Mittwoch, 6. November 2024
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Wie Putin von nationalistischen Populisten profitiert

 

Michel Reimon, EU-Abgeordneter der Grünen, und Eva Zelechowski,  Journalistin bei der „Wiener Zeitung“, haben soeben ein lesenswertes Buch abgeliefert. In „Putins rechte Freunde“ skizzieren sie, wie  der Kreml-Boss mit rechtsextremen bzw. nationalkonservativen Parteien Europas packelt, um die Europäische Union zu unterminieren.

 

Dass die EU für Vladimir Putin ein Dorn im Auge ist,  weiß man bereits. Dass der russische Präsident etliche  Populisten  vom Schlage einer Marine Le Pen  unterstützt, ist auch nicht neu. Dennoch ist so manches unklar, was nunmehr in dem erwähnten Buch erhellt wird. Kaum transparent ist etwa, wie sich Russland die westlichen EU-Feinde zu nutze macht. Reimon und Zelechowski gehen davon aus, dass Putin, dessen  primäres Ziel zweifellos die politische und wirtschaftliche Destabilisierung der Union ist, rund 15  autoritär-nationalistische Parteien in Europa wie treue Verbündete behandelt und für ihre Dienste belohnt, teilweise auch mit Geldmittel aus Moskau.

 

Putins fünfte Kolonne – gemeint sind der französische Front National, die deutsche AfD (Alternative  für Deutschland), der Niederländer Geert Wilders mit seiner VVD sowie die übrigen Konsorten – ist zunächst einmal für die konservative, nationalistische und autoritäre Vorgangsweise Putins sehr zugänglich. Deshalb kritisieren Le Pen & Co. beispielsweise die Annexion der Krim mit keinem Wort, treten freilich gegen die Sanktionen gegen Russland auf und finden obendrein die abstrusen Großreich-Visionen des Kreml-Chefs völlig in Ordnung.  Das alles gefällt diesem eben so sehr wie der unerbittliche Anti-EU-Kurs der rechtsextremen Parteien Europas. Für Putin  ginge ein Wunschtraum in Erfüllung, würden sich weitere EU-Mitgliedsstaaten  in absehbarer Zeit nach dem Vorbild Großbritanniens aus der Union vertschüssen. Er sähe es auch liebend gerne, wenn sich die Mitgliedsstaaten in Hinkunft noch schwerer als bislang auf gemeinsame Nenner verständigen könnten – selbst  wenn die EU um Häuser besser da steht als die  von Moskau  initiierte Eurasische Wirtschaftsunion. Dieser EU-ähnliche  Zusammenschluss  von Russland, Kasachstan, Weißrussland,  Armenien und  Kirgisistan  ist nämlich zur Zeit  nicht viel mehr als  eine  wirtschaftspolitische Lachnummer.

 

Zwecks  konsequenter Destabilisierung der ungeliebten Union  setzt  Vladimir Putin auf eine perfekt funktionierende Propagandamaschinerie, die aus dem TV-Sender  RT, der Nachrichtenagentur Sputnik und so genannten Trollfarmen besteht – Russland  nutzt das Internet und die Social Media so perfekt wie kein anderes Regime. Allein Sputnik ist an 130 Standorten in 34 Ländern präsent und produziert täglich 800 Stunden Programm in dreißig Sprachen. Dieses gewaltige Propaganda- und Desinformations-Netzwerk  wird von der russischen Regierung großzügig  finanziert und hat  die Aufgabe, gezielt Falschinformationen zu verbreiten, Verschwörungstheorien zu erfinden und den Westen – wie es im Buch formuliert wird – „als düstere, gespaltene, dekadente und brutale Gesellschaft“ darzustellen. „die von gewalttätigen Migranten überrannt wird und höchst instabil ist“.

 

Die Taktik, sich selbst wie einen Helden in Szene zu setzen, und gleichzeitig den unliebsamen Gegenspieler mit allen erdenklichen Mitteln runterzumachen, ist für den russischen Präsidenten die einzige Chance, sein eigenes, vielschichtiges und letztlich durchaus bedrohliches Dilemma halbwegs ertragen zu können.

 

Eine Hoffnung bleibt

 

Putin inszeniert sich besonders in jüngerer Zeit – trotz der schmerzlichen Sanktionen gegen sein Land – als Anführer einer Weltmacht, was freilich mit der  Realität  kaum in Einklang zu bringen ist.  Mit etwas mehr als 140 Millionen Einwohnern wirkt Russland nämlich – gemessen an den Giganten China und Indien – relativ schwachbrüstig. Die Europäische  Union mit – derzeit noch – 500 und die  USA mit aktuell 330 Millionen Menschen, aber auch  Indonesien, Brasilien, Pakistan, Nigeria und Bangladesch lassen das russische Volk hinter sich – nur Rang Zehn.

 

Auch wenn der zweifellos clevere Präsident gern den Anschein erweckt, dass sein Reich in militärischer Hinsicht tipp-topp dastehe, sprechen etliche Fakten dagegen: Russland, flächenmäßig das größte Land der Welt, kann sich beispielsweise nicht rühmen, über eine funktionierende  Wirtschaft zu verfügen, geschweige denn eine führende Wirtschaftsmacht zu sein. Im direkten Vergleich mit den einschlägigen Spitzenreitern USA und Europäische Union, aber auch mit dem Drittplatzierten China wirkt Putins Imperium, das gerade mal als Erdöl- und -gas-Lieferant eine große Nummer ist,   beinahe armselig.

 

Sein Bruttoinlandsprodukt – 1,3 Billion US-Dollar –  machte laut Angaben des Internationalen Währungsfonds im Jahr 2015 gerade mal ein Achtel der Wirtschaftsleistung aus, die allein das westeuropäische Quartett Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien auf die Waage bringen. Die EU28 übertreffen den müden russischen Bären gleich um das Vierzehnfache. Was das Pro Kopf-BIP anlangt, kommt die Russische Föderation mit einem Wert von  23.700 US-Dollar im weltweiten Länder-Ranking über Platz 79 nicht hinaus – und rangiert damit haarscharf hinter Griechenland,  Kasachstan, Lettland und Chile.

 

Bei den Militärausgaben schneidet Russland ebenfalls weitaus schlechter ab als anzunehmen wäre: Laut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) muss sich Putin mit Platz Vier begnügen – hinter den Vereinigten Staaten, die 2015 mit der Wahnsinnssumme von fast 600 Milliarden US-Dollar unangefochten an der Spitze standen, nach der Volksrepublik sowie Saudi Arabien.  Russland standen im genannten Jahr  vergleichsweise bescheidene 66  Milliarden Dollar als Verteidigungsetat zur Verfügung. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt – 4,5 Prozent – übertrifft der Kreml freilich die USA (3,5 %) und China (2,1 %), allerdings nicht Saudi Arabien  (10,4 %).  Die russischen Rüstungsausgaben steigen zwar tendenziell, was allerdings das Land aufgrund der Rubel-Abwertung, der Sanktionen und des wirtschaftlichen Abschwungs vor enorme Probleme stellt. Überraschend mutet es freilich an, dass die kumulierten Militärbudgets von Deutschland und Frankreich bereits  größer als der russische Etat sind.

 

Das heißt: Würde die Europäische Union in außenpolitischer bzw. militärischer Hinsicht koordiniert auftreten, dann wäre Putin vermutlich sogleich in die Rolle eines geopolitischen Zwerges gedrängt. Genau deshalb wünscht sich der Kreml-Chef eine mit sich selbst beschäftigte EU, die mit möglichst vielen Problemen à la  Terrorangst, Flüchtlingswelle etc. konfrontiert ist und sich dabei als überfordert, idealer Weise sogar als handlungsunfähig  erweist. Der Moskauer Autokrat will nicht einer koordiniert agierenden Staatengemeinschaft gegenüber stehen, die gemeinsame Interessen verfolgt – er hätte es lieber mit politisch autistischen Nationalstaaten zu tun, die nichts von Solidarität, jedoch viel von Egoismus und Protektionismus halten.

 

Putins außenpolitische Schachzüge sollen interne Probleme geschickt überlagern: Die stark gestiegenen Preise, insbesondere für Lebensmittel, und die schon seit drei Jahren sinkenden Reallöhne stellen immer mehr Russen vor existenzielle Probleme. Rund 20 Millionen Menschen leben bereits unter der Armutsgrenze, großteils ohne Krankenversicherung und ohne ärztliche Betreuung. Kaum ein anderes Volk ist an Duldsamkeit dermaßen erprobt wie die Russen, die sich vom Schlachtplan des autokratischen Machtmenschen im Kreml offenbar endlos einlullen lassen – wobei der Traum, die ehemalige Sowjetunion quasi wiederherzustellen, praktisch unrealistisch geworden ist.  Putins Albtraum muss vielmehr darin bestehen, dass sich das größte Land der Welt nach und nach auflöst, weil sich Teilstaaten wie Tschetschenien abwenden, und letztlich in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

 

„Eine Hoffnung bleibt“, heißt es im letzten Kapitel  von „Putins rechte Freunde“. „Irgendwann hören die Russen auf, ihr Schicksal stillschweigend zu erdulden, und werden sich gegen einen Präsidenten, der ihr Land zugrunde richtet, zur Wehr setzen“. 

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