Sonntag, 24. November 2024
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Zwei Italiener kämpfen um EU-Superjob

Gianni Pittella. © European UnionAm Dienstag, dem 17. Jänner, wird im Europäischen Parlament in Straßburg der neue Chef gewählt. Spätestens um 16 Uhr 30 soll feststehen, wer Martin Schulz als Präsident nachfolgen darf. Im Vorfeld dieser nicht unwichtigen Entscheidung hat es freilich eine Reihe von Merkwürdigkeiten gegeben: Zunächst einmal ist eine Mitte 2014 getroffene, bislang jedoch unter Verschluss gehaltene Vereinbarung zwischen den beiden größten Parlaments-Fraktionen – den Christdemokraten und den Sozialdemokraten – publik geworden, der zu Folge der Rote Schulz nach fünfjähriger Amtszeit  durch einen Schwarzen ersetzt werden solle. Salopp könnte man das als Packelei bezeichnen, die für eine demokratische Institution dieses Zuschnitts tabu sein müsste.

Freilich: Die beiden Lager sind flugs überein gekommen, sich gar nicht an diese Vereinbarung zu halten, was wiederum die nächste Seltsamkeit darstellt. Nachdem selbst der konservative Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für den Verbleib des sozialdemokratischen Top-Parlamentariers Schulz vehement, aber letztlich erfolglos plädiert hatte,  nominierten die zwei großen Fraktionen einen eigenen Kandidaten. Womit wir bei der dritten Kuriosität angelangt wären: In beiden Fällen entschied man sich für einen Mann aus Italien – also jenem Land, das gerade in jüngster Zeit immer wieder für Turbulenzen gesorgt hat und daher innerhalb der Europäische Union alles andere als ein stabiler Faktor ist.
Die zwei Kandidaten mit den besten Chancen verbindet  nicht nur die Herkunft: Beide sind EU-Urgesteine mit viel Erfahrung, beide sind bislang nicht sonderlich durch herausragende Leistungen aufgefallen, und beide  sind wohl nur zweite Wahl. Nachdem der Fraktionschef der Christdemokraten, der Deutsche Manfred Weber, überraschender Weise den Karrieresprung verweigert hat, setzte sich Antonio Tajani, 63, gegen geeigneter erscheinende Kollegen wie die Irin Mairead  McGuinness,  den Franzosen Alain Lamassoure und den Slowenen Alojz Peterle durch.  Als langjähriger Intimus von Altmeister Silvio Berlusconi – was so überhaupt nicht für ihn spricht –  zählt er zu den am längsten dienenden  EU-Haudegen: Der einstige Journalist war zunächst 14 Jahre EU-Abgeordneter und wurde 2008 EU-Verkehrs-, später Industrie-Kommissar sowie Vizepräsident der Kommission. Er ist Mitglied des Parteipräsidiums der populistisch-konservativen „Forza Italia“, seit einer Ewigkeit Vizepräsident der Europäischen Volkspartei und obendrein seit 2014 auch einer der nicht weniger als 14 Vizepräsidenten im EU-Parlament.

Die Roten geben nicht auf

Auf der linken Gegenseite schickte sich der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, 58, gleich selbst ins Rennen. Der gelernte Arzt, der bereits 1980 in die Politik eingestiegen war,  hatte sich vom Gemeinderat seiner Heimatstadt ins EU-Parlament hochgedient, wo er es sowohl zum Vizepräsidenten als auch zum Vorsitzenden der Fraktion „Progressive Allianz der Sozialdemokraten“ brachte. Er gehört der italienischen „Partito Democratico“ an und bewirbt sich nunmehr als Schulz-Nachfolger, weil er unbedingt verhindern möchte, dass alle drei EU-Spitzenposten – Kommissions-, Rats- und Parlamentspräsident – mit Konservativen besetzt wären.

Wer schließlich das Rennen machen wird, ist noch völlig offen, weil keiner der beiden Italiener automatisch mit einer Mehrheit rechnen kann: Von den 751 EU-Parlamentariern stellen die Konservativen nämlich 217 und die Sozialdemokraten 189. Falls sich Schwarze und Rote letztlich nicht doch irgendwie einigen sollten, wird es am 17. Jänner bis zu  vier  Wahlgänge benötigen, ehe die Entscheidung mit einfacher Mehrheit fallen kann. In diesem Fall wären nicht nur die Grünen und die Liberalen die Königsmacher, sondern unter Umständen sogar die 44 Stimmen starken Radikalen rund um den britischen UKIP-Führer  Nigel Farage und die Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ bzw. die  Populisten, also Marine LePen und ihre 39-köpfige Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ das Zünglein an der Waage – was für die EU eine veritable Blamage bedeuten würde.

Eine andere Option wäre folgende: Sofern Christdemokraten und Sozialdemokraten über ihren eigenen Schatten springen, was unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich auszuschließen ist – könnten sie  Guy Verhofstadt, 63, gemeinsam als geradezu ideale Kompromisslösung installieren: Der Fraktionsvorsitzende der „Allianz der Liberalen und Demokraten“ konnte sich immerhin als Belgiens Ministerpräsident (1999-2008) ebenso profilieren  wie seit 2009 als liberaler EU-Abgeordneter und Anführer der viertstärksten Fraktion in Brüssel und Straßburg.

Matteo Renzi vor Comeback?

Der große Posten-Poker wird jedoch keineswegs beendet sein – wer immer neuer Parlaments-Präsident wird. Denn  Ende Mai läuft die Amtszeit von Rats-Präsident Donald Tusk aus, und es ist fraglich, ob er gemäß seinem persönlichen Wunsch eine weitere Periode von zweieinhalb Jahren anhängen darf. Denn falls die Sozialdemokraten nächste Woche leer ausgehen, werden sie vehement den Ratsvorsitz für sich reklamieren. In Frage kämen für diesen Posten am ehesten ausrangierte rote Politiker wie die ehemalige Premierministerin Dänemarks, Helle Thorning-Schmidt, und der österreichische Ex-Kanzler Werner Faymann. Allerdings sind beide im eigenen Land gescheitert und damit mit einem Looser-Image angekleckert. Der lachende Dritte könnte – natürlich nur für den Fall, dass kein Italiener, sondern Guy Verhofstadt Parlaments-Präsident wird – Matteo Renzi sein, dessen Name in jüngster Zeit gerüchteweise häufig  genannt wird und der einem Comeback auf europäischer Ebene wohl nicht abgeneigt wäre. Trotz seines prompten Rücktritts in Rom wäre der 42-jährige, quirlige und bestens vernetzte Macher vom Typ her durchaus geeignet, künftig den Dompteur von 27 Regierungschefs zu spielen.

Fazit: Der nächste Kuhhandel um einen EU-Superjob hat bereits begonnen – und die EUI bleibt selbstverständlich am Ball…

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