentinien für ihren protektionistischen Kurs.
Die EU-Kommission will das Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nutzen, um für Freihandel zu werben. Die G20 hatten sich schon kurz nach dem Ausbruch der Krise verpflichtet, nicht auf Protektionismus zurückzugreifen. Die Erfahrung der 30er Jahre belegt, dass das Abschotten von Grenzen Wirtschaftskrisen noch verstärkt.
Doch in der Praxis halten sich vor allem die Schwellenländer nicht an das Versprechen. Mit immer neuen Maßnahmen versuchen sie, die heimischen Hersteller besser zu stellen, in der falschen Hoffnung, auf diese Art Arbeitsplätze zu retten. Brasilien und Argentinien haben sehr viel Phantasie entwickelt, wie sie ausländischen Exporteuren das Leben schwer machen können. So müssen Luxuswarenhersteller in Argentinien Waren im selben Wert ausführen, wie sie einführen. Das führt dazu, dass BMW Reis aus Argentinien zurückimportiert und Porsche Wein.
159 WTO-Mitgliedsstaaten blockieren sich gegenseitig
Um Absurditäten dieser Art künftig zu vermeiden, ist die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf gefragt. Am 1. September hat der Brasilianer Roberto Azevedo das Amt des Generaldirektors angetreten. Dass auf den Franzosen Pascal Lamy nach acht Jahren nun der Vertreter eines Schwellenlandes folgt, nährt Hoffnungen, dass die WTO wieder an Schwung gewinnt. Die Organisation mit ihren 159 Mitgliedern leidet darunter, dass die Doha-Runde stockt. Bereits seit 2001 versuchen die Mitgliedsstaaten Handelshindernisse in einer großen multilateralen Runde abzubauen und blockieren sich dabei gegenseitig.
2011 hatte die EU versucht, wenigstens die Zölle auf Maschinen und Chemie abzubauen. Der Vorschlag sah vor, dass Industrieländer die Zölle auf null herunterfahren und Schwellenländer ihre Zölle halbieren. Ein Deal scheiterte an den USA, die das Arrangement zu großzügig fanden. Seither herrscht Stillstand.
Mit dem Aufschwung der Schwellenländer haben sich die Gewichte im Welthandel deutlich verschoben. Früher reichte es für einen Deal aus, wenn sich die USA und Europa einigten. Heute kann es nur einen Deal geben, wenn die Schwellenländer mit an Bord sind. Experten sind sich einig, dass ein Land wie China mittelfristig großes Interesse an offenen Märkten hat, weil es exportieren will. Allerdings weiß China auch, wie begehrt der Zugang zu seinem stark wachsenden Markt ist. „Die Chinesen haben eine Trumpfkarte in der Hand, die sie nicht unnötig ausspielen wollen“, heißt es dazu in der EU-Kommission.
Schwellenländer wollen nicht noch einmal übergangen werden
Beobachter betonen auch, dass sich die Schwellenländer ungern an die Uruguay-Runde erinnern, als die USA und die EU Anfang der Neunziger Jahre die Details unter sich ausmachten. „Viele haben sich damals geschworen, dass ihnen das nicht noch ein zweites Mal passiert“, sagt Ökonom Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.
Der neue WTO-Generaldirektor Azevedo, der als ehemaliger WTO-Botschafter seines Landes sehr genau weiß, wie die Mitglieder der WTO ticken, steht nun vor der Aufgabe, die unterschiedlichen Interessen zusammenzuführen. Kritiker befürchten, dass er der Organisation kein neues Leben einhauchen kann, weil er als ehemaliger Botschafter Teil des Apparats sei. Auch ist nicht klar, ob er über genug Autorität verfügt, um sich mit einem kampfeslustigen Politiker wie EU-Handelskommissar Karel De Gucht anzulegen.
Azevedo war nie Minister, weshalb er sich den Respekt seiner Gesprächspartner noch erarbeiten muss. Kollegen bescheinigen ihm allerdings ein hohes Maß an Kompetenz und diplomatisches Geschick.
Die erste große Herausforderung muss Azevedo schon Anfang Dezember meistern, wenn sich die Minister der WTO-Mitgliedsstaaten in Bali treffen. Azevedo und sein Team wissen: Wenn die Doha-Runde dann wieder keinen sichtbaren Fortschritt macht, dann ist das eine sehr schlechte Nachricht für den Welthandel.