Während des EU-Wahlkampfes ist wieder einmal die Forderung aufgetaucht, die Wanderschaft des EU-Parlaments zwischen Brüssel und Straßburg zu beenden.
Der doppelte Sitz des EU-Parlaments gehört schon den Dauerbrennern, wenn es um Sparmaßnahmen beim EU-Budget geht. Und das nicht zu Unrecht. Zumindest einmal im Monat tagt nämlich nicht nur das EU-Parlament in Straßburg sondern ein ganzer Tross von Abgeordneten und Mitarbeitern zieht zu Wochenbeginn mit Sack und Pack von Brüssel nach Straßburg und gegen Wochenende wieder zurück aus dem Elsass in die belgische Hauptstadt. Und man muss sich vorstellen, um welche Größenordnung es dabei auch noch geht. Nämlich 751 Abgeordnete und zumindest theoretisch 7.500 Mitarbeiter. Davon lebt eine ganze „Transportindustrie“. Auf den Gängen im Brüsseler EU-Parlament sieht man riesige Aluminium-Koffer, die nur darauf warten, mit Akten gefüllt und nach Frankreich transportiert zu werden. 440 Kilometer hin und 440 Kilometer zurück. Dazu kommen die Schar der Abgeordneten, deren Mitarbeiter sowie die sonstigen Angestellten des Parlaments.
Warum Frankreich so am EU-Sitz Straßburg hängt
Ein gutes Geschäft. Nicht zu vergessen, dass die Heerschar der Parlamentarier und ihrer Zuarbeiter viele Euros für die Hotellerie, die Restaurants, Bars und sonstigen Einkaufsläden in der französischen Rheinmetropole hinterlassen. Von diesem Punkt aus verständlich, dass sich Frankreich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, dass die EU-Destination Straßburg aufgelassen werden soll. Dazu kommt die Imagefrage. Immerhin ist so Frankreich, eines der sechs Gründungsländer der EWG, wie die heutige EU im Geburtsjahr 1957 hieß, auch Sitz einer europäischen Institution. Vergessen wird dabei nur, dass sich in Straßburg mit dem Europarat, der dazu gehörigen beratenden Versammlung des Europarates und des Europäischen Gerichtshofes ohnedies bereits eine politische europäische Einrichtung befindet. Die allerdings, zugegebenermaßen etwas im Schatten statt. Trotzdem, dass das EU-Parlament nächst der EU-Kommission seinen ständigen Sitz haben sollte, mit diesem Gedanken wird sich Paris einfach anfreunden müssen.
Was den Europarat von der EU unterscheidet
Nicht zuletzt hat es in der Vergangenheit auch immer wieder Diskussionen gegeben, ob den die Duplizität von EU-Parlament und Europarat einen Sinn macht. Sowohl Europarat wie Parlament haben übrigens auch dieselbe Flagge. Tatsächlich gibt es einen Unterschied. Weniger zu Beginn. Als vor 70 Jahren am 8. Mai 1949 der Europarat gegründet, war dies damals nach Zwei Weltkriegen, dem gescheiterten Versuchen der Schaffung eines Völkerbundes und einer Paneuropa-Union gewissermaßen der erste ernstzunehmende Anlauf für eine Friedensgemeinschaft. Dem Europarat gehörten damals gerade einmal 10 Staaten an und diese waren durchwegs westliche parlamentarische Demokratien. Die kommunistischen Staaten Osteuropas, die so genannten Volksdemokratien durften auf Geheiß Moskaus nicht beitreten, Österreich auch erst nach Abschluss des Staatsvertrages. Mit der Gründung der EWG, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, im Jahre 1957 beginnt neben dem Europarat zunächst eine wirtschaftliche und später politische Gemeinschaft zu entstehen, die dann das Geschick Europas immer stärker in die Hand nimmt. Vor 40 Jahren kommt es übrigens zu den ersten Europawahlen.
Ein Debattierklub ohne Resonanz nach außen
Was man nicht vergessen darf, auch der Europarat hat gewissermaßen ein Parlament, es nennt sich nur etwas anders, nämlich Parlamentarische Versammlung. Ist etwas kleiner, umfasst 318 Abgeordnete (Österreich stellt hier sechs und nicht 18 wie im EU-Parlament) und diese werden auch nicht gewählt, sondern von den nationalen Parlamenten entsandt. Und diese parlamentarische Versammlung hat kaum Entscheidungsgewalt sondern bestenfalls Empfehlungscharakter. Und ist gewissermaßen ein Debattierklub, mit relativ wenig Resonanz nach außen. Wie die Berichterstattung nachweist. Während die EU-Kommission heute die Regierung der 28 bzw. wenn der Brexit zustande kommt, der 27 Mitgliedsländer darstellt, ist der Europarat und das seiner Gründung vor allem ein Forum für Debatten und zwar über allgemeine europäische Fragen zur Sicherung demokratischer Grundsätze, rechtsstaatlicher Grundprinzipien, soll die kulturelle Zusammenarbeit zwischen den Staaten fördern. Er ist der Schutzschirm der europäischen Menschenrechtscharta und beherbergt auch gleich Sitz des Europäischen Gerichtshofs.
Als der Europarat eine Aufgabe hatte
Richtige Bedeutung bekam der Europarat eigentlich erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. In zweierlei Hinsicht. Einerseits, indem er auch Zulauf unter anderem von den ehemaligen Volks- und nunmehrigen neuen Demokratien erhielt, aber auch Länder hinzutraten wie Russland oder die Türkei, die sich nur zu 3 Prozent auch auf europäischem Territorium befindet. Beide gehören heute zu den „Problemkindern“, einerseits wegen der Krim-Annexion (das betrifft Moskau) und andererseits wegen der Einschränkung von Bürger- und Presserechten (das zielt auf Ankara). Wie auch immer, der Europarat zählt heute 47 Mitglieder, wovon nur 28 auch der EU angehörten. Andererseits leiste der Europarat ab 1990 wichtige Dienste bei der Heranführung der ehemals kommunistischen Staaten an das westliche europäische Rechtssystem. Er war gewissermaßen deren Lehrmeister, um sie auf den erwünschten Eintritt in die EU, der erste Schub erfolgte im Mai 2004, vorzubereiten.
Nachhilfeunterricht für die ehemaligen Volksdemokratien
In der entscheidenden Zeit war übrigens ein Österreicher, Walter Schwimmer, Generalsekretär des Europarates. Und er betonte im Gespräch mit EU-Infothek auch die Existenzberechtigung des Europarates: „Praktisch ganz Europa wurde durch den Europarat der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, der Menschenrechtsgerichtsbarkeit unterworfen, mit nicht nur minimalen einheitliche Rechts- und Kulturstandards, und ist nicht zuletzt eine weitgehend rechtliche, jedenfalls aber faktische Todesstrafen freie Zone geworden. Die EU-Erweiterungen wären ohne die Knochenarbeit des Europarates in den Reformprozessen der Erweiterungsländer kaum denkbar gewesen“.
Brückenbauer zu Russland
Diese Vergangenheit ändert freilich nichts daran, dass der Europarat auch einen gewissen Reformbedarf hat. Schwimmer hat dazu konkrete Vorstellungen: „Der Europarat muss seine Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Erziehung, Jugend, Soziales, aber auch der rechtlichen Zusammenarbeit in vielen Bereichen der Wirtschaft, intensivieren, weil sie für das größere Europa, eben das der 47 wichtig sind. Die Grundwerte Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte können nicht losgelöst von der kulturellen Identität Europas und auch seines auf christlich-jüdischen und humanistischen Werten beruhenden Solidaritätsbegriffes gesehen werden“. Mehr noch. Er findet, dass „die Rolle des Europarates als Plattform für den politischen Dialog innerhalb des größeren Europas und nach außen als die politische Vertretung Gesamteuropas“ genützt werden müsste.
„Wanderzirkus“ kostet 103 Mio Euro
Konkret könnt er z.B. eine stärkere Rolle bei der Lösung des Ukraine-Konflikts spielen. Und auch Druck auf die Türkei machen. Schwimmer: “Die EU hat, abgesehen vom Geld, relativ wenig Hebel, nachdem Erdogan sich von der Beitrittsperspektive de facto verabschiedet hat und in der Flüchtlingsfrage auf dem längeren Ast sitzt“. Daher wäre auch eine engere Zusammenarbeit mit der EU gefordert. Das betrifft die Institutionen an sich, wie auch EU-Parlament und die parlamentarische Versammlung des Europarates. Da läge es durchaus auch an Frankreich, eine Aufwertung des Europarates vorzunehmen und so Straßburg einen wichtigen Platz im politischen Europa einzuräumen. Und so den Schmerz für den Abzug des EU-Parlaments zu lindern. Nicht vergessen darf man die Kosten des „Wanderzirkus“. In einer Studie aus dem Jahr 2013 wurde dokumentiert, dass jährlich 103 Mio. Euro eingespart werden könnten, wenn alle Tätigkeiten des Parlaments von Straßburg nach Brüssel verlegt würden.
Leserbrief
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit unglaublichem Staunen und zunehmendem Entsetzen habe ich heute erst den von Ihnen veröffentlichten Artikel „Wozu braucht Straßburg ein EU-Parlament UND einen Europarat?“ gelesen.
Um es klar und sehr deutlich zu sagen: ich habe in meinen 10 Jahren Berichterstattung in Strasbourg keinen einzigen Artikel zu Gesicht bekommen, der so wie dieser Artikel realitätsfern, unaktuell und daher einfach – obwohl wenigstens die historischen Daten einigermaßen zu stimmen scheinen – nur Unsinn ist, vor allem auch und gerade journalistisch. Es gibt dafür im News Journalismus auf deutsch eine 2-Worte- Bezeichnung, die ich aus Anstandsgründen hier nicht wiedergeben möchte.
Als Modulverantwortlicher Lehrbeauftragter im Bereich „Wirtschaft und Medien“ und als Betreuer vieler Master- und Bachelorarbeiten hat es mich allerdings noch mehr entsetzt , dass diesen Artikel ein Akademiker verfasst haben soll. Um auch hier klar und deutlich zu sein: ich habe gerade Prüfungen an einer Hochschule hinter mir. Eine solche Hausarbeit wäre von mir als ungenügend abgelehnt worden und ich hätte den Verfasser gebeten bitte auf gar keinen Fall Journalist noch Korrespondent zu werden.
In diesem Artikel werden Zusammenhänge hergestellt, die komplett realitätsfern sind. Es werden Behauptungen aufgestellt, die gerade durch die heutige (!!!) und sehr aktuelle Realität im Europarat als kaum glaublich erscheinen. Dafür wird mit irgendwelchen Zitaten eines ehemaligen österreichischen Generalsekretärs um sich geworfen, der vor sage und schreibe 14 Jahren im Europarat war. Kein Wort vom aktuellen Generalsekretär Torbjörn Jagland aus Norwegen, der sich aktuell häufig zum aktuellen Europa Geschehen äussert. Kein Wort von der bald anstehenden Wahl eines neuen Generalsekretärs im Europarat. Kein Wort davon, das Österreich erst vor kurzem federführend die Ratspräsidentschaft im Europarat hatte.
wg. Österreich: ich halte diesen Artikel und viele Behauptungen darin als eine Unverschämtheit gegenüber den österreichischen Europaratsmitarbeitern, die an herausgehobenen und ganz hohen Positionen im Europarat ihre Arbeit tun. Gefragt hat sie übrigens vor diesem Artikel niemand . Das Fremdwort heisst : Recherche !!
Im Europarat, liebe Redaktion, gibt’s übrigens in der Presseabteilung einen direkten Ansprechpartner für Österreich….aber warum sollte man auch so Leute fragen, wenn man doch so überzeugend überzeugt ist, der Europarat wäre ein Debattierclub. Eine solche Behauptung und Feststellung gerade in diesen Tagen zu veröffentlichen ist einfach eine unhaltbare Feststellung, die jeglicher Recherche entbehrt. Schauen Sie mal hier nach: https://www.coe.int/en/web/portal/events
Vom 16. Mai an tagt der Ministerrat (wahrscheinlich bei Pfeiferauchen und Heurigem, um mal ein bisschen zu debattieren, weil man ja sonst nichts Besseres zu tun hat ) dieses „Debattierclubs“ in Helsinki, um Russland zum Verbleib im Europarat zu bewegen. Diesem Land hat die im Artikel erwähnte Parl. Versammlung des Europarates vor nunmehr 2 Jahren die Stimmrechte wg der Krimbesetzung entzogen, worauf Russland kein Geld mehr in das Budget einbezahlt. Es sind wirklich die Außenminister der 47 – ja auch Herr Lavrov ist da – , also hoffentlich auch Österreichs Minister, die da beraten und Sie veröffentlichen einen solchen Artikel. Das ist harte Europaratspolitik, von der offensichtlich der Autor keinerlei Ahnung noch Wissen hat !
Noch so ein Tipp:
- Der Europarat hat mit der EU nichts, aber auch garnichts zu tun und deswegen besteht auch Frankreich – mit Unterstützung Deutschlands – weiterhin auf das direkt benachbarte EU Parlament und die Menschenrechtsinstitution Europarat, die als Debattierclub mal eben die Europ. Menschenrechtskonvention verwaltet und durchsetzt, die auch für Österreich gilt.
- Natürlich haben EU , das EU Parlament und der Europarat die gleiche Fahne. Diese Gelbe Sternen Fahne sowie die angebliche Europahymne gehören rein rechtlich nämlich dem Europarat, der beide nur an die EU „ausgeliehen“ hat. Und noch etwas: Das EU Parlament hatte tatsächlich seine ersten Sitzungen im Europarat, ist also dort entstanden. Kein Wort davon in diesem Artikel. Aber das wäre ja auch nur erklärend, warum Strasbourg zu wichtig ist.
Woher ich mir das Recht herausnehme dies alles zu schreiben ?
Ganz einfach. Ich bin seit 10 Jahren im Europarat, im EU Parlament und in der Deutschen Bundespressekonferenz tätig, sitze ständig in off the record meetings des Europarates und höre und sehe wie der Europarat arbeitet. Ich berichte ständig über die Parl. Versammlung des Europarates und den Kongress der Regionen und Kommunen im Europarat, der von einem Salzburger Generalsekretär angeführt wird. Ich behaupte unmissverständlich: Im Gegensatz zum angeblichen Herrn, der diesen Artikel verfasst hat , weiß ich wenigstens wovon und worüber ich rede und schreibe und habe den aktuellen Hintergrund ihn auch zu kritisieren, was ich oft tue aber faktenbasiert.
Ein Schlussbitte noch an den Autor: Sollten Sie für dieses Werk auch noch Geld bekommen haben, zahlen Sie es schnellstens zurück, denn solch ein Unsinn sollte nicht auch noch finanziell unterstützt werden. Oder spenden Sie es dem Europarat für seine Menschenrechtsarbeit.
Frage an die Redaktion. Können Sie mir bitte mal ganz einfach erläutern, wie Sie ungeprüft einen solchen Artikel kurz vor Europawahlen veröffentlichen können ? Oder wollten Sie einfach mal testen wie sich fake news so im Internet machen ? Ich verstehe es nicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Udo Seiwert-Fauti
Antwort der Redaktion
Sehr geehrter Herr Seiwert-Fauti,
Kritik ist das Salz der Demokratie. Das gilt für Ihren Kommentar ebenso wie für den Bericht auf EU-Infothek.
Nur gilt es schon einige Punkte in aller Kürze und das ohne jedwede Polemik klarzustellen.
Der Bericht stellt in keiner Weise die Existenzberechtigung des Europarates in Frage. Im Gegenteil. Er zeigt auf, welche wichtige Funktion der Europarat z.B. nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte.
Es hatte allerdings auch einmal eine Zeit gegeben, da wurde darüber diskutiert, ob das Nebeneinander von Europarat und EU einen Sinn macht.
Diese Diskussion ist obsolet geworden, weil 47 Staaten im Europarat und nur 28/27 in der EU vertreten sind und der Europarat wichtige Aufgaben zu erfüllen hat, wie z.B. das Monitoring bei Wahlen (Stichwort Türkei).
Es ist aber unbestritten, dass auch der Europarat, wie jede Institution, nach 70 Jahren einen gewissen Reformbedarf hat. Dazu gehört auch, dass sich die Berichterstattung in den Medien über den Europarat in Grenzen hält. Und das liegt nicht nur an den Medien. Über die Tätigkeit des Europarates und der Delegierten zur Parlamentarischen Versammlung liest, hört und sieht man hierzulande wenig.
Was die Amtsperiode von Generalsekretär Jagland betrifft, so ist diese übrigens nicht ganz unbestritten, da hat es von Anbeginn auch Kritik gegeben.
Worüber nicht nur jetzt im EU-Wahlkampf diskutiert wird, ist die Problematik des „Wanderzirkus“, den monatlich das EU-Parlament zwischen Brüssel und Straßburg vollzieht. Da geht es nicht nur um Kosten von über 100 Mio. Euro im Jahr sondern auch die Sinnhaftigkeit dieser noch dazu temporären Dislozierung.
Allein darauf bezog sich übrigens auch der Titel des Artikels. Straßburg ist mit dem Sitz des Europarates gut bedient, umso mehr, wenn im Zuge einer Reform der Europarat auch noch die eine oder andere Aufwertung erfahren würde.
Mit freundlichen Grüßen
Redaktion EU-Infothek