Der sich verbreitende Corona-Virus und die auf Europa zukommende nächste Flüchtlingswelle zeigen einmal mehr die Verwundbarkeit des Kontinents.
Man muss sich nur die Zahlenrelationen vor Augen halten, um noch immer den Stellenwert Europas in der Welt zu ermessen. Gleichzeitig wird aber damit bewusst gemacht, wie dringend es notwendig wäre, dass sich Europa – und das gilt ganz besonders für die EU – seiner Kraft und Stärke besinnt, sich nicht treiben lässt oder gar getrieben wird.
Die EU im Zangengriff Chinas und der USA
Bevölkerungsmäßig stellt Europa mit 741 Millionen Einwohnern rund ein Zehntel der Weltbevölkerung, die sich derzeit auf 7,763 Milliarden beläuft. In punkto Wirtschaftskraft und vor allem bei den Sozialleistungen ist Europa Spitze. So lag das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2017 bei 80,1 Billionen US-Dollar. Davon entfielen 23,5 Prozent auf die EU, 21, 8 Prozent auf die USA und 12,7 Prozent auf China. Allerdings – und diese Entwicklung lässt die Alarmglocken läuten – lag das BIP der EU vor 50 Jahren um 11,2 Prozent höher und jenes Chinas bei nur einem Prozent. So nebenbei hat US-Präsident Donald Trump mit seiner America-Frist-Politik den USA ein kräftiges Wachstum beschert, während man in Europa einem Null-Wachstumm entgegenzittert.
Intellektueller und industrieller Aderlass
Tatsächlich hat Europa in den letzten Jahrzehnten einen Aderlass an intellektuellem und industriellem Potential erfahren. Erstens indem im Zuge des Zweiten Weltkriegs viele Europäer vor allem in die USA emigrierten und heute mit ihren dort gegründeten Unternehmen den Weltmarkt beherrschen. Zweitens indem man tatenlos zusah wie China begann, europäische Patente zu kopieren und drittens, dass man noch die Absiedelung europäischer Großindustrien, um eine Gewinnmaximierung zu erreichen, in andere Kontinente forcierte. Dass man im Zuge der ganzen Diskussion um die Klimakrise auch noch zu ließ, dass die europäische, vor allem deutsche Autoindustrie mit existentiellen Problemen kämpft, ist gewissermaßen das Tüpferl auf dem i.
Wettbewerbsdefizite gerade auch im Bildungsbereich
Nicht zuletzt bedingt durch eine von den Linken über Jahrzehnte betriebene Gleichmacherei und Nivellierung hat auch das europäische Bildungswesen in vielen Ländern gelitten. Mit dem Effekt dass von der Lehre bis hin zu den Akademikern ein Defizit an Top-Kräften besteht. Dazu kommt, dass die Migrationswellen zu einem Senken des Bildungsniveaus im Pflichtschulbereich geführt haben. Insgesamt ein klarer Wettbewerbsnachteil insbesondere gegenüber dem asiatischen Bildungswesen. Was sich derzeit unter anderem im Bereich der Elektronik und Digitalisierung zeigt, wo Europa mehr als nur Aufholungsbedarf hätte. Das gilt für die Produktion, die weitgehend in asiatischen Händen liegt, ebenso wie für die Internetanbieter, die derzeit von US-Konzernen beherrscht werden. Dass Europa bis dato keine Ratingagentur hat, rundet dieses Bild nur ab.
Bedenkliche Abhängigkeiten bei der Arzneimittelversorgung
Augenscheinlich wird die Abhängigkeit aber gerade jetzt im Zuge der Verbreitung des Corona-Virus. So zeigt sich etwa, dass Europa lange Zeit bei der Entwicklung von Arzneimittel eine führende Position hatte, mittlerweile aber in Abhängigkeit geraten ist. Und zwar deshalb, weil auch hier – wie etwa in der Industrie – Produktionsstätten in Länder ausgelagert wurden, wo Arbeitskräfte billiger sind. Ein Beispiel. Die Medikamente gegen hohen Blutdruck werden nur noch von einem Konzern weltweit produziert. Und das nicht in Europa. Ähnliches gilt für viele Arzneien zum Kampf gegen viraler Effekte. Was zu nicht absehbaren Folgen führen kann, wenn es aufgrund einer Epidemie zu Versorgungsengpässen kommt.
Einladung an Thunberg ist das falsche Signal
Und so wird es gerade zu einem Symbol, dass der Bau der neuen Seidenstraße von China nach Europa vorangetrieben wird, nicht aber Europa, das noch immer über gewaltige finanzielle und geistige Ressourcen verfügt, wieder eine Entwicklungs-Führerschaft übernimmt. Hier liegt die eigentliche Herausforderung, der sich die EU stellen muss. Hier freilich konstatiert man derzeit eine gewisse Ohnmacht. Anstelle jetzt in Kampf gegen den Corina-Virus eine Zentralkoordination zu übernehmen, Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu zeigen, lädt man die ferngesteuerte Klima-Aktivistin Greta Thunberg zu einer Diskussion nach Brüssel ein. Vorschläge, wie man die Klimakrise durch neue Technologien lösen kann, sind von ihr nicht zu erwarten. Nur Worthülsen.
Neue Migrationswelle als nächste Herausforderung
Eine ähnliche Ohnmacht zeigt sich ganz aktuell bei der neuen Europa ins Haus stehenden Flüchtlingswelle. Dabei geht es nicht nur darum, dass man es sich einfach gefallen lässt, dass Erdogan, um seinen Machtanspruch in der islamischen Welt zu untermauern, einen Krieg gegen Syrien führt, der eine Fluchtwelle der Bevölkerung aus den betroffenen Gebieten auslöst. Und der die durchaus prekäre Situation nützt, die Grenzen der Türkei nach Griechenland und Bulgarien für zig-tausende Flüchtlinge zu öffnen, um die EU in die Knie zu zwingen. Er weiß aber offenbar, wie man mit Brüssel umzugehen hat. Was umgekehrt – siehe nur das Herumlavieren mit einem Ende der Beitrittsverhandlungen – nicht der Fall ist Der wunde Punkt ist einmal mehr, dass es bis dato keine EU-Außen- und Sicherheitspolitik gibt. Und auch nicht rechtzeitig, ja vorausschauend gehandelt wird. Hier zeigt sich das ganze Dilemma, in dem die EU steckt: Eine bislang farblose Kommissionspräsidentin, die geradezu nostalgische Gefühle an Jean Claude Juncker weckt, eine weitgehend gesichtslose Kommission sowie Regierungschefs, die von Emmanuelle Macron bis Angela Merkel mit zur Ohnmacht der EU beigetragen haben.