Die staatlichen Schuldenberge wachsen rasant. Doch das Geldvermögen der privaten Haushalte ist weltweit nach wie vor doppelt so hoch wie die Staatsdefizite. Auch innerhalb der Euro-Zone führt ein differenzierter Schulden-Check zu überraschenden Erkenntnissen. Die statistischen Daten liefern beiden Seiten Argumente – den Untergangspropheten ebenso wie den Gesundbetern.
[[image1]]Versinkt die Welt im Schuldensumpf? Ende März 2013 machte die globale Staatsverschuldung nach Berechnungen des Magazins „The Economist“ über 50 Billionen US-Dollar oder rund 38,5 Billionen Euro aus. Ein Kleinstaat wie Zypern lässt die Märkte zittern. Sparer fürchten um ihre Einlagen. Dann aber veröffentlicht die Deutsche Bundesbank Zahlen, die aufhorchen lassen. Demnach leben die wohlhabendsten Familien in den Krisenstaaten Italien und Spanien. Österreich und Deutschland landen mit einem mittleren Vermögen von etwa 76.400 beziehungsweise 54.000 Euro auf den hinteren Plätzen. Und ausgerechnet so solide Staaten wie die Schweiz und die Niederlande weisen hohe private Schuldenberge auf. Verkehrte Welt? Oder werden wir nur verkehrt informiert?
Wie unterschiedlich sich Daten interpretieren lassen, zeigt das folgende Beispiel: Vor wenigen Tagen meldete ein Meinungsforschungsinstitut, jeder zweite Deutsche sorge sich um seine Ersparnisse. Während eine große Tageszeitung Alarmstimmung unter den Anlegern ausmachte, weil 50 Prozent Angst um ihr Geld hätten, titelte ein Nachrichtensender auf seiner Internetseite, die Zypernkrise lasse die Deutschen kalt. Nur jeder Zweite sorge sich um sein Guthaben.
Gipfelsturm: Berge von Schulden und Vermögen
Wer die Flut von Zahlen und Daten hinterfragt, kommt zu überraschenden und teilweise auch zu beruhigenden Erkenntnissen. So nähert sich der internationale Schuldenstand zwar in der Tat der spektakulären und bisher wohl nur in der Astronomie verorteten Summe von 40 Billionen Euro. Doch das Geldvermögen der privaten Haushalte ist beträchtlich höher. Es lag bereits im Jahr 2010 bei über 95 Billionen Euro.
Auch in der Euro-Zone ergibt sich ein sehr differenziertes, durchaus überraschendes Bild, wenn man die Staatsverschuldung mit der Verschuldung der privaten Haushalte vergleicht. In Spanien sind der Staat und die privaten Haushalte gleichermaßen hoch verschuldet. Italien hingegen wies im vergangenen Jahr zwar Staatsschulden in einem Umfang von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf. Gleichzeitig gehört der Apenninenstaat zusammen mit Österreich, Belgien und Deutschland aber zu den EU-Ländern mit der niedrigsten Privatverschuldung. Die privaten Einlagen von Italienern bei Banken machten nach Angaben der EZB im Januar 2013 über 1,4 Billionen Euro aus. Zusammen mit den Einlagen ausländischer Bankkunden verwalten die italienischen Banken knapp 2,5 Billionen Euro.
Die Niederlande wiederum zählen gemeinhin zu den soliden Euro-Staaten. Allerdings sind die Hypothekenschulden des Landes inzwischen auf über 107 Prozent des BIP geklettert. Mit 249 Prozent des Einkommens ist die private Verschuldung der Niederländer die höchste in der Euro-Zone. Zudem ächzen die Banken des Landes unter der geplatzten Immobilienblase.
Sogar die solide und reiche Schweiz weist eine Achillesferse auf: Nach Angaben der Schweizerischen Nationalbank erreichte das gesamte Volumen an Hypothekarkrediten im vergangenen Jahr einen noch nie dagewesenen Rekordwert von über 614 Milliarden Franken, das entspricht 502 Milliarden Euro oder 103,6 Prozent des eidgenössischen BIP. Damit sitzen die Schweizer nach den Holländern auf dem zweithöchsten privaten Schuldenberg Europas. Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während in den Niederlanden infolge der geplatzten Immobilienblase die Objektpreise tendenziell fallen, sind die Schweizer Schulden deutlich geringer als der Wert der Immobilien. „Bis die Lage wirklich für alle Besitzer besorgniserregend wird, müssen die Preise um die Hälfte sinken“, beruhigt Philippe Thalmann, Wirtschaftsprofessor an der ETH Lausanne, seine Landsleute.
Manchmal steht Italien besser da als Deutschland
Wer nicht nur die expliziten, also die schon heute bestehenden und sichtbaren Schulden berücksichtigt, sondern zudem die impliziten Schulden hinzuaddiert, kommt ebenfalls zu überraschenden Erkenntnissen. Unter den impliziten Staatsschulden sind nicht gedeckte Leistungsversprechen zu verstehen, vor allem im Bereich der Sozialversicherungen. Den größten Anteil an diesen Verpflichtungen machen Renten- und Pensionkassen sowie der Aufwand für Pflege- und Gesundheitsleistungen aus, die den Bürgern von den Staaten versprochen werden, aber erst in mehreren Jahren oder Jahrzehnten zu zahlen sind. Nimmt man die impliziten und die expliziten Schulden zusammen, ergibt sich daraus die sogenannte Nachhaltigkeitslücke. Das Ergebnis ist alarmierend. Die gesamte Schuldenlast der zwölf Euro-Länder machte im vergangenen Jahr mehr als das Dreifache des BIP der Euro-Zone aus.
Überraschend: Rechnet man die implizite Staatsverschuldung mit ein, steht Italien mit einer Gesamtschuldenlast von knapp 150 Prozent sogar besser da als Deutschland (über 190 Prozent). Die höchsten impliziten Schulden weisen Irland, Griechenland und – wiederum eine Überraschung – ausgerechnet Luxemburg auf.
Auch die eingangs erwähnte Statistik der Deutschen Bundesbank ist mit Vorsicht zu genießen. Wenn das mittlere Vermögen einer italienischen oder spanischen Familie im Schnitt deutlich höher zu sein scheint als das von österreichischen oder deutschen Familien, dann sollte man genauer hinschauen. In dieser Statistik spielen nur Haushalte, aber keine Einzelpersonen eine Rolle. Das heißt: Je mehr Singles in einem Land leben, desto „ärmer“ wird der Durchschnitt.
Darüber hinaus erklären sich die hohen Vermögenswerte in den Südstaaten der EU mit dem großen Anteil von Immobilien-Eigentümern in diesen Ländern. Deutschland und Österreich hingegen weisen einigermaßen funktionierende Mietermärkte auf. Es besteht also nicht unbedingt die Notwendigkeit, eine Immobilie zu kaufen. Hinzu kommen die sozialen Absicherungssysteme in Deutschland und Österreich, vor allem die Renten- und Pensionsansprüche, die nicht in diese statistische Betrachtung miteinfließen.
Es gilt mithin die bekannte Maxime: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.