Haben Sie, verehrte Leserin, geschätzter Leser, eine Ahnung, wieviel Eugen Freund künftig ungefähr verdienen wird? Nein, natürlich nicht 3.000 Euro brutto pro Monat – schließlich ist der EU-Spitzenkandidat der Sozialdemokraten ja kein Arbeiter.
[[image1]]Der frühere TV-Moderator kann vielmehr mit einem monatlichen Bruttogrundgehalt von 8.000 Euro rechnen, 12 Mal pro Jahr, wozu sich Sitzungsgelder in Höhe von 304 Euro, eine allgemeine Kostenvergütung von monatlich 4.299 Euro sowie der Ersatz der Reisekosten gesellen werden. In einem Jahr summiert sich das locker auf weit über 200.000 Euro, was gar nicht so schlecht ist – die EU zahlt jedenfalls noch besser als der ORF.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Wer im Europa-Parlament sitzt, bekleidet einen ebenso anspruchsvollen wie mühsamen, heraus-fordernden wie stressigen Top-Job, der für die Besten der Besten eines Landes reserviert sein sollte. Im Prinzip ist den EU-Abgeordneten also jeder einzelne Euro zu vergönnen – sofern die erbrachte Leistung, sprich: die Summe aus Kompetenz, Fleiß und Einsatzbereitschaft, stimmt. Doch das ist halt so eine Sache… – ein Beispiel: Die österreichischen Europa-Parlamentarier waren in dieser Legislaturperiode im Schnitt bei 91 Prozent aller Abstimmungen anwesend – damit schlagen sie laut VoteWatch Europe alle anderen nationalen Delegationen klar. Sie brachten in viereinhalb Jahren zum Beispiel exakt 3.199 parlamentarische Anfragen ein, was großartig klingt. Nur: Quantität sagt über die Qualität ihrer Arbeit nach Tagesordnungen gar nichts aus. Was sie mit Plenumsreden, Berichten, Entschließungsanträgen, in Debatten und durch Protokolle schlussendlich bewirken – oder nicht – , das ist für die Wählerinnen und Wähler daheim weitgehend undurchschaubar und schleierhaft. Die Kernfrage lautet: Wie gut sind unsere EU-Experten wirklich?
Derzeit ist Österreich in Brüssel und Straßburg mit 19 Mandataren vertreten, die von sechs Parteien aufgeboten werden, wobei zwei unabhängige Abgeordnete mit von der Partie sind. Das größte Team stellt die ÖVP mit sechs Repräsentanten, gefolgt von der SPÖ mit fünf. Die FPÖ und die Grünen stellen jeweils zwei, das BZÖ und die Liste Martin stellen einen EU-Parlamentarier. In Hinkunft darf die Republik nur noch 18 Abgeordnete entsenden, wobei sich die rot-weiß-rote Truppe vom derzeitigen Aufgebot maßgeblich unterscheiden wird: So etwa scheidet ungefähr die Hälfte der Mandatare aus, darunter der durchaus bewährte SP-Fraktionsführer Hannes Swoboda, die Grüne Eva Lichtenberger sowie die beiden Schwarzen Richard Seeber und Hubert Pirker. Der Verbleib der einstigen Liste Martin-Abgeordneten Martin Ehrenhauer und Angelika Werthmann, die sich nach Disputen mit Hans-Peter Martin als parteilose Einzelkämpfer versucht haben, ist ebenso ungewiss wie der ihres früheren Chefs. Aus heutiger Sicht ist es eher unwahrscheinlich, dass der streitbare Vorarlberger im Mai genügend Stimmen erhalten wird. Schließlich wird auch der mittlerweile von der Minipartei ausgeschlossene BZÖ-Mann Ewald Stadler bei der EU-Wahl ziemlich chancenlos sein, obzwar er für die neue rechtskonservative Partei Rekos anzutreten beabsichtigt.
Die 18 Favoriten
Laut jüngsten Meinungsumfragen wird die ÖVP, die beim letzten Mal mit 30 Prozent der Stimmen Nummer Eins war, deutlich zurückfallen. So gesehen ist damit zu rechnen, dass sich SPÖ und FPÖ um den ersten Platz duellieren werden. Jede der drei Parteien darf jedenfalls auf vier bis fünf Mandate hoffen, der Sieger wird vielleicht sogar sechs schaffen. Und sonst? Während die Grünen ihre zwei behalten dürften, sind die NEOS diesmal wieder das große Fragezeichen: Es wäre keine besondere Sensation, wenn sie künftig einen EU-Abgeordneten, womöglich sogar zwei, stellen. Alle übrigen Parteien – etwa die Liste Martin, das Team Stronach, das BZÖ, die Piraten und die Listen von Stadler und Ehrenhauser – werden, da muss man kein großartiger Prophet sein, leer ausgehen.
Welche personellen Veränderungen sind damit zu erwarten? Bei der SPÖ wird, wenn ihm nicht noch einige Hoppalas passieren, der zweifellos populäre Polit-Newcomer Eugen Freund den gestandenen Profi Hannes Swoboda ablösen. Ansonst bleibt alles beim Alten, weil die bisherigen roten Abgeordneten Evelyn Regner, Jörg Leichtfried und Karin Kadenbach, wenn‘s gut läuft wahrscheinlich auch Josef Weidenholzer, ein fixes Leiberl haben. Die ÖVP vertraut auf ihren Spitzenmann Othmar Karas, der immerhin Vizepräsident des Parlaments ist und seinen Job ausgezeichnet erledigt hat. Wie bisher werden ihm wohl der routinierte Wirtschaftsbündler Paul Rübig und die engagierte Bauernbündlerin Elisabeth Köstinger zur Seite stehen. Fraglich ist der Seniorenbündler Heinz J. Becker, der, wie gerüchteweise zu vernehmen ist, der steirischen Ex-Ministerin und ÖAABlerin Beatrix Karl Platz machen sollte. Sie wäre, neben Eugen Freund, das stärkste Signal für einen personellen Relaunch der Österreich-Delegation.
Die Freiheitlichen wiederum bieten neben dem langgedienten EU-Skeptiker Andreas Mölzer ihren in Sachen EU-Themen nicht besonders profilierten Co-Generalsekretär Harald Vilimsky auf. Weiters – wie gehabt – den unauffällig agierenden Franz Obermayr, wozu noch zwei neue Gesichter mit recht passablen Chancen kommen, nämlich der steirische FP-Klubobmann Georg Mayer und die Wiener Landtagsabgeordnete Barbara Kappel. Die Grünen haben sich, nachdem ihre rührige EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger nach zehn Jahren das Handtuch warf, für Ulrike Lunacek und gegen die frühere Parteiobfrau Madeleine Petrovic als Spitzenkandidatin entschieden. Letztere wurde auf Listenplatz fünf gereiht, weit hinter dem burgenländischen Landtagsabgeordneten Michel Reimon, der sich als Zweiter Hoffnungen auf den neuen Posten machen darf. Die NEOS schließlich werden, so wie‘s aussieht, die bisherige LIF-Chefin Angelika Mlinar in die Wahlschlacht werfen. Sie könnte demnächst zur interessanten Blutauffrischung der rot-weiß-roten Vertreter im EU-Parlament werden. Wer eventuell ein zweites NEOS-Mandat kriegt, ist vorerst noch ein Geheimnis: Es wäre ein – allerdings ziemlich unrealistischer – Traum, würde der Baulöwe Hans-Peter Haselsteiner für diese Aufgabe zur Verfügung stehen – ausreichend Zeit hätte er ja neuerdings.
Viele vertane Chancen
Freilich: Ein perfektes Dreamteam wird Österreich auch in Zukunft nicht zur Verfügung stehen. Diese Chance wurde im Zuge der wie gewohnt merkwürdigen Kandidaten-Selektion bereits kläglich vertan. Mit der Nominierung eines beliebten TV-Journalisten, für den Politik letztlich ein fremdes Metier ist, mit der Entsendung eines stets grantig wirkenden FPÖ-Generalsekretärs, der primär seine Rolle als Straches Mann fürs Grobe vorzüglich beherrscht, oder mit den zumeist intransparenten Entscheidungen zugunsten von – ja, wenn auch ambitionierten oder ehrgeizigen – Landtagsabgeordneten, die den Sprung nach Europa schaffen sollen, ist es nämlich beileibe nicht getan. Die Parteien haben es jedenfalls versäumt, hochkarätige, erfahrene und profilierte Polit-Profis ins Rennen zu schicken, die unter Umständen gerne zur Verfügung gestanden wären; beispielsweise die VP-Exminister Niki Berlakovich und Karlheinz Töchterle, der abgelöste SP-Klubchef Josef Cap oder das grüne Urgestein Alexander Van der Bellen und nicht zuletzt Madeleine Petrovic.
Auch deutlich weniger prominente, doch Kraft ihrer Funktion zumindest themenaffine Politiker aus der zweiten Reihe wären einen Versuch Wert gewesen, etwa die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Christine Muttonen, oder ihr Pendant bei den Grünen, Tanja Windbüchler-Souschill. Natürlich hätte es auch einen gewissen Charme gehabt, eine hinlänglich bekannte „Quereinsteigerin“ wie die einstige Staatssekretärin und spätere Siemens-Vorstandsdirektorin Brigitte Ederer zu fragen, ob sie nicht ihren Ehemann Hannes Swoboda beerben möchte. Eine spannende Alternative wäre gewiss die frühere EZB-Direktorin Gertrude Tumpel-Gugerell gewesen, die für den EU-Top-Job zweifellos die nötige Qualifikation vorweisen hätte können. Derartigen Persönlichkeiten – und es hätte noch weitere gegeben – wäre es zuzutrauen gewesen, das durchaus fleißige, aber letztlich nicht optimal besetzte Team der österreichischen Europa-Parlamentarier merklich aufzuwerten. Leider wird nichts daraus.
Und das bedeutet: Mittelmaß ist weiterhin angesagt, denn mit Ausnahme von Othmar Karas, der mit Fug und Recht zu den führenden EU-Mandataren gezählt werden darf, müssen sich jene, die bleiben, anstrengen, um sich in Brüssel und Straßburg zu profilieren und nicht mehr ein Dasein unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle führen zu müssen. Und jene, die neu dazu kommen, werden sich erst einmal monatelang einarbeiten müssen, ehe von ihnen die ersten Lebenszeichen zu erwarten sind. Die 18 rot-weiß-roten MEPs (Members of the European Parliament), die nur einen Bruchteil der insgesamt 751 Parlamentssitze besetzen, werden jedenfalls nach der Wahl möglichst rasch den Nachweis liefern müssen, dass sie selbst eine gute Wahl waren – und ihre tolle Gage wert sind.