Für den russischen Präsidenten war der Besuch von Kanzler Kurz ein Highlight mitten im Wahlkampf.
Die beiden Herren werden über ihr Treffen bestimmt hocherfreut sein: Sebastian Kurz, weil eine Einladung nach Moskau nichts Alltägliches ist und er sich einmal mehr auf der weltpolitischen Bühne geschickt in Szene setzen konnte; und Vladimir Putin, weil ihm der Besuch des rot-weiß-roten Shooting Stars so knapp vor dem Wahltag am 18. März durchaus gelegen kam. In drei Stunden wurden im Präsidentenpalast alle naheliegenden bilateralen und weltpolitisch wichtigen Themen aufs Tapet gebracht, diskutiert und abgehakt, ehe die langjährige Freundschaft der beiden Länder per Handschlag und Keep Smiling prolongiert wurde.
Österreichs Junior-Kanzler machte im Kreml, wie schon in Paris und Berlin, als er Emmanuel Macron und Angela Merkel heimgesucht hatte, eine gute Figur. Er kam sympathisch rüber, ging vor Russlands Präsidenten nicht in die Knie, sondern redete Klartext und meisterte die heikle Mission, als EU-Repräsentant in der Höhle des russischen Bären aufzutreten, mit Anstand. Die Kurz-Appelle betreffend Ukraine und Syrien werden Gospodin Putin zwar nicht zum machtpolitischen Softie werden lassen, also genau genommen ungehört verhallen, aber der Versuch wurde unternommen, und mehr ist bei derartigen Staatsbesuchen niemals drinnen.
Der langjährige Kreml-Boss wiederum, dem ein gestörtes Verhältnis zu Deutschlands Kanzlerin und Frankreichs Präsidenten nicht abzusprechen ist, hat den jüngsten, vielleicht sogar im Moment auch interessantesten Staatsmann der ihm alles andere als gut gesinnten Union kennengelernt – und obendrein den Bundeskanzler eines Landes, das Putin längst sehr schätzt und so oft wie möglich auch besucht. Das nächste Mal wird er im Juni einfliegen, um das 50-Jahres-Jubiläum der zwischen OMV und Gazprom unterzeichneten Erdgasverträge mitzufeiern. Dieser Staatsbesuch wird vielerorts, so wie beim letzten Mal im Juni 2014, für heftige Kritik sorgen, weil die Meinung weit verbreitet ist, dass man sich dem Russen weder anbiedern bzw. an ihn nicht einmal anstreifen soll. Diese Haltung impliziert naturgemäß, dass Österreich mit den Russen auch keine Geschäfte machen darf, was freilich ein aufgelegter Unsinn ist.
Fünf Treffen mit Erdogan
Putin wird jedenfalls auf den exzellenten Draht, den er schon immer zu heimischen Politikern wie Thomas Klestil, Wolfgang Schüssel oder Heinz Fischer unterhielt, weiterhin Wert legen. Der junge Kanzler im Alpenland steht ihm zwar nicht so nahe wie Ungarns Rechtspopulist Viktor Orbán, aber das kann ja noch werden. Umgekehrt muss der medial beinahe allseits hochgelobte Basti Kurz, nicht zuletzt im Interesse der rot-weiß-roten Exporteure, an erstklassigen Beziehungen zu Russland ein riesiges Interesse haben. Dass das kleine Österreich nicht die Aufhebung der Sanktionen schaffen wird, was sich der Kreml-Chef wünschen würde, versteht sich von selbst – da kann auch die besonders russenfreundliche FPÖ selbst in neuer Rolle als Regierungspartei nichts daran ändern.
Mit dem Arbeitsbesuch in Moskau hat Kurz Putin selbstverständlich einen großen Gefallen gemacht, denn diesem sind große Auftritte, die sein weltpolitisches Gewicht unterstreichen, ganz besonders wichtig. Die weit verbreitete Annahme, dass der Kreml-Boss seit der Krim-Annexion im März 2014 und den danach verhängten Sanktionen vollkommen isoliert sei, ist allerdings Mumpitz. Es ist nicht so, dass Putin – wie häufig spekuliert wird – nicht mehr zu Staatsbesuchen eingeladen wird und daheim nur wenige und eher zweitklassige Polit-Gäste empfangen kann. Das Gegenteil ist wahr: Der moderne Zar hat allein in den vergangenen sechs Monaten mehr als 50 Meetings absolviert und steht damit in ständigem Kontakt mit vielen Präsidenten und Regierungschefs, die er gerne nach Moskau oder Sotschi einzuladen pflegt (siehe Tabelle unten).
Die große Frage ist allerdings, mit wem er sich in der Öffentlichkeit zeigt: Zu seinen bevorzugten Gesprächspartnern zählen nämlich der türkische Präsident Reep Tayyip Erdogan, den er im Vorjahr gleich fünf Mal traf, weiters der Premier Israels, Benjamin Netanyahu, die iranische Führung und naturgemäß seine präsidialen Kollegen in Kasachstan, Kirgistan und Turkmenistan. Putin hatte auch zwei Meetings mit Donald Trump, kommt regelmäßig mit den Spitzen der Volksrepublik China zusammen und durfte in Moskau sogar zwei gekrönte Häupter willkommen heißen – den König aus Saudi Arabien und jenen aus Jordanien. Schließlich empfing er auch politische Enfant Terribles wie Venezuelas Nicolas Maduro und den philippinischen Machthaber Rodrigo Duterte, die ihm sehr herzlich für Finanzspritzen bzw. Waffenlieferungen dankten.
So gesehen hat sich der Konflikt mit der EU schon negativ ausgewirkt und Putins einstige Strahlkraft ziemlich ramponiert: War er früher etwa mit Angela Merkel mehrmals pro Jahr zusammengetroffen, die ihm seit geraumer Zeit die kalte Schulter zeigt, so muss er jetzt eher leiser treten: Einladungen zu Staatsbesuchen haben ihn zuletzt beispielsweise bloß aus Ägypten, Turkmenistan, Ungarn oder Griechenland erreicht. Abgesehen von seiner Paris-Reise im Mai und dem Peking-Trip im Juni des Vorjahres ein recht spärliches Programm. Dass er in EU-Metropolen wie Berlin, London oder Rom offensichtlich nicht mehr gerne gesehen wird, dürfte Putin, der auf außenpolitische Präsenz und PR-optimierte Auftritte allergrößten Wert legt, massiv wurmen. Dieses Imageproblem kann durch die fünf vorjährigen Zusammentreffen mit seinem türkischen Spezi Recep Tayyip Erdogan beileibe nicht kompensiert werden.
Genau deswegen wird auch der nächste Österreich-Besuch Putins international wieder für Furore sorgen: Aus rot-weiß-roter Sicht ist es zum einen okay, alle Kommunikationskanäle nach Moskau offen zu halten und – wie es Kurz gerne formuliert – Brücken zu bauen. Zum anderen darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass sich Österreich vom russischen Präsidenten instrumentalisieren lasse und aus rein kommerziellem Kalkül politische Prinzipien über den Haufen zu werfen bereit sei. Sebastian Kurz wird den Nachweis erbringen müssen, dass die türkis-blaue Regierung nicht aus der Brüsseler Phalanx gegenüber Moskau ausscheren möchte, um sich auf anbiedernde Weise vom kühlen Taktiker im Kreml Vorteile zu sichern.
RUSSISCHE REISE-DIPLOMATIE
Ein Blick in Putins Terminkalender: Welche Top-Politiker der Kreml-Boss im vergangenen Halbjahr getroffen hat.
28. 02. 2018 Sebastian Kurz, Bundeskanzler Österreichs
15. 02. 2018 Abdullah II, König von Jordanien
12. 02. 2018 Mahmoud Abbas, Präsident Palästinas
31. 01. 2018 Charles Michel, Premier Belgiens
29. 01. 2018 Benjamin Netanyahu, Premierminister Israels
25. 01. 2018 Rustam Minnikhanov, Präsident Tatarstans
19. 12. 2017 Alexandar Vucic, Präsident Serbiens
11. 12. 2017 Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, in Ankara
11. 12. 2017 Abdel Fattah al-Sisi, Präsident Ägyptens, in Kairo
30. 11. 2017 Alexander Lukaschenko, Präsident Weißrusslands, bei der CSTO-Tagung* in Minsk
29. 11. 2017 Li Keqiang, Premier Chinas
23. 11. 2017 Omar al-Bashi, Präsident Sudan
22. 11.2018 Hassan Rouhani, Irans Präsident, und Türkeis
Präsident Recep Tayyip Erdogan in Sotschi
21. 11. 2017 Bashar al-Assad, Präsident Syriens
21. 11. 2017 Milos Zeman, Präsident Tschechiens
17. 11. 2017 Almazbek Atambayev, Präsident Kirgistans
15. 11. 2017 Serzh Sargsyan, Präsident Armeniens
13. 11. 2017 Anatoly Bibilov, Präsident Südossetiens
13. 11. 2017 Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, in Sotschi
APEC-GIPFEL** IN DANANG/VIETNAM
11. 11. 2017 Donald Trump, US-Präsident
10. 11. 2017 Shinzo Abe, Premierminister Japans
10. 11. 2017 Rodrigo Duterte, Präsident Philippinen
10. 11. 2017 Xi Jinping, Präsident Chinas
10. 11. 2017 Tran Dai Quang, Präsident Vietnams
09. 11. 2017 Nursultan Nazarbayev, Präsident Kasachstans, in Chelyabinsk
01. 11. 2017 Hassan Rouhani, Irans Präsident, und Ilham Aliyev, Präsident Aserbaidschans, in Teheran
01. 11. 2017 Ayatollah Ali Khamenei, Staatsoberhaupt im Iran
25. 10, 2017 Frank-Walter Steinmeier, Präsident Deutschlands
24. 10. 2017 Nicos Anastasiades, Präsident Zyperns
18. 10. 2017 Kolinda Grabar-Kitarovic, Präsidentin Kroatiens
12. 10. 2017 Nursultan Nazarbayev, Präsident Kasachstans
11. 10. 2017 Gurbanguly Berdimuhamedov, Präsident Turkmenistans, in Sotschi
10. 10. 2017 Emomali Rahmon, Präsident Tadschikistans, in Sotschi
10. 10. 2017 Igor Dodon, Präsident Moldawiens, in Sotschi
05. 10. 2017 Salman bin Abdulaziz Al Saud, König von Saudi Arabien
04. 10. 2017 Nicolas Maduro, Präsident Venezuelas
02. 10. 2017 Gurbanguly Berdimuhamedov, Präsident Turkmenistans, in Ashgabat/Turkmenistan
28. 09. 2017 Alpha Conde, Präsident Guineas
14. 09. 2017 Almazbek Atambayev, Präsident Kirgistans, in Sotschi
13. 09. 2017 Saad Hariri, Präsident Libanon, in Sotschi
06. 09. 2017 Moon Jae-in, Präsident Südkoreas, in Vladivostok
BRICS-KONFERENZ *** IN XIAMEN
05. 09. 2017 Prayuth Chan-o-cha, Premierminister Thailands
Enrique Pena Nieto, Präsident Mexikos
04. 09. 2017 Jacob Zuma, Präsident Südafrikas
Abdel Fattah el-Sisi, Präsident Ägyptens
Narendra Modi, Premierminister Indiens
03. 09. 2017 Xi Jinping, Präsident Chinas, in Xiamen
28. 08. 2017 Viktor Orban, Premierminister Ungarns, in Budapest
28. 08. 2017 Khaltmaagiin Battulga, Präsident der Mongolei,in Budapest
23. 08. 2017 Serzh Sargsyan, Präsident Armeniens, in Sotschi
23. 08. 2017 Benjamin Netanyahu, Premierminister Israel
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* CSTO = Collective Security Treaty Organization, ein von Russland geführtes Militärbündnis, dem auch Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Weißrussland angehören
** APEC = Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft
*** BRICS-Staaten sind Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika